Ver.di: Bsirske im Zweifrontenkrieg
Gewinnhungrige Unternehmen bedrohen die Errungenschaften von Ver.di. Es droht der Verfall in Einzelkämpfer wie die Lokführer. Chef Bsirske gibt sich als Integrator.
Leicht hat es Ver.di-Chef Frank Bsirske nicht. Ein Ziel muss her. Griffig, anschaulich, erstrebenswert, schließlich führt seine Gewerkschaft seit Jahren Verteidigungsgefechte. Bsirske hat jetzt in einer Grundsatzrede das Konzept der "guten Arbeit" zur Leitidee für seine Organisation in den nächsten Jahren gekürt.
Das Eintreten für eine humanere Gestaltung von Arbeits- und Lebensbedingungen bedeute, "zuallererst schlechter Arbeit Grenzen zu setzen", rief Bsirske am Donnerstag vor rund 900 Delegierten im Messezentrum Leipzig. Dort tagt der Ver.di-Bundeskongress. Für viele Menschen sei eine latente Unsicherheit zurückgekehrt, sei es durch Armutslöhne oder befristete Jobs. Aber auch in besser bezahlten Stellen überschritten die Arbeitsbedingungen "immer wieder die Grenze des Zumutbaren", so Bsirske.
Der 55-Jährige kämpft an zwei Fronten, das wurde in seiner fast zweistündigen Rede mehrfach deutlich. Von außen drohen gewinnhungrige Unternehmen, innen droht die Zersplitterung in kleine Berufsverbandsorganisationen. Bsirske griff am Donnerstag Miniverbände wie die Lokführergewerkschaft GDL scharf an. Sie kämpft derzeit unter anderem für einen Gehaltsaufschlag von mehr als 25 Prozent. Dies wertete Bsirske als Versuch, "im Alleingang das Maximale" herauszuholen. "Sie nutzen ihre exponierte Stellung, kündigen der Mehrheit die Solidarität auf, reißen tiefe Gräben im Unternehmen", wetterte Bsirske. Als Beispiele nannte er auch den Marburger Bund und die Pilotenvereinigung Cockpit, die eigenständig Gehaltsaufschläge durchgedrückt hatten.
Die Voraussetzungen, die doppelte Aufgabe zu lösen, hätte Frank Bsirske jedenfalls. Der neue alte Ver.di-Boss ist der große Integrator, und die Ver.dianer stehen geschlossen wie selten hinter ihm - das hat nicht zuletzt die Wiederbestätigung im Amt mit dem fulminanten Ergebnis 94,8 Prozent gezeigt. Auf dem Bundeskongress ließ sich Bsirskes Umarmungstalent immer wieder beobachten: Er herzt Kolleginnen, die Geburtstag haben. Er federt mit großen Schritten vom Podium, um schnell im Plenum eine Hand zu schütteln. Er gibt jedem das Gefühl, ihm wirklich zuzuhören. Dafür lieben sie ihren Frank.
Als das Grünen-Mitglied im Jahr 2001 die Spitze der aus fünf Einzelorganisationen zusammengesetzte Großgewerkschaft übernahm, war längst nicht ausgemacht, dass er sich halten würde. Die Fusion musste organisatorisch gemanagt, harte Tarifschlachten organisiert, die bröckelnde Mitgliederbasis gefestigt werden. Letzteres ist Bsirske bis heute nicht gelungen: Mitte des Jahres zählte Ver.di nur noch 2,23 Millionen Mitglieder, vor sechs Jahren waren es 2,8 Millionen.
Bsirske sieht sein Konzept der "guten Arbeit" deshalb auch als Instrumentarium der Mitgliederwerbung. Der Akzent der nächsten Jahre müsse "ganz bewusst auf eine betriebsnahe Arbeit und eine von den Mitgliedern ausgehende Arbeitspolitik" gesetzt werden, so der Ver.di-Chef. Das Konzept eigne sich, um mehrere tarifpolitische Aktivitäten zu verbinden - zum Beispiel Regelungen zur Weiterbildung, zu flexiblen Altersübergängen oder zur Arbeitszeitverkürzung.
Ein Vorteil von Bsirskes Leitidee liegt auf der Hand - unter "guter Arbeit" lassen sich fast alle Facetten gewerkschaftlicher Arbeit fassen und, fast noch wichtiger, der Begriff ist positiv besetzt. Während es in den vergangenen Jahren um den Kampf gegen immer größere Zumutungen - seien es Minijobs, Arbeitslosengeldkürzungen oder Discounterpraktiken - ging, will Bsirske in die Offensive. Er hat die Gewerkschaft auf Leitthemen wie den Mindestlohn, Altersarmut, Leiharbeit und Rente mit 67 eingeschworen, mit denen er im kommenden Wahlkampf stark mobil machen kann - und die aktuelle Diskussion in der SPD um das Arbeitslosengeld zeigt, wie viel Sprengstoff sie bergen. Der Integrator wird angreifen.
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