Verbandspräsidentin über Winterschwimmen: „Ein magisches Gefühl“
Im argentinischen Gletscherwasser findet dieses Jahr der Winterschwimm-Weltcup statt. Ein Gespräch darüber, warum Menschen ins eisige Wasser springen.
taz: Frau Yrjö-Koskinen, Sie sind eigens aus Finnland zum Winterschwimm-Weltcup am Perito-Moreno-Gletscher im argentinischen Patagonien angereist. Die Wassertemperatur liegt zwischen 2 und 3 Grad Celsius. Gerade sind Sie die 50-Meter-Strecke geschwommen. Wie war das?
Mariia Yrjö-Koskinen: Sehr gut, aber ich war ziemlich nervös. Denn die 50 Meter sind für mich eine lange Strecke, da ich bei Wettkämpfen in kaltem Wasser selten längere Strecken schwimme. Dazu kommt, dass wir in Finnland einen unglaublich heißen Sommer haben. Die Wassertemperatur auf meiner Trainingsstrecke betrug 21 Grad, bei einer Lufttemperatur von 26 Grad. Von diesen Temperaturen in den patagonischen Winter zu kommen, war etwas beunruhigend. Aber ich habe mich im Wasser dann stark gefühlt, und das Schwimmen im prickelnden, milchig-kalten Gletscherwasser ist eines der schönsten Dinge, die es gibt.
61 Jahre alt, kommt aus Finnland und ist eine aktive Winterschwimmerin und Präsidentin der International Winter Swimming Association. Vom 12. bis 18. August nahm sie am Winterschwimm-Weltcup in Patagonien, Argentinien, teil. Rund 150 Schwimmerinnen und Schwimmer hatten ihre Wettkämpfe über 1.000, 500, 200, 50 und 25 Meter Brust- und Freistilschwimmen vor der Nordwand des Perito-Moreno-Gletschers ausgetragen.
taz: Wie sind Sie zum Winterschwimmen gekommen?
Yrjö-Koskinen: In Finnland hat jeder einen Bezug zu Kalt- oder Eiswasser. Es ist einfach ein Teil der finnischen Kultur. Mein Vater hat Löcher in das Eis des Sees vor unserem Haus geschlagen, und wir sind nach der Sauna immer hineingegangen. Deshalb bin ich auch sehr froh, dass auch meine vier Kinder Winterschwimmen betreiben. Bei mir war es so, dass mich ein Freund vor über 25 Jahren zum Winterschwimmen überredet hat. Und es hat mir nicht nur Spaß gemacht, sondern ich habe auch Leute getroffen, die ich aus der Schule und meiner Jugend kannte. Also bin ich dabeigeblieben.
taz: Es soll ja auch gut für die Gesundheit sein.
Yrjö-Koskinen: Ja, Kaltwasserschwimmen ist nicht nur gut für den Körper, sondern vor allem für die geistige und psychische Gesundheit. Ich habe immer noch jedes Mal diese Stimme im Kopf, die mir sagt, dass ich nicht in dieses kalte Wasser gehen soll. Und jedes Mal, wenn ich sie überwinde, löst es dieses magische Ich-hab’s-geschafft-Gefühl aus. Und ein Tipp für alle Frauen: Kaltwasserschwimmen ist extrem gut für eine straffe und geschmeidige Haut. Es lässt einen viel jünger aussehen. Niemand glaubt mir, wenn ich sage, dass ich bald 62 Jahre alt sein werde.
taz: Sie sind aber nicht nur eine aktive Winterschwimmerin, sondern auch Präsidentin der International Winter Swimming Association (IWSA). Wie kam es dazu?
Yrjö-Koskinen: Winterschwimmen war für mich zuerst einfach nur Fun, bis ich Ende der 1990er Jahre eine Anzeige für die Organisation eines Winterschwimmwettbewerbs sah. Und da ich jemand bin, der sich gern engagiert, habe ich mitgemacht. Kleinere Winterschwimmwettkämpfe werden in Finnland seit den 1980er Jahren veranstaltet. Aber so richtig los ging es erst 2006, als wir im Norden Finnlands eine Winterschwimmweltmeisterschaft organisierten und Teilnehmer aus der ganzen Welt einluden. Im selben Jahr haben wir den internationalen Winterschwimmverband IWSA gegründet, und da mich noch niemand herausgefordert hat, bin ich nicht nur Gründungsmitglied, sondern auch die Präsidentin. Allerdings haben wir ein tolles Direktorium, und alle zwei Jahre organisieren wir eine Weltmeisterschaft. An der WM 2014 in Rovaniemi, der Heimatstadt von Santa Claus, nahmen über 1.200 Schwimmer teil.
taz: Mit Ausnahme der Weltmeisterschaft 2016 in der sibirischen Stadt Tjumen fanden sie jedoch bisher alle in Europa statt.
Yrjö-Koskinen: Der Weltcup in Argentinien ist derzeit das einzige große Winterschwimmereignis außerhalb Europas. Die Weltlage hat das so gewollt. 2022 wollten wir die WM in China veranstalten. Aber dann kam die Coronapandemie, und alles musste abgesagt werden. Für 2024 hatten wir die WM an das russische Petrosawodsk vergeben. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als wir die Nachricht vom Beginn des Kriegs in der Ukraine erhielten und klar wurde, dass auch hier alles abgesagt werden musste.
taz: Auch russische Schwimmer nehmen an den Wettkämpfen teil. Gab es eine Diskussion über deren Ausschluss?
Yrjö-Koskinen: Ja, die gab es. Aber letztlich halten wir uns an die Regeln und Vorschriften des internationalen Schwimmverbands World Aquatics, vormals FINA. Und da gibt keinen Ausschluss von russischen Schwimmern. Die Weltmeisterschaft hatten wir nach Tallinn verlegt, an der im März über 1.500 Schwimmer teilnahmen. Worauf ich mich aber schon jetzt besonders freue ist die Winterschwimmweltmeisterschaft zu unserem 20-jährigen Jubiläum im Jahr 2026 in meiner Heimatstadt Oulu.
taz: Aber die Weltcups sind eine Nummer kleiner?
Yrjö-Koskinen: Ja, hier in El Calafate gibt es etwa 150 Schwimmer, aber immerhin aus 14 Ländern. Wir haben die Weltcup-Serie vor sechs Jahren begonnen. Zuvor haben wir auch unsere Kategorien für die Wassertemperatur neu definiert. Wir haben jetzt die Kategorien Eiswasser, Kaltwasser und Normalwasser. Das ermöglicht es uns, die einzelnen Weltcups an kleineren Orten zu veranstalten. Letztes Jahr haben zum ersten Mal einen Weltcup in Marokko gemacht, obgleich die Wassertemperatur nicht unter den für eine Weltmeisterschaft erforderlichen 5 Grad lag.
taz: Das Winterschwimmen beim Perito-Moreno-Gletscher ist zugleich der Auftakt der diesjährigen Weltcup-Serie.
Yrjö-Koskinen: Der Start in Patagonien ist etwas ganz Besonderes. Es ist fantastisch, dass hier Winter ist und wir so unseren Sport das ganze Jahr über ausüben können. Insgesamt wird es vier Weltcups geben. Neben dem in Argentinien wird es einen in Schweden und einen in Polen geben, und wir versuchen, einen weiteren in Marokko zu organisieren.
taz: Warum ist es der einzige Winterschwimm-Weltcup auf den amerikanischen Kontinenten?
Yrjö-Koskinen: In Vermont in den USA gibt es einen kleinen Winterschwimmwettbewerb. Aber für die Durchführung eines Weltcups erfordert es auch die Begeisterung und das Engagement der Menschen vor Ort, zumal fast alles auf ehrenamtlicher Basis organisiert und umgesetzt wird. Dazu müssen Sponsoren kommen, und, was sehr wichtig ist, die Unterstützung der lokalen Behörden und Regierungen, sprich des Bürgermeisters und des Provinzgouverneurs. Kleinere und abgelegenere Orte verfügen meist nicht über die notwendigen Infrastruktur für Anreise, Unterkunft und Versorgungseinrichtungen. Hier in El Calafate ist das alles vorhanden. Die ganze Stadt ist für diese Veranstaltung, zumal sie außerhalb der touristischen Hochsaison stattfindet. Hotels, Restaurants und Souvenirläden haben alle geöffnet. Und von hier aus machen wir uns auf den Weg zu den Wettkämpfen am Gletscher. Und Gletscherwasser ist immer kalt.
taz: Die Wettkämpfe finden jedoch im Gletscher-Naturschutzpark statt, der noch dazu zum Weltkulturerbe der Menschheit gehört. Normalerweise werden solche Events nicht in Naturschutzgebieten ausgetragen. Gab es keine Vorbehalte?
Yrjö-Koskinen: Winterschwimmen ist eine der umweltfreundlichsten Sportarten. Wir brauchen nur Badeanzüge, Badekappen und Schwimmbrillen. Außerdem befinden wir uns an einem touristischen Hotspot, an dem jedes Jahr Tausende von Menschen auf den Metallstegen und Aussichtsplattformen entlang des Perito-Moreno-Gletschers laufen oder Trekkingtouren auf dem Gletscher machen. Wir dringen also mit dem Winterschwimmen nicht in eine unberührte Natur ein. Deshalb gibt es zwar kaum Kritik, aber es gibt strenge Auflagen der Nationalparkverwaltung, die wir erfüllen müssen. Eine ist beispielsweise, dass alle Badeutensilien desinfiziert sein müssen.
taz: Wie viele Kaltwasserschwimmer gibt es?
Yrjö-Koskinen: Ich kann nicht sagen, wie viele es weltweit gibt. Im Vereinigten Königreich gibt es eine große Gemeinschaft von Kaltwasserschwimmern, die schon seit Jahrzehnten besteht. In China weiß man, dass es das Winterschwimmen schon seit über 1.000 Jahren gibt. Unbestritten ist auf jeden Fall, dass die Coronaviruspandemie einen regelrechten Boom ausgelöst hat. Nachdem alle Indoor-Sportstätten schließen mussten, entdeckten plötzlich viele Menschen den See um die Ecke und gingen dort schwimmen. Allein in Finnland hat sich die Zahl der Kaltwasserschwimmer auf eine halbe Million mehr als verdoppelt. Damals gab es einen recht populären Werbespot mit einem Briefträger, der sich beim Austragen der Post schnell mal auszog, in das kalte Wasser eines Sees springt, eine Runde schwimmt und dann weiter die Briefe austrägt.
taz: Und wann wird Winterschwimmen zu einer olympischen Sportart?
Yrjö-Koskinen: Neben der International Winter Swimming Association gibt es die International Ice Swimming Association (IISA), die 2008 in Südafrika gegründet wurde. Die ist stärker auf Wettkämpfe ausgerichtet, hat strengere Regeln, und wer an deren Meisterschaften teilnehmen will, muss sich qualifizieren. Möglich, dass sich dieser Internationale Eisschwimmverband einmal um eine Zulassung bei den Olympischen Winterspielen bemüht. Nach einer gründlichen Debatte sind wir davon abgekommen. Unsere Wettkämpfe sind für alle offen. Wie haben 15 Altersklassen und 17 Schwimmdisziplinen, es ist also für jeden etwas dabei. Wenn wir einem jungen Mädchen oder einem über 90-Jährigen eine Medaille überreichen können, dann ist das wunderbar. Wir wollen einfach die große internationale Winterschwimmfamilie zusammenbringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen