Verbale sexuelle Belästigungen in Berlin: Miau mich nicht an, Mann!
Catcalling stellt für viele Frauen eine alltägliche Bedrohung dar. Eine Streetart-Initiative kämpft dagegen an und fordert gesetzliche Verschärfungen
taz |
Die sexistischen Kommentare sind keine rein saisonale Erscheinung, sie sind treue, alljährliche Begleiter. Aber im Sommer, wenn Frauen sich leicht bekleidet durch die Stadt bewegen, nehmen sie erst richtig an Fahrt auf. Den Vorgeschmack, den die ersten Sommertage in Berlin auf die diesjährige Catcalling-Saison gegeben haben, reichen für die ein oder andere Frau schon aus, um sich die kältere Jahreszeit der übergroßen Hoodies zurückzuwünschen.
Um auf das Problem von Catcalling, also verbaler sexueller Belästigung im öffentlichen Raum, aufmerksam zu machen, setzen sich die Aktivist*innen von Catcalls of Berlin ein. Die Initiative sammelt per Privatnachrichten auf Instagram Vorfälle (verbaler) sexueller Belästigung und schreibt diese mit Kreide am Ort des Geschehens auf die Straße: „Na ihr zwei Schnecken? Ich habe richtig Bock euch durchzuficken“, steht etwa am Hauptbahnhof. „Geiler Arsch, schade, dass deine Titten so klein sind“, am S-Bahnhof Lichtenberg.
Die angekreideten Kommentare fotografieren und posten sie zusammen mit der anonymisierten Nachricht auf ihrem Instagram Account @catcallsofberlin. Ziel ist es, damit „den Ort für die betroffene Person zurückzuerobern“ und Menschen, die daran vorbeilaufen, darauf aufmerksam zu machen, dass dort Belästigung stattfindet, sagt Lisanne Richter, die Vorsitzende von Chalk Back Deutschland, dem Dachverband der deutschen @catcallsof Accounts, die es mittlerweile in 127 Städten gibt. Sie sind eine Zweigstelle der internationalen Organisation Chalk Back, die 2016 mit @catcallsofnyc begann.
Betroffene werden für die Vorfälle verantwortlich gemacht
Dass man als Frau gar nicht freizügig gekleidet sein muss, um Catcalling zu erfahren, darauf machte damals das Video „10 Hours of Walking in NYC as a Woman“ der feministischen Initiative Hollaback! aufmerksam. Dabei lief eine Schauspielerin zehn Stunden lang mit versteckter Kamera durch New York. Das Ergebnis: 108 Männer sprachen sie an, von kurzen Begrüßungen bis hin zu verbalen sexuellen Belästigungen. Die Schauspielerin trug eine Jeans und ein schwarzes T-Shirt.
Trotzdem würden Betroffene häufig für diese Art der Belästigung verantwortlich gemacht, sagt Richter. Das zeige etwa ein Vorfall am U-Bahnhof Seestraße, den die Initiative postete: Ein Mann streichelte einer Frau den Arm, warf ihr einen Kussmund zu und sagte, sie müsse damit rechnen, wenn sie so angezogen sei.
Sexuell belästigende Aussagen würden zudem oft als Komplimente abgetan. „Hey Tussi, schön siehste aus!“, sagten etwa zwei Männer einer Frau am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße. „Du könntest wenigstens Danke sagen!“ Erinnert uns bitte noch mal: wofür? „Einige der Täter*innen denken, das sei witzig oder ein Flirtversuch“, so Richter. „In einem patriarchalen System kann man sich das einreden.“ Andere würden das Machtgefälle bewusst genießen. Diese Macht umzudrehen – und den öffentlichen Raum zurückzuerobern –, darum geht es den Aktivist*innen.
Wie in den allermeisten Ländern ist Catcalling als berührungslose Belästigung auch in Deutschland nicht strafbar. Geahndet werden kann es höchstens als Beleidigung nach Paragraf 185 StGB, der die Ehre schützt. Dabei gebe es eine Gesetzeslücke, sagt Richter. „Viele Sprüche, bei denen Menschen sich bedroht oder degradiert fühlen, fallen nicht darunter.“ „Du Schlampe“ etwa gelte als Beleidigung der Ehre, „geiler Arsch“ hingegen nicht. Womöglich liegt in diesem Verständnis von Ehre das Problem.
Catcalling ist in Deutschland bislang nicht strafbar
Während die schwammigen Grenzen dieser Mikroaggressionen das deutsche Rechtssystem vor Herausforderungen stellen, gilt Catcalling in Frankreich, Belgien, Portugal und den Niederlanden bereits als mit Geldstrafen bewehrte Straftat. In Deutschland unterzeichneten 2020 knapp 70.000 Menschen eine Petition für eine Gesetzesverschärfung. Passiert ist bislang nichts. Anfang des Jahres hat die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) angekündigt, im Rahmen der Justizminister*innenkonferenz im Juni eine Bundesratsinitiative für eine entsprechende Gesetzesänderung auf den Weg bringen zu wollen.
Das ist auch dringend nötig, denn die Auswirkungen sind gravierend. Wenn Frauen ständig objektifiziert werden, neigen sie dazu, sich öfter zu objektifizieren und ihre Körper zu überwachen. Zudem handelt es sich um einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung: Viele Frauen wählen oftmals alternative Routen, um dem Pfeifkonzert an bestimmten Orten zu entgehen.
Für physische sexuelle Belästigung hingegen können Täter*innen in Deutschland mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden. Auch solche Vorfälle zeigt der @catcallsofberlin-Account en masse. „Er fasst mir von hinten an die Hüfte und drückt sein Gesicht an meinen Po“, lauten die Erfahrungen einer Frau am Bahnhof Zoo, „beim Vorbeigehen griff er mir in den Schritt“, die einer Frau am Ostkreuz. Doch auch in strafrechtlich verfolgbaren Fällen sei eine Anzeige oftmals nur schwer möglich, da Täter*innen den Ort des Geschehens meist schnell verließen, oder die betroffene Person, um weitere Übergriffe von sich abzuwenden, so Richter.
Egal, wo man in Berlin als Frau unterwegs ist, vor verbalen und physischen sexuellen Belästigungen ist man nirgends sicher. Als der Mann unvermittelt meine Größe und Statur kommentierte, fiel mir spontan kein besserer Konter als das altbewährte „Halt dein Maul“ ein. Dabei hatte ich mir doch letztes Mal vorgenommen, die einzig wirklich relevante Frage zu stellen: Wie kommst du darauf, dir anzumaßen, über mein Aussehen zu urteilen?
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