Verfassungskrise im Kosovo: Oberstes Gericht kippt Präsidentenwahl
Bei der Wahl des Staatschefs im Februar wurden Prinzipien der Verfassung verletzt. Die Entscheidung könnte Verhandlungen zwischen Prishtina und Belgrad gefährden.
SARAJEVO taz | Das Oberste Gericht Kosovos hat die Wahl des neuen Staatspräsidenten am Montag für verfassungswidrig erklärt. Welche Konsequenzen diese Entscheidung hat, ist unklar. Muß Behgjet Pacolli sofort zurücktreten und wird dadurch eine Neuwahl erforderlich? Oder bleibt der seit 35 Tagen regierende Staatschef im Amt?
Die Abgeordneten des Parlaments in der Hauptstadt Pristina hatten Pacolli am 22. Februar 2011 erst im dritten Wahlgang mit 62 von 120 Stimmen zum Präsidenten gewählt. In den ersten beiden Wahlrunden war es Pacolli nicht gelungen, zwei Drittel der Stimmen auf sich zu vereinen. Sicher ist nach Meinung des Gerichts, dass die Wahl "nicht konform mit der Verfassung und deren demokratischen Prinzipien" zustande gekommen ist. Während der Wahl hatten die Abgeordneten der oppositionellen "Demokratischen Liga" und der "Allianz für die Zukunft" das Parlament verlassen. In der anschließenden Pause waren zudem unwillige Abgeordnete der Regierungsparteien von der Wahl Pacollis "überzeugt" worden, behaupten Oppositionelle.
Am Mittwoch soll das Gericht Ausführungsbestimmungen erlassen. Fraglich jedoch ist, ob diese tatsächlich einen Weg aus der jetzt entstandenen Verfassungskrise weisen.
"Die Entscheidung stürzt Kosovo in eine neue instutionelle Krise," schreibt die größte Zeitung des Landes, Koha ditore. Der Wahl Paccolis waren lange Verhandlungen vorausgegangen. Premier Hashim Thaci war es schließlich gelungen, eine Regierung aus seiner Demokratischen Partei, Vertretern der serbischen Minderheit, einigen Splitterparteien und der Partei Pacollis, der Neuen Kosovo Allianz, zu bilden. Dafür musste er den 59-Jährigen, bisher in der Schweiz lebenden Bauunternehmer Pacolli ins Präsidentenamt hieven.
"Die neue Verfassungskrise kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt," erklärten diplomatische Quellen aus Prishtina. Seit Montag laufen in Brüssel neue Verhandlungen mit Belgrad über "technische" Vereinbarungen. Im Zentrum steht die Aufhebung der Ungleichheit im Warenverkehr. So darf Serbien Waren nach Kosovo exportieren, Kosovo aber nicht nach Serbien. Weiterhin fordert Kosovo Katasterbücher und andere Unterlagen zurück, die die Serben vor dem Einmarsch der Nato 1999 nach Serbien gebracht hatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch