VEREINSLEBEN

■ „Kunst am Wasser“ an der Scharfen Lanke und Stattmusik „Windorgel“ in der Oranienstraße

Offenbar erscheint einem die Kunst am angenehmsten, wenn sie gar nicht in Erscheinung tritt. Zum Beispiel, wenn man auf der Suche nach einer voraussichtlich minimalistischen Performance/Aktion/Inszenierung/Installation im öffentlichen Raum den Zweck seines Spaziergangs vergißt. Vor lauter rumgucken. Stößt man dann überraschend auf das Kunstdelikt, ist einem das meistens etwas peinlich (deswegen gekommen zu sein). Aber der Zweck, auf einen speziellen „Raum“ verwiesen zu haben, kann nicht als unerfüllt bezeichnet werden.

An der Scharfen Lanke in Spandau zeigt ein erstes Ereignisschild: Alle Parkplätze besetzt. Also gehn wir ein bißchen zu Fuß. Das Seeufer säumt Vereinsburg an Clubhaus. Rechts des Weges rostfreie Autos mit breiten neuen Reifen, links der ASV (Akademischer Segel Verein), Spandauer Yachtclub, Schultheiß im Blau-Rot, Sport und Anglerverein Buchsfelde e.V., Grundbesitzerverein Weinmeisterhorn, Leinenzwang für Hunde, Dresdenia, Hellas Titania usw. An freundlichen Infotafeln wird das Sommerfest mit der Candy -Band annonciert, bei Hellas hängt eine Karte mit „Unserer Ruderheimat bis 1945“ im Schaukasten.

In der Marina-Lanke-Werft ist Tag der offenen Tür, deshalb stehen zwei Burschen am Eingang und verteilen einen Programmzettel und die Teilnahmeberechtigung an einer Tombola. Fiete aus Hamburg am Akkordeon, 15 Uhr: Das kleine Hafencarillon plömpert flautig vor sich hin. „Natascha“ und „Schrippe“ heißen zwei Boote.

In der Bootshalle führt ein Kapitän Brandmalerei vor, in jüngster Zeit tauchen neben seinem Hauptmotiv „Schiff in Seegang“ vermehrt kindlich glotzende Robben auf. „Soll ich lieber Unterschriften sammeln?“ entschuldigt er sich. Man kann Trockenboote besteigen, weiße Plastikschalen, die mit Knallplastikfolien vor Nutzungsspuren geschützt sind. Aus einer Musterkabine geifert naturfellne Gemütlichkeit, aber bloß „Papi Papi“ rufende Kinder in Polohemden wagen sich in die Kitschkombüse. Für Erwachsene wartet eine Sektbar auf, in der die Bedienungen vornehmer sind als die salopp -maritime Freizeitmischung. Bratwürste und Scampis in Würzsoße.

Im alten Bootshaus ist eine Kunstausstellung. Gemälde von Gewässern, Wellen, der Deich („Ja, so sieht er aus“), ein Schiff wird kommen und wir bleiben trotzdem hier auf dem Balkon und spielen weiter Skat (Ernst Leonhardt zwischen Modersohn und Grosz). Ein Schultheißnolde. Der „Dekomponist“ Thomas MM o.ä. wird unverstanden bleiben, was er sicherlich produktiv kompensieren können wird. Hofft man wenigstens, sonst wärs ziemliche Zeitverschwendung, selbst für ihn.

Ganz bescheiden funktioniert die „Windorgel oder -harfe“ von Udo Idelberger im dritten Hinterhof der Oranienstraße 183. Bloß einer dieser schönen Höfe aus weißem Klinker gemauert, mit vielen Aufzügen und dem Himmelfleck in der Mitte. Ein paar Dosen an dünnen Fäden, die Windorgel. Wolken fetzen durchs Viereck, es pfeift ein bißchen, dezent dissonant, sonst nicht viel. Die Abwesenheit des Ereignisses hallt ein wenig nach. Man holt Luft, es singt leise. Fast Innerlichkeit ergreift einen, da fällt einem ein wie es wär, mit dem Luftgewehr auf die Dosen zu schießen. Aber da ist man schon fast wieder auf der Straße.

Höge/Vogel