Utopia-Kongress in Berlin: Klimaschutz-APO gefordert
Die Bürgergesellschaft muss politisch agieren, um die Krisen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Das ist eine Botschaft des Kongresses des Internetportals Utopia in Berlin.
BERLIN taz | Die Bürgergesellschaft muss ihr bürgerliches Mandat wahrnehmen, um im Kampf gegen den Klimawandel und die Krisen des 21. Jahrhunderts erfolgreich zu sein. Das dürfte die Botschaft des utopia-Kongresses an diesem Donnerstag sein. Verantwortungsbewusster Konsum reiche nicht, "tut mir leid", sagte der Sozialpsychologe Harald Welzer im Berliner Radialsystem. Das Nachhaltigskeitsportal Utopia und seine 50.000 registrierten Utopisten könne zwar einen Teil der Lösung herausbilden, nun aber gehe es darum, die Klimaschutz-Aktivitäten nicht im Privaten zu belassen, sondern "in politische Formen, auch in Formen des Protests" zu gießen. Es brauche eine neue APO, zu der vor allem auch Eliten gehören müßten, weil diese große Handlungsspielräume hätten. Und darum gehe es: Sämtliche Handlungsspielräume zu nutzen. Damit das möglich wird, fordert er eine veränderte "kulturelle Praxis." Die bestehende kulturelle Praxis sei "eine Fehlentwicklung".
Utopia.de, Deutschlands größte Internet-Community für nachhaltigen Lebensstil, hatte "Changemaker" aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien zur Utopia Konferenz nach Berlin geladen. Motto: "Roadmap for the next ten years - die größten Hebel für einen Wandel".
Im Falle Welzers ist der Titel "Changemaker" nicht übertrieben. Er hat gerade zusammen mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie eine globale Bestandsaufnahme mit dem Focus Klimawandel herausgebracht. Titel: "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten". In einem furiosen Kurzreferat benannte er als Ursache der Probleme das Prinzip des westlichen Systems, das seinen Treibstoff aus dem Rest der Welt bezogen habe. Das funktioniere demnach nur als partikulares, nicht als globales System, weil es nun kein "Außen" mehr habe, um diesen Treibstoff zu beziehen. Folge: Eine "illusionäre Welt", in der die CDU/CSU/FDP-Regierung "Wachstum" als Inhalt definiere und ein "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" erlasse.
Der "Problemslösungsmodus unserer Gesellschaft" kennt nach Welzer (52) nur zwei Vorgangsweisen: Ignorieren. Und vertagen. Die "Lösung", die man im Moment verfolge, sei eine Verlagerung des Außen aus dem Räumlichen in das Zeitliche. Statt des Restes der Welt werde die Zukunft ausgeplündert. Moralisch oder einfach nur klar gesagt, definiert Welzer den Lebens- und Politikstil der erwachsenen deutschen Gesellschaft als Ressourcendiebstahl der Welt ihrer Kinder. Oder noch klarer: Die Gesellschaft tut alles dafür, dass es ihre Kinder einmal schlechter haben.
Der dänische Internet-Multiunternehmer Morten Lund, 37 ist Vater von vier Kindern, Gründer unzähliger Start-Ups wie Skype, Multimillionär und Bankrotteur. Er definiert die Weltfinanzkrise als "Chance für die Guten". Es sei eine Zeit, in der die "Arschlöcher" und die Feigen sich verkriechen würden. Er glaubt "Gute Menschen können auch mit schlechten Ideen Erfolg haben".
Der Kongress hat sich der Suche nach den "großen Hebeln" für eine ökosoziale Zukunft verschrieben. Lund dürfte so gesehen pars pro tot für den "neuen Unternehmer" stehen, der diese Zukunft unternehmerisch und mit einem Style-Mix aus zeitgemäßer Moral, Knowhow, Netzwerk und extremer Energie angeht. Welzers Hebel ist das neue gesellschaftlichen Engagement, das die vielbeschworene Ordnungspolitik möglich macht und dann auch stützt. Weitere Big Points wurden am Nachmittag gesucht. Ein weiterer Höhepunkt am Abend: Die Verleihung der utopia-Awards bei einer von Sandra Maischberger moderierten Gala. Der Preis für "Vorbilder" wird in Zusammenarbeit mit der taz verliehen. Die Konferenz kann auf www.utopia.de per Live-Stream mitverfolgt werden.
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