Verfahren gegen SS-Mann Gröning: Verteidigung legt Revision ein
Im Auschwitz-Prozess hat die Verteidigung Revision eingelegt. Weil ein Verfahren gegen Gröning schon 1977 eingestellt wurde, stehe ihm jetzt Strafmilderung zu.
Das Landgericht Lüneburg hatte den 94-Jährigen am Mittwoch wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt. Schon 1977 wurde gegen Gröning ermittelt. Später wurde das Verfahren eingestellt und eine Wiederaufnahme abgelehnt. Darin liege, wie Holtermann dem NDR sagte, eine unangemessene Verfahrensverzögerung, für die Gröning eine Strafmilderung zustehe.
Als weiterer Revisionsgrund komme in Betracht, dass Gröning als Kronzeuge in Verfahren gegen andere SS-Männer zur Aufklärung beigetragen habe, sagte Holtermann. Außerdem sei nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung zu prüfen, inwiefern Gröning im strafrechtlichen Sinne der Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen werden könnte.
Das Gericht hatte Gröning verurteilt, weil er mit seiner Tätigkeit in der Devisenverwaltung des Konzentrationslagers und auch an der Rampe, wo deportierte Juden zur Ermordung selektiert wurden, zum Funktionieren der Tötungsmaschinerie beigetragen habe.
In seiner Urteilsbegründung war der Vorsitzende Richter Franz Kompisch bereits auf die Frage einer Verfahrensverzögerung eingegangen. Wenn die Justiz 30 Jahre lang gar nichts unternehme, sei dies keine Verfahrensverzögerung und ein eingestelltes Verfahren habe Gröning ebenso wenig belasten können. Vielmehr hätten die zögerlichen Ermittlungen gegen KZ-Täter die Opfer belastet. Auf eine Kronzeugenregelung, bei der ein Schuldspruch ohne Strafe möglich ist, könne Gröning sich nicht berufen, weil er keinen wesentlichen Beitrag zur Verurteilung anderer SS-Männer geleistet habe, hatte Kompisch ausgeführt.
Am Freitag bereits hatte Nebenkläger-Anwalt Andreas Schulz Revision eingelegt, weil Gröning nach seiner Auffassung nicht wegen Beihilfe sondern wegen Mordes verurteilt werden muss. Aus Sicht von Nebenklägern aus Chicago, Las Vegas, New York und Israel habe das Gericht die Taten des früheren SS-Mannes im Vernichtungslager nicht korrekt bewertet. Aus Sicht anderer Nebenkläger-Vertreter aber ist eine Verurteilung Grönings als Mörder nach deutschen Recht unrealistisch.
Die mehr als 70 Nebenkläger werden von insgesamt 14 Anwälten vertreten. Unmittelbar nach dem Urteil bereits hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung angekündigt, eine Revision zu prüfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!