Verfahren vom Tisch: Der umstrittene Angriff
Ein vermeintlicher Angriff auf die Hamburger Davidwache führte zum größten Gefahrengebiet der Stadtgeschichte. Das Verfahren wurde eingestellt.
Der umstrittene Vorfall war der maßgebliche Grund, weshalb die Polizei vor zwei Jahren die gesamte westliche Innenstadt zum „Gefahrengebiet“ erklärte. Doch ob es diese Attacke gegen die Davidwache überhaupt jemals gegeben hat, ist weiterhin ungeklärt.
„Das Ermittlungsverfahren ist eingestellt worden“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach. Die Täter jedenfalls konnten nicht ermittelt werden. Doch alles sieht danach aus, dass die ursprüngliche Version der Polizei, die medial für den Ausnahmezustand ab dem 4. Januar 2014 herhalten musste, falsch war:
Demnach sollen vermummte Autonome das Kiez-Revier angegriffen, die aus der Wache kommenden Polizisten gezielt mit Steinen und Flaschen beworfen und einem Beamten einen Stein ins Gesicht geschleudert haben.
Gefahrengebiet bereits ausgerufen
„Der schwer verletzte Kollege ist nicht an der Reeperbahn, sondern in 200 Metern Entfernung verletzt worden“, räumte der damalige Polizeisprecher Mirko Streiber eine Woche nach dem Vorfall ein. Da war das Gefahrengebiet bereits ausgerufen worden und der Anwalt Andreas Beuth hatte Zeugen präsentiert, die einen Überfall auf die Davidwache widerlegten.
Tatsächlich war ein Polizist bei einem Einsatz in der Seilerstraße von einem Kiez-Besucher beinahe zeitgleich mit einem Stein attackiert und erheblich verletzt worden.
„Ich halte weiter daran fest, dass es keinen Angriff auf die Davidwache gegeben hat“, sagt Anwalt Beuth der taz. „Meine Zeugen, soweit sie ausgesagt haben, haben sich nicht in Widersprüche verwickelt“, sagt Beuth und betont, er habe noch neun weitere Augenzeugen in der Hinterhand.
Keine Vermummten gesehen
Ein Pärchen aus Bremen, das zu einem Kiez-Besuch in Hamburg war, hatte schon damals auf seine Veranlassung hin ausgesagt. Es sei zwar eine Gruppe von 20 bis 25 FC St. Pauli-Fans lautstark an der Polizeiwache vorbeigezogen. Doch keiner von ihnen sei vermummt oder schwarz gekleidet gewesen.
Bis die Polizisten aus der Wache gestürmt seien, habe eine „gelöste Stimmung“ geherrscht. Die Gruppe hatte sich zu diesem Zeitpunkt demnach bereits zum Teil in der Hein-Hoyer-Straße befunden.
Ein Nachzügler mit blauer Jacke sei auf der Verkehrsinsel auf der Reeperbahn von einem Beamten „nach hinten gerissen und zu Boden gebracht“ worden. „Der junge Mann war überrascht von der Aktion“, berichteten die beiden Augenzeugen. Einige Personen der Fangruppe seien daraufhin zurückgekommen und hätten die Beamten zur Rede gestellt und sich erkundigt, was das denn solle. Selbst eine Polizistin hätte sich nach dem Augenzeugenbericht über das Vorgehen irritiert gezeigt. Aber es sei zu keinerlei körperlichen Übergriffen gegen die Polizisten gekommen, der „Festgesetze“ sei wieder freigelassen worden, berichteten die Zeugen. Diese Beschreibung deckt sich mit einem internen Bericht des Landeskriminalamtes.
Subjektiv angegriffen gefühlt?
Davon unbeirrt hält die Staatsanwaltschaft weiter an der Version des Angriffs auf die Davidwache fest: „Das haben die Ermittlungen so ergeben“, sagt Sprecherin Frombach der taz. Seit vorigem Jahr geht man hier jedoch von zwei Vorfällen aus: den verletzten Polizisten in der Seilerstraße einerseits. Dieser Beamte gehöre laut Frombach allerdings nicht zu den Polizisten, die aus der Wache kamen.
Andererseits von dem von Zeugen beschriebenen Angriff mit Steinen und Flaschen, ohne dass Tatort-Spuren gesichert werden konnten. „Es hat sich im In- und Ausland nicht ermitteln lassen, wer dafür verantwortlich war“, so Frombach.
Ob es sich bei diesen Zeugen um die Polizisten handelt, die aus der Davidwache zu den Fans stürmten, weil sie sich subjektiv bei der begonnenen Silvesterknallerei angegriffen fühlten, lässt sich nur spekulieren. Die Staatsanwaltschaft darf dazu nichts sagen. „Da es keine Beschuldigten gibt, kann man auch keine Akteneinsicht beantragen“, sagt Anwalt Beuth, der wie die Staatsanwaltschaft die Akte Angriff Davidwache inzwischen geschlossen hat.
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