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Verfassungsgericht über SitzblockadenWenn der Stau zur Gewalt wird

Je nach Verkehrsaufkommen sind Sit-ins doch als Nötigung zu bestrafen, sagt das Verfassungsgericht. Wenn Autos anderen Autos im Weg stehen, sei das Gewalt.

Autos in der zweiten Reihe aufhalten gilt nicht. Bild: dpa

Gewaltfreie Sitzblockaden können strafbar sein, wenn sie einen Verkehrsstau verursachen. Dies entschied nun das Bundesverfassungsgericht in einer lange erwarteten Entscheidung. Das Gericht bestätigte damit die "Zweite-Reihe-Rechtsprechung" des Bundesgerichtshofs (BGH).

Konkret ging es um eine Sitzblockade kurz vor dem Irakkrieg der USA im März 2004. Am US-Luftwaffenstützpunkt Frankfurt am Main blockierten rund 40 Personen die Zufahrtsstraße zur Wohnsiedlung Gateway Gardens. Als sich die Fahrzeuge auf der Straße in mehreren Reihen stauten, trugen Polizisten die Blockierer weg. Beim Amts- und Landgericht Frankfurt am Main wurden milde Geldstrafen wegen Nötigung verhängt.

Einer der Blockierer erhob Verfassungsbeschwerde und berief sich auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgericht von 1995. Damals hatte das Gericht mit knapper Mehrheit entschieden, dass Sitzblockaden grundsätzlich nicht als Nötigung bestraft werden können. Wer sich friedlich auf die Straße setze, zwinge Autofahrer zwar psychologisch zum Anhalten, übe dabei aber keine Gewalt aus. Der BGH hatte diese Entscheidung in der Praxis jedoch weitgehend ins Leere laufen lassen.

Nach seiner Rechtsprechung war eine Sitzblockade immer dann strafbar, wenn sich ein Stau bildete. Der BGH akzeptierte zwar, dass die Autofahrer in der ersten Reihe nur aus psychologischen Gründen anhielten. Ab der zweiten Reihe jedoch könnten die Autofahrer nicht weiterfahren, weil ihnen die Autos der Vorderleute im Weg stehen. Hier liege also kein psychologischer Zwang, sondern eine "physische Sperrwirkung" vor, die den Sitzdemonstranten zuzurechnen sei.

Diese umstrittene BGH-Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht nun erstmals bestätigt. Die in der ersten Reihe anhaltenden Autofahrer würden von den Demonstranten missbraucht, um eine Autoblockade zu erzeugen. Das sei aber genauso strafbar, wie wenn Demonstranten mit ihren eigenen Autos eine praktisch unüberwindbare Blockade aufbauten. Einen Widerspruch zum Urteil von 1995 sahen die Richter nicht. Damals musste nur ein Auto anhalten.

Die Verfassungsrichter hoben das Frankfurter Strafurteil nun aber aus anderen Gründen auf. Bei der gesetzlich vorgesehen Prüfung, ob die Blockade verwerflich war, hätten die Strafrichter Fehler gemacht. Sie hätten nicht berücksichtigt, dass die Aktion nur wenige Minuten dauerte, angekündigt war und es Ausweichmöglichkeiten über anderen Zufahrten gab. Außerdem seien zumindest teilweise die Fahrzeuge von kriegsbeteiligten Soldaten blockiert worden. Das Landgericht Frankfurt muss nun neu entscheiden.

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10 Kommentare

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  • JM
    Jens Müller

    "Falls ja können Sie mir nach Ihrer Erklärung auch sagen, wieso dann jemand - was tatsächlich so geschieht - wegen Nötigung verurteilt wird, weil er einem Linksfahrer auf der Autobahn auf 5m an die Stoßstange fährt um in dazu zu bringen, nach rechts zu fahren."

     

    Auch dazu gibt es einen Beschluss der BVerfG. Der Gewaltbegriff im Nötigungstatbestand hat es halt wirklich in sich.

     

    http://www.cd-recht.de/component/content/article/4-fachbeitraege/19-noetigung-durch-draengeln-im-stadtverkehr-kommentar-zum-beschluss-des-bverfg.html

     

    "Es reicht nicht aus, wenn sich der Vordermann durch den Drängler nur belästigt fühlt. Es ist vielmehr erforderlich, dass sich der vom Drängler ausgehende Zwang beim Bedrängten über die psychische Ebene hinaus ausgewirkt hat. Das Gericht führt aus, dass es bei dem Bedrängten zu einer körperlich merkbaren Angstreaktion kommen muss, die auch aus objektiver Sicht nachvollziehen lässt."

  • PM
    Prinzessin Manfred

    @sebas: Es gibt zwei Möglichkeiten, jemanden zu "nötigen" - mittels "Gewalt" oder mittels "Drohung mit einem empfindlichen Übel". In beiden Fällen muss diese Nötigungshandlung im Verhältnis zum angestrebten Zweck noch "verwerflich" sein. Bei "Gewalt" wird diese "Verwerflichkeit" erst mal grundsätzlich angenommen, bei "Drohung..." muss das ausführlicher begründet werden. Deswegen versucht Papa Staat es in politischen Sitzblockaden immer über die "Gewalt"-Schiene: es muss dann (nach herrschender Rechtsauffassung) nicht mehr begründet werden, was genau an einer Blockade von Akteur_innen eines völkerrechtswidrigen Krieges (eines Castortransportes, einer Nazi-Demo, ...) denn eigentlich verwerflich sein soll. Es gilt hier also: "Gewalt" ist eine Lösung ;-) Ich nehme an, beim Drängeln auf der Autobahn ist es insofern anders, als dass angesichts der Gefährdung und des verfolgten Zweckes (gerne schneller nach Hausen zu wollen?) die Begründung der Verwerflichkeit leichter fallen dürfte.

     

    @stefle: Genau so ist die Argumentation der BGH-Rechtsprechung (und jetzt wohl auch des BVerfGs), wenn auch etwas anders formuliert.

  • S
    stefle

    Na das hat's jetzt gebracht.

     

    Vielen Dank, alles ganz easy.

     

    Und die Sitzblockierer üben dann vermittels der ersten Autoreihe - diese als physisches Bollwerk missbrauchten Psychos - Zwang auf Reihe 2 aus, gell? Natürlich vorsätzlich, sonst wäre es ja keine Straftat. Also diese Psychostruktur dieser Erste-Reihe-Fahrer wird hier arglistig von kriminalisierten Sitzblockierern ausgenutzt, um sich darüber hinwegzusetzen, dass sie rechtmäßig nur Psycho-Druck ausüben dürfen. Sie erschleichen sich die Nötigung dadurch, dass sie die Erste-Reihe-Psychos-Fahrer zur Nötigung verleiten, die aber nicht verurteilt werden können, da sie diese Nötigung aufgrund ihrer schwachen Psyche begehen, insofern nicht vorsätzlich. Darum ist diese Nötigung auf die Nötigungs-Erschleicher zu übertragen.

  • S
    Sebas

    @ Prinzessin Manfred:

    Sind Sie Jurist? Falls ja können Sie mir nach Ihrer Erklärung auch sagen, wieso dann jemand - was tatsächlich so geschieht - wegen Nötigung verurteilt wird, weil er einem Linksfahrer auf der Autobahn auf 5m an die Stoßstange fährt um in dazu zu bringen, nach rechts zu fahren.

    Auch dort ist keine Gewalt zu erkennen (der Drängler verprügelt seinen Vordermann ja nicht) und sogar der Zwang ist eigentlich geringer. Schließlich kann der Vordere ja auch noch 100 km auf der linken Spur weiterfahren, weder überfährt er jemanden, noch würde er hinterher verurteilt (im Gegensatz zu jemandem, der bei einer Sitzblockade auf dem Gaspedal bleibt). Und selbst wenn es hinterher zum Unfall kommt ist der Drängler hinten und nicht der Langsamfahrer vorne schuld.

    Dennoch ist selbst nur hinter einem langsamen Linksfahrer links blinken ohne dichtes Auffahren nach bisher unzähligen Urteilen Nötigung.

     

    Bei dichtem Auffahren kann ich ja noch verstehen, wenn man das als Gefährdung ansieht. Allerdings ist es auf manchen Straßen auch nicht ungefährlich, zum Anhalten gezwungen zu werden - und sei es auch nur durch den psychologischen Druck, niemanden überfahren zu wollen.

  • PM
    Prinzessin Manfred

    zur psychologischen Sperrwirkung:

     

    Nein, man darf nicht einfach andere Leute totfahren, auch wenn es sich dabei um Demonstrant_innen handelt. Die juristische Auseinandersetzung geht nicht darum, ob die Autofahrer_innen weiterfahren können, sondern ob sie *mit Gewalt* an der Weiterfahrt gehindert werden. Und nach Ansicht der herrschenden Rechtsprechung ist das eben nicht der Fall, sondern es handelt sich um einen "psychologischen Zwang".

  • F
    Fahrradfahrer

    Autoabgase sind keine Nötigung und Gewalt. Das sehe ich ein. Denn im Gegensatz zu einem Stau hab ich noch die psychologische Handlungsfähigkeit die Luft anzuhalten, da der Tod natürlich zum Leben dazu gehört.

  • S
    Sebas

    Ich verstehe ehrlich gesagt auch die Argumentation für die erste Reihe der Autofahrer nicht:

     

    Die halten nur aus "psychologischen Gründen" an? Ich dachte, die halten, weil sie sonst die Sitzblockierer überfahren. Heißt das, dass die gar nicht anhalten müssen? Schließlich wird ja gesagt, dass es für die ersten Autofahrer keinen Zwang gibt anzuhalten. Wenn also einer sagt "Ich lasse mich nicht durch psychologische Tricks zum Anhalten bringen, und Zwang gibt es laut höchstrichterlichem Beschluss ja keinen" und Gas gibt - klar, er würde mit dem Fahrzeug sicher durch die Sitzblockade kommen und nur vielleicht 2 oder vielleicht auch 10 Blockierer verletzen oder töten und könnte danach auch noch weiterfahren.

    Würde der dann straffrei ausgehen, weil gemäß dem Urteil des Verfassungsgerichtes von 1995 ja keinerlei Zwang zum Anhalten vorlag?

    Und was ist, wenn das zweite oder dritte Fahrzeug ein Sattelschlepper ist? Der würde von ein oder zwei PKW ja auch nicht physisch aufgehalten, sondern eigentlich erwartet man ja nur vom Fahrer, dass er psychologisch davor zurückschreckt, ein oder zwei Autochen (samt Insassen) platt zu walzen und dann noch über eine Handvoll Blockierer zu donnern.

     

    Na wenn das damals die Soldaten schon gewusst hätten, dass laut Verfassung niemand anhalten MUSS wenn vor ihm ein paar Demonstranten auf der Fahrbahn sitzen, solange es nur so wenige sind, dass das entsprechende Fahrzeug mit ausreichend Schwung noch durchbrechen kann... Die Armee hat sicher ein paar Fahrzeugen, die sich auch von einer 100 Mann dicken Reihe nicht aufhalten lassen.

  • S
    stefle

    Kann mir jemand erklären, was es mit dieser "psychologischen" Sperrwikung auf sich hat. Ich stelle mir das so vor, dass ein Autofahrer durch eine Sitzblockade physisch am Weiterfahren gehindert wird, also nicht nur die folgenden, sondern auch der erste in der Reihe.

     

    Aber dem scheint nicht so zu sein.

     

    Grübel

  • M
    max

    herzlichen glückwunsch taz,

    ihr habt erkannt, dass dieses urteil mitnichten ein besonders versammlungfreundliches ist, wie z.b. die tagesschau auf ihrer webseite behauptete. es ist tatsächlich ein drama, dass das bverfg die zweite-reihe-rechtsprechung des bgh jetzt bestätigt hat. dass sie sich dann beim tatbestandsmerkmal der "verwerflichkeit" doch wieder rausschleichen aus der strafbarkeit, macht die sache nur wenig besser und lässt die frage, was jetzt strafbare nötigung ist und was nicht, nur noch unklarer werden.

  • K
    Kommentator

    Alles klar!

    Das heißt, dass in Zukunft nur noch auf Gehwegen (spontan?) demonstriert werden darf, oder was?

     

    In einer Zeit, in der der ADAC die mächtigste Lobby der Normalbürger ist, fehlt nur noch das Wahlrecht für Autos (resp. für deren Besitzer).

     

    Demokratie ist nur das, was die Eliten uns gerade zugestehen wollen.