Urteile gegen Schwule: Späte Rehabilitierung
Urteile über Schwule, die wegen Unzucht vor Gericht landeten, sollen pauschal aufgehoben werden. So will es Justizminister Heiko Maas.
![Zwei Männerhände halten einander Zwei Männerhände halten einander](https://taz.de/picture/1306746/14/16235838.jpeg)
Justizminister Heiko Maas (SPD) will verurteilte Schwule rehabilitieren und entschädigen. Das sieht ein vierseitiges Eckpunktepapier vor, das der taz vorliegt. Die Strafverfolgung von homosexuellen Männern sei „menschenrechtswidrig“ gewesen.
Die Bestrafunf von „widernatürlicher Unzucht“ zwischen Männern hat in Deutschland eine lange Geschichte. Sie war schon vor dem Faschismus strafbar. Ab 1935 konnten aber neben Anal- und Oralverkehr sogar sexuell motivierte Umarmungen mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Während viele NS-Gesetze nach 1945 wieder aufgehoben wurden, blieb die Bestrafung von Sex zwischen Männern sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR bestehen. 1957 bestätigte sogar das Bundesverfassungsgericht die Strafvorschrift. In Westdeutschland kam es ab 1945 zu 45.000 bis 50.000 Verurteilungen. In der DDR war die Verfolgung weniger intensiv. Erst Ende der 60er Jahre wurde Sex zwischen Männern in Ost und West straffrei.
Die Urteile der Nachkriegszeit sollen nun durch ein Gesetz pauschal aufgehoben werden, so das Eckpunktepapier des Justizministers. Ein individueller Antrag der Betroffenen ist nicht erforderlich. Erfasst werden auch Urteile der DDR-Justiz. Nur Handlungen, die auch heute noch strafbar wären, etwa Sex mit Jungen unter 14 Jahren, sollen in dem Aufhebungsgesetz nicht erfasst werden.
Maas will die Betroffenen zudem individuell entschädigen. Mit welchen Summen die Zeit im Gefängnis dann vergolten wird, steht aber noch nicht fest. Neben der Haftzeit sollen auch Geldstrafen und Verfahrenskosten entschädigt werden. Beobachter rechnen nicht mit vielen Anträgen. Ein Großteil der Betroffenen dürfte schon tot sein. Außerdem schämen sich viele der Männer heute noch ihrer Sexualität.
Neben der individuellen Entschädigung soll es daher auch eine „Kollektiventschädigung“ geben. Maas schlägt hierfür vor, die „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ finanziell zu stärken. Die Stiftung erforscht unter anderem die Diskriminierung von Homosexuellen.
Das Ministerium will sein Konzept in der kommenden Woche den Fraktionen der Großen Koalition vorstellen. Vermutlich hat Maas aber bereits positive Signale erhalten. 2015 sagte der Minister noch, er werde die Rehabilitierung erst dann auf den Weg bringen, wenn sie auch politisch durchsetzbar ist: „Eine Ablehnung durch die Politik wäre für die Betroffenen wie eine zweite Verurteilung.“ Der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak begrüßte am Freitag die Initiative des Justizministers.
Bisher wurden Unrechtsurteile der NS-Zeit nur pauschal aufgehoben. Ein Gesetz von 1999 erfasste dabei auch die Verurteilungen von Schwulen.
Die Verurteilungen der Nachkriegszeit wurden zwar in einer Resolution des Bundestags im Jahr 2000 einstimmig als Verletzung der Menschenwürde eingestuft, eine formelle Aufhebung ist bisher aber nicht erfolgt. Eine entsprechende Initiative des Bundesrats lehnte 2012 die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ab, weil die Aufhebung von Gerichtsurteilen durch den Bundestag ein Eingriff in die Gewaltenteilung sei.
Im Mai veröffentlichte jedoch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein Gutachten des Rechtsprofessors Martin Burgi. Dieser empfahl ein Aufhebungsgesetz und sah auch keine verfassungsrechtlichen Probleme. Der Rechtsstaat könne hier seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur unter Beweis stellen. Darauf beruft sich nun auch Maas.
Die Grünen forderten ihn zur Eile auf. „Die Zeit drängt, die Betroffenen sind betagt“, erklärte der Abgeordnete Volker Beck. Neben den Verurteilten sollten auch Männer entschädigt werden, die aufgrund von Ermittlungen Job oder Wohnung verloren haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm