piwik no script img

„Vegetarier sind gesund und sexy“

■ Und sehen gut aus. Walter Saller, Vegetarier und Soziologe, sagt, wo der Wurm wirklich drin ist: Fleischessen ist unästhetisch

taz: Sie sind seit zehn Jahren Vegetarier – aus „ästhetischen Gründen“. Was ist denn darunter zu verstehen?

Walter Saller: Die Barbarei der Massentierhaltung, der Tötungsmaschinen, der Schlachthöfe – das alles hat mir den Appetit verdorben.

Appetit und Geschmack lassen sich nicht rational steuern, sie bahnen sich ihren eigenen Weg ...

Über Geschmack läßt sich streiten. Nach einem Besuch im Schlachthof aber nicht mehr. Dann bleibt nur noch eines: Ekel.

Trotzdem haben Sie einmal im Jahr mit bayrischer Weißwurst gesündigt.

Die Verfehlung gehört zum katholischen Menschen. Und nach der Sünde kommt die Buße – ein fleischloses Jahr. Aber ernsthaft: Der Heißhunger auf Fleisch verliert sich schneller, als man denkt. Nach einem halben Jahr war das schlimmste überstanden. Und nach ein, zwei Jahren erscheint einem das Essen von Fleisch so absurd wie der Verzehr von Kakerlaken und Ratten.

In anderen Kulturkreisen ist die Ratte ein schmackliger Happen, der mit Wonne verzehrt wird.

In Mitteleuropa steht die Ratte nun mal für Seuchen, Krankheit und Tod.

Eine schlechte Nachricht für Sie: Tiefkühlspinat hat einen Anteil von fünf Prozent Feldmäusen. Das hat eine Untersuchung gezeigt.

Na und? Im Weizen ist Rattenkot, im Blumenkohl sind Schmetterlingslarven, im Apfel wohnt der Wurm. Da beginnt der Magenfundamentalismus.

Wie geht es dem Vegetarier, wenn er jetzt die Bilder und Kommentare aus Großbritannien sieht und hört? Schadenfroh, bestätigt oder einfach nur angewidert?

Wer kranke Tierkörper verschreddert und verfüttert, darf sich nicht wundern, wenn er Seuchen erntet. Aber es ist keine Schadenfreude. Wer kann sich schon freuen, wenn Menschen erbärmlich an der Creuzfeldt-Jakob- Krankheit zugrunde gehen?

Der Mensch ist als Gemischtköstler konstruiert worden. Die gesündeste Ernährung ist nicht die fleischlose, sondern die mit wenig Fleisch.

Stimmt. Aber ohne geht's auch. Und dazu muß man nicht unbedingt leben wie der heilige Franz von Assisi. Vegetarier sind gesund, sexy, sehen gut aus. Und sie leben länger.

Und wo bleibt der Jagdinstinkt? In den archaischen Gesellschaften haben die Männer die Eiweißbeschaffung organisiert und wurden, wenn sie mit der erlegten Beute zurückkamen, dafür mit Sex belohnt.

Die anthropologische Forschung hat diesen Mythos eindeutig widerlegt. Nicht die Männer, sondern die Frauen haben 90 Prozent der Kalorien aufgetrieben: Nüsse, Beeren, Früchte, Eicheln. Wildschweinbraten gab's höchstens zweimal im Jahr. Und danach gab's auch keinen Sex, sondern ein Nickerchen. Voller Bauch kopuliert nämlich nicht gern. Interview: Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen