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Urteil zur EuropawahlDrei-Prozent-Hürde verfassungswidrig

Sieg für die kleinen Parteien: Das Verfassungsgericht kassiert die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen. Schon die Wahlen im Mai müssen nach neuen Regeln stattfinden.

Und weg: Das Bundesverfassungsgericht um den Vorsitzenden Andreas Voßkuhle hat gegen die Drei-Prozent-Hürde geurteilt. Bild: dpa

KARLSRUHE dpa/afp/taz | Das Bundesverfassungsgericht hat die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Damit gibt es bei der Europawahl im kommenden Mai keine Sperrklausel, die den Einzug kleiner Parteien ins Parlament verhindert.

Die Drei-Prozent-Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung am Mittwoch in Karlsruhe. Drei der acht Richter stimmten gegen die Entscheidung.

Bei Europawahlen kann jeder Mitgliedstaat die Details des Wahlrechts selbst regeln. Die Karlsruher Entscheidung hat keine absehbaren Auswirkungen auf das Wahlrecht bei Bundestags- und Landtagswahlen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2011 die damals geltende Fünf-Prozent-Hürde im Europawahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin beschloss der Bundestag im vergangenen Jahr eine Drei-Prozent-Klausel. Hiergegen klagten 19 Gruppierungen - von der Piratenpartei über die Freien Wähler bis zur rechtsextremen NPD.

Gegen das Ziel des Machterhalts

Das Wahlrecht unterliege einer strengen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, sagte Voßkuhle. Gerade bei der Wahlgesetzgebung bestehe die Gefahr, „dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt“.

Die Stimme jedes Wählers müsse grundsätzlich denselben Zählwert und die gleiche Erfolgschance haben, sagte Voßkuhle. „Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.“ Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien erfordere zudem, dass jeder Partei gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden. Ausnahmen seien nur durch gewichtige Gründe zu rechtfertigen.

Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob die Sperrklausel nötig ist, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. „Das ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall“, sagte Voßkuhle. Dies könne sich allerdings in der Zukunft ändern - etwa, wenn das Europäische Parlament ähnlich wie der Bundestag eine stabile Mehrheit für die Wahl und Unterstützung einer Regierung brauche. Zwar werde eine solche Entwicklung des Europäischen Parlaments angestrebt. „Die Entwicklungen stecken aber hier noch in den Anfängen.“

Das Europäische Parlament hat derzeit 766 Mitglieder. Sie werden alle fünf Jahre von den Wahlberechtigten der 28 EU-Mitgliedstaaten gewählt. Aus Deutschland sind 99 Abgeordnete gewählt. Nach der kommenden Europawahl im Mai soll die Zahl der Abgeordneten geringfügig verringert werden. In Deutschland wird am 25. Mai gewählt.

Es geht um 96 Sitze

Die Frage, mit wieviel Prozent eine Partei in das nächtes EU-Parlament einziehen wird, ist „ein bisschen kompliziert“, sagte Klaus Pötzsch, Sprecher des Bundeswahlleiters, der taz. Bei der Wahl im Mai geht es um 96 Sitze für deutsche Abgeordnete. Ab 1,05 Prozent der Stimmen hat eine Partei damit einen Sitz sicher, erklärte Pötzsch.

Tatsächlich könnten aber auch ein paar Stimmen weniger reichen. Denn es komme auf Rundungsfragen an - und auf die Zahl der Stimmen, die die sonstigen Parteien erzielen, die auch ohne die bisherige Hürde keinen Sitz bekommen, weil sie deutlich unter einem Prozent liegen.

Bei der letzten Europawahl im Jahr 2009 bekamen diese insgesamt rund 5,7 Prozent der Stimmen. Daraus lässt sich errechnen, dass bei dieser Wahl schon 0,98 Prozent der Stimmen für einen Sitz gerreicht hätten. Genau wisse man das aber erst, wenn am 25. Mai der letzte Wahlkreis ausgezählt wird, so Pötzsch.

Gewichtige Gegenstimmen

Gewichtige Stimmen hatten sich in der mündlichen Verhandlung im Dezember für den Erhalt der Drei-Prozent-Klausel ausgesprochen, darunter auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Die Führung der Unionsfraktion im Bundestag stellt sich dennoch darauf ein, dass die Karlsruher Richter die Regelung kippen könnten. „Ich war von Anfang an skeptisch bei dieser Regelung, inzwischen halte ich die Chancen für sehr gering, dass das Gericht unseren Argumenten folgt“, sagte Fraktionsjustiziar Helmut Brandt (CDU) dem Spiegel.

Nach den Berechnungen des Bundeswahlleiters wären ohne Sperrklausel 2009 sieben weitere Gruppierungen aus Deutschland in das Europäische Parlament eingezogen: Freie Wähler, Republikaner, Tierschutzpartei, Familien-Partei, Piraten, Rentner-Partei und die ÖDP (Ökologisch-Demokratische Partei). Die Details der Wahlen zum EU-Parlament darf jeder Mitgliedsstaat selbst regeln. (AZ: 2 BvE 2/13)

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17 Kommentare

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  • F
    Frost

    Hartz IV vertößt auch gegen die Verfassung. Aber das interessiert das BVG ja bekanntlich nicht. Um dem abzuhelfen würden sie ja die düpieren,die sie ins Amt gesetzt haben.

  • Was soll's ? Das EU-Parlament bleibt auf absehbare Zeit ein "symbolisches" Parlament , eine Art gemeinsames Demokratie-Übungsparlament für die EU-BürgerInnen , ein 'Operetten'-Parlament , dem man jüngst ein paar Kompetenzen zugestanden hat , damit das nicht so auffällt .

  • . EU , der Speedy Gonzales Laden in Sachen Entscheidungen

    Ich kann mich noch an einen Satz von dem damaligen US Außenminister * Henry Kissinger * erinnern der sich damals beschwerte an die Europäer in der EWG der Vorläufer der heutigen EU , damals noch mit 15 Mitgliedsstaaten .

    * Wen zum Teufel kann ich anrufen an Kompetente Leute in eurem Laden mit Befehlsgewalt , wenn die Welt brennt und sofort Entscheidungen getroffen werden müßen *

    Tja , es gab keine die schnell Verantwortung und Kompetenz im Ernstfall übernehmen wollten für den Europa Laden .

    Ich mochte die Politik die Kissinger vertrat nie , aber damit hatte er recht und das ist bis heute so geblieben .

    Die Vergangenheit bis heute sind die besten Beweise wie die EU tickt . Die reinste Tohuwabohu Uhr wenn überhaupt .

    mfg BB

  • F
    Frost

    Das Bundesverfassungsgericht:>Drei Prozent-Hürde Verassungswidrig

  • S
    Sören

    Das Verfassungsgericht hat sicher recht mit der Feststellung, dass eine %-Hürde für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht nötig ist. Aber dieser Zustand kann und wird sich in Zukunft ändern, deswegen ist es kein besonders zukunftsweisendes Urteil.

     

    Die 5%-Hürde hat sich in Deutschland bewährt. Es gibt sie seit 60 Jahren, und sie ist jedem Wähler bekannt. Wenn die Leute eine Partei unbedingt im Parlament sehen wollen, geben sie ihr genug Stimmen. Die Hürde ist gut, um Splitterparteien aus dem Parlament zu halten, und sie sorgt für den Abgang verbrauchter Parteien (wie der FDP, die kaum einer vermisst).

     

    Die Deutschen wünschen sich in der Politik vor allem Ruhe und Ordnung, und ganz sicher keine italienischen Verhältnisse. Diesem Umstand sollte man nicht ignorieren.Der Stimmenanteil der Volksparteien hat bei der letzten Wahl deutlich zugenommen.

     

    Die Volksparteien haben es heute schwerer, weil die Gesellschaft sich verändert hat, und sie ihre Strukturen nicht modernisiert haben. Zu glauben, dass ein Wandel durch kleinere Parteien kommen kann, ist mit Blick auf die Piraten mindestens naiv. Sie sind kaum eine Bereicherung in den Landesparlamenten.

    • S
      spassvogel
      @Sören:

      Genau, am besten eine 30%-Hürde für die Bundestagswahl im Sinne minimaler Zersplitterung und maximaler Stabilität einführen. Dann kann Mutti endlich mit einer bombenstabilen Regierung agieren wie der nordkoreanische Hefekloß in Pjönjang.

  • Auch wenn es gute Gründe gibt für die 3% Sperrklausel!

    Sperrklauseln im Wahlrecht sind undemokratisch. Sie verstoßen gegen die Grundrechte von Wahlgleichheit und Chancengleichheit der Parteien. Für mich sind viel wichtiger die Reglungen der Geschäftsordnung des EU-Parlaments!

  • EU und seine bald neuen Politnix Abgeordneten . Uffff

     

    Tja , ehrlich gesagt ich blickt das ganze EU Gedöns nicht mehr .

     

    Ich habe keine Ahnung mehr Wer für Was steht , außer das eine Reglementierung nach der anderen wie die Sau durch das Dorf getrieben wird und xxxxx Milliarden für Zweifelhafte Projekte usw usw usf durch die Luft fliegen und irgendwo versenkt werden .

    Nun fällt die 3 % Hürde , was bedeutet das ? Noch mehr Abgeordnete von dubiosen Parteien wie die AfD , NPD usw im EU Monster Parlament in Brüssel ? Noch mehr Gelder für Abgeordnete und ihren Extras ?

    Die EU ist ja jetzt schon ein lahmer Haufen in ihren Entscheidungen mit noch mehr Abgeordnete , ergo, dauern wichtige Entscheidungen noch länger als wie bisher erträglich ist .

    Außerdem fehlen mir schon sehr lange Konzepte der EU wohin die eigentlich steuern mit welchen Zielen ?

    Der EU Bürger wird ja auch nicht mehr mitgenommen , der hat den Brei zu essen was ihm vorgesetzt wird .

    Bedeutet das jetzt mit Abschaffung der 3% Hürde ... * Wir gründen eine Partei der " Rosenzüchter " und schwups ist man als Abgeordneter im EU Parlament mit satten Diäten ? * , oder was ?

    Naja, die EU als ABM Sammelstelle für nicht bekannte , nutzlose Politiker Existenzren . Na Prima .

    mfg BB

    PS : Ich weiß nur eins , meinen Staubsauger muß ich auch bald abgeben , der hat zu viel W und soll mir einen teuren neu kaufen nach EU Richtlinien .

    Es gibt nur grade EU Salatgurken und anderes genormtes Gemüse , alles andere landet auf den * EU BIO Komposthaufen *

    Bin ich auch schon EU Richtlinie geworden und habe es nicht gemerkt ?

    BB .

  • Es ist ein Teil der Besatzungspolitik, auch wenn dieses Wort ein Lieblingsbegriff gewisser Realisten ist. Und ich sicher mehr Vertragen in die NSA habe als in den deutschen Verfassungssschutz. Wulff und Edathy haette es in den USA nicht gegeben. Daran kann auch keine gruene Polizistin etwas aendern. Wir muessen uns als ehemalige Feinde mit den Aliierten auf Augenhoehe bewegen und selbst fuer uns selbst Verantwortung tragen.

  • G
    Gast

    Man fragt sich dann natürlich, warum es okay ist, wenn es eine 5% Hürde zu überspringen gilt, um ins Deutsche Parlament einzuziehen. Immerhin sind bei der letzten Bundestagswahl vor nicht einmal einem halben Jahr circa 15% der gültig abgegebenen Stimmen unwirksam geworden.

    • @Gast:

      Wie in vielen Medienberichen bereits erwähnt liegt das an den deutlichen Unterschieden beider Parlamente.

      Erstens ist der Bundestag notwendig um eine stabile Regierung zu bilden, wohingegen die EU-Kommision nicht vom EU-Parlament gewäglt wird und daher nicht für eine stabile Regierungsbildugn notwendig ist.

      Zweitens hat das EU-Parlament eh schon eine Unzahl von Parteien im Parlament (ich glaube so knapp 170), da es ja unterschiedliche Parteien aus allen EU-Ländern gibt. Da macht es schlicht keinen groén Unterschied, ob da noch 5, 6 oder 7 dazukommen. Im deutschen Bundestag hätte es aber natürlich große Auswirkungen, ob jetzt 3, 4, 5 oder 15 Parteien im Bundestag sitzen.

       

      Damit meine ich auch nicht, dass die 5% Hürde im Bundestag unbedingt angemessen ist (zumindest ihre Höhe), aber man kann diese beiden Fälle einfach nicht gleichsetzen.

      • M
        Marco
        @Dubiosos:

        entweder solche Hürden sind verfassungswidrig oder nicht

         

        es ist dich eine fragwürdige Unterscheidung

         

        wenn dir verfassungmäsigkeit von der politischen Bequemlichkeit abhängt

         

        nur etwas nur verfassungmäsig ist, weil es einfacher (für die großen Parteien) ist einen Bundestag mit 5% hürde zu haben

         

        wenn die verfassungsmäsigkeit von der Bequemlichkeit abhängt

         

        und nicht auf Prinzipien der Demokratie und der Menschrechte beruht

         

        dann gute nacht Demokratie gute nacht Menschenrechte, wäre schön gewesen euch näher kennengelernt zu haben

  • L
    lord

    So ein Quatsch. Mal stelle sich vor die 5 Prozent Huerde faellt fuer Deutschtland. Das bedeutet Grosse Koalition bis in alle Ewigkeit mit einem Haufen Regierungsunfaehiger Splitterparteien in der Opposition. Soll so unser Parlament aussehen?

    • @lord:

      Es koennten auch ganz wunderbare Konstellationen wie in Italien entstehen. Warum denn eigentlich nicht? Der Deutsche ist immer azutomatisch autoritaetrsglaeubig, bis hin zu Edathy. Die Bayern sind alle Anarchisten und fahren gut damit!

    • @lord:

      Wenn es das ist, was das Volk will, dann ja. Dann das bedeutet ja Demokratie.

  • Ich bin sehr gespannt, inwieweit sich der Einzug von kleinen Parteien auf die reale Politik auswirkt und ob sich die diskutierte "Gefahr der Zersplitterung" bewahrheitet. Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, dass gerade kleineren Parteien im Vorfeld Stimmen verloren gehen, weil potentielle Wähler glauben, die Partei könne auch mit seiner Stimme keinen Wahlsieg erringen. Wenn das dass genug Wähler denken, fehlen schnell ein paar Prozentpunkte und prompt hat man die selbsterfüllende Prophezeiung.

     

    Martin Exner (Autor von "Ausgeklinkt - Volksvertreter ohne Volk" ist sich sicher, dass echte politische Veränderungen nur durch kleine Parteien erfolgen können, siehe http://www.der-freigeber.de/spiritualitaet-in-der-politik/

     

    Mit der Europawahl ohne 3-Prozent-Hürde werden wir ja sehen, wie groß der Einfluss der Kleinen wirklich sein kann.

    • MD
      Martin De
      @Jens Brehl:

      genau dieser effekt ist aber wünschenswert, weil er der zersplitterung zusätzlich entgegenwirkt. ich finde es nicht gut, wenn sich zu jedem einzelthema ode einzelinteresse eine eigene partei bildet. 4-6 große parteien können genügen, der bürger muß kompromißfähigkeit lernen, die vielen kleinstparteien sind eher ausdruck von egoismus.