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Verdrängung in KreuzbergSozialmieter leben gefährlich

Schon wieder müssen Mieter im sozialen Wohnungsbau um ihre Wohnung fürchten. Und schon wieder betrifft es das nördliche Kreuzberg.

In der Nähe des Potsdamer Platzes wird es eng für Sozialmieter Bild: dapd

Die Vertreibung von Sozialmietern geht weiter. Derzeit plant die Immobilienfirma "Industria" den Verkauf von 101 Wohnungen in der Dessauer Straße, der Schöneberger Straße und am Hafenplatz im nördlichen Kreuzberg. Die Wohnungen wurden 1989 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung errichtet. Nachdem der Senat die Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau 2003 kappte, zahlte der Investor 2010 die öffentlichen Fördermittel an die Investitionsbank Berlin (IBB) zurück.

Eine 100 Quadratmeter große Wohnung in der Schöneberger Straße 11 hat die Firma bereits bei immobilienscout24.de eingestellt. Sie soll 166.499 Euro kosten. "Die Wohnungen der Industria", heißt es dort, "befinden sich in ausgezeichneter Lage: in fußläufiger Entfernung vom Potsdamer Platz".

Bislang sind es vor allem Kreuzberger Sozialwohnungen in Potsdamer-Platz-Nähe, mit denen nach dem Ende der teuren Wohnungsbauförderung spekuliert wird. Den Anfang machte die Fanny-Hensel-Siedlung, wo die Mieten von 5,33 auf 7 Euro pro Quadratmeter nettokalt steigen sollten. In der Kochstraße sollte die Kaltmiete einer türkischen Familie sogar von 668,06 Euro auf 1.566,51 Euro steigen. Betroffen vom Ende der Anschlussförderung in Berlin sind 28.000 Wohnungen.

Hintergrund der Mieterhöhungen ist die Förderkonstruktion des sozialen Wohnungsbaus in den 80er Jahren. Mit den IBB-Geldern wurde damals die Differenz zwischen der tatsächlichen Kostenmiete und der Sozialmiete subventioniert. "So wurde der soziale Wohnungsbau zum Förderprogramm für Investoren", kritisiert der Geschäftsführer des Mietervereins, Reiner Wild. Je teurer die Investoren bauten, desto mehr Geld bekamen sie vom Land. Kostenmieten von bis zu 17 Euro pro Quadratmeter kalt sind keine Seltenheit.

Und noch eines machte den angeblich sozialen Wohnungsbau zur Geldverbrennungsmaschine. Nach dem Ende der Förderperiode hat das Land Berlin keinen Einfluss mehr auf Miethöhe oder Belegung. Aufgrund der speziellen Rechtslage muss sich der Eigentümer nicht einmal an den Berliner Mietspiegel halten. Vielmehr kann er vom Mieter die volle Kostenmiete verlangen - ein probates Mittel, um vor allem missliebige Mieter loszuwerden oder das Haus "migrantenfrei" zu machen.

Doch nicht nur exorbitante Mieterhöhungen können dem Ende der Anschlussförderung - oder der Rückzahlung der Fördermittel - folgen, sondern auch eine Umwandlung in Eigentumswohnungen. Die "Industria", eine Firmentochter von "Degussa", wirbt dabei sowohl um Käufer, die eine Kapitalanlange suchen, als auch um Eigennutzer. "Gerne schicken wir Ihnen Angebote von Wohnungen zu, die im April und Mai frei werden", verspricht ein Mitarbeiter am Telefon.

Der rot-rote Senat weiß um das Problem, setzt aber noch immer auf das Prinzip Hoffnung. "Kostenmieten können die Eigentümer nur in bestimmten Lagen wie am Potsdamer Platz durchsetzen", sagt Mathias Gille, Sprecher von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Das betreffe derzeit etwa 500 Wohnungen.

Die Opposision sieht das anders. So fordert der baupolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto, das Land solle selbst Wohnungen aus dem Bestand der ehemaligen Sozialmieten kaufen. Und Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz, ebenfalls Grüner, will eine Regelung durchsetzen, nach der Käufer ehemaliger Sozialwohnungen nur dann einziehen dürfen, wenn sie selbst einen Wohnberechtigungsschein haben.

Die Stadtentwicklungsverwaltuing räumt einer solchen Regelung aber wenig Chancen ein. "Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage." Allerdings könnten Käufer dieser Wohnungen zu keinem Zeitpunkt auf Eigenbedarf klagen.

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9 Kommentare

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  • VN
    Verena Nadorst

    @ PerditaDolorosa & lilli:

     

    Uwe Rada hebt auf die Verdrängung von Familien migrantischer Herkunft besonders ab, weil dies mehrfach offenbar gezielt so bezweckt wurde. In der Fanny-Hensel-Siedlung haben z.B. viele Mieter/innen eine Mieterhöhung auf 7 Euro nettokalt bekommen, doch die Mieter/innen mit erkennbar türkischem oder arabischem Namen erhielten Erhöhungen auf 9,50 Euro. Auch in der Kochstraße ist dies so gemacht worden.

     

    Die migrantische Herkunft vieler Mieter/innen scheint in den Augen der Eigentümer der profitablen Inwertsetzung der Häuser im Weg zu stehen. Also werden sie gezielt über die Anhebung der Miete vertreiben.

     

    Uwe Rada hätte dies deutlicher erklären müssen, um Missverständnisse zu vermeiden.

  • L
    lili

    "In der Kochstraße sollte die Kaltmiete einer türkischen Familie sogar von 668,06 Euro auf 1.566,51 Euro steigen. "

     

    Journalisten, Redakteure lernt es endlich: türkische Familie ist unnötig; Familie reicht. hat es irgendetwas mit dem Thema zu tun, dass es sich um ene türkische Familie handelt? nein. also, bitte...

  • M
    Magda

    @ PerditaDolorosa - Uwe Rada hat dieses "migrantenfrei" in Anfühungszeichen gesetzt. Ich finde die Formulierung und was dieses impliziert auch problematisch, - genau so wie sie es schreiben.

    Aber er hat inhaltlich recht damit. Hier am Kottbusser Tor, in unserem Haus können wir beobachten das der Vermieter (Hermes Hausverwaltung) zunehmend an Menschen mit "erkennbar" deutschen Nachnamen vermietet!

    Und auch wir haben gerde ein Mieterhöhung von über 50cent/qm bekommen!

    Es ist eine Frage der Zeit, dass selbst hier am Kottbusser Tor (!) die Namenschilder ein Ausdruck von Segregation (Herkunft und Einkommen) werden. Prozentual haben eben Migranten in Deutschland ein geringeres Einkommen. Einige Nachbarn denken schon an Umzug. Viele von ihnen wohnen schon seit über 20 Jahren hier!

  • F
    Fabian

    Ihr könnt euch wieder abregen. Nur Immobilienspackos bezeichnen diese Lage als "am Potsdamer Platz". Die Wohnungen sind dem so nahe, wie der Fernsehturm dem Brandenburger Tor^^.

  • P
    PerditaDolorosa

    >>Vielmehr kann er vom Mieter die volle Kostenmiete verlangen - ein probates Mittel, um ... das Haus "migrantenfrei" zu machen.

  • JK
    Juergen K

    Bei solch pervertiertem Verhältnis zwischen der "Sozial- und der Kostenmiete"

     

    muessen "Paragraphen" gefunden werden,

     

    ob die Fördergrunslagen im Sine des Verwendungszweckes

    bestanden haben.

     

    Also ggfs. zurückgefordert werden können:

     

    In Form von Geld oder der Immobilien selbst.

     

    Die Idee "zu kaufen" ist Irrsinn.

     

    Da seit '89 22 Jahre vergangen sind , sind die Gestehungskosten längst eingebracht,

     

    vom Förderer.

     

    Dass dieser Dasselbe noch mal drauflegt entspricht der Selbstbedienungsmentalität von Degussa und Co, aka "des Geldes".

     

    Hier ist die Übernahme der "Neuen Heimat" für EINEN symbolischen Euro vorzunehmen.

  • S
    Südlich?

    Die Nähe des Potsdamer Platzes, bzw. die Gegend um die Kochstrasse dürfte wohl eher NÖRDLICH in Kreuzberg liegen....

     

    Ist geändert, danke! D. Red.

  • EA
    Enzo Aduro

    Es ist doch naiv zu glauben, am Potsdamer Platz kann es Sozialwohnungen geben.

  • W
    Wensiela

    Glaubt mir, dem Senat ist daran gelegen, endlich Leute mit Geld in die verarmte Stadt zu bekommen. Den Polityuppies ist es doch egal, was Familien mit Kindern demnächst machen, die bringen keine Steuern. Und außerdem haben Polityuppies keine Kinder, denen stört es doch eher, Kinder neben sich zu wohnen zu haben. Vielleicht kriegten die dann auch noch was von ihren Koksparties mit, das wäre ja furchtbar.