Urteil zum Kükenschreddern: Schicksal vorläufig besiegelt
Die millionenfache Tötung männlicher Küken ist auch weiterhin in Deutschland akzeptiert. Doch nur so lange, bis es Alternativen gibt.
taz |
In der Geflügelwirtschaft gibt es spezielle Hühnerrassen. Die Masthühner setzen besonders gut Fleisch an, hier werden sowohl Hennen als auch Gockel genutzt. Dagegen dreht sich bei Legehühnern alles um die Hennen, weil die Hähne keine Eier legen können und auch zu wenig Fleisch zulegen. In den Brütereien für Legehennen werden daher die männlichen Küken nach dem Schlüpfen sofort aussortiert und getötet. Jährlich werden auf diese Weise rund 45 Millionen Küken mit Kohlendioxid erstickt oder geschreddert.
In Nordrhein-Westfalen verbot 2013 der damalige Landwirtschaftsminister Johannes Remmel (Grüne) den dortigen Brütereien das Kükentöten, weil es gegen das Tierschutzgesetz verstoße. Dort heißt es: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Doch das Bundesverwaltungsgericht kam nun – wie die Vorinstanzen – zum Schluss, dass das NRW-Verbot rechtswidrig war. Noch bestehe ein „vernünftiger Grund“ für das Kükentöten.
Richter geben Tierschutz mehr Bedeutung
Die Hennen
In Deutschland gab es im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt 41 Millionen Legehennen, davon 7,8 Millionen in Freilandhaltung. 2017 wurden knapp 600 Millionen Masthühner geschlachtet.
Das Gelege
Eine Henne legt im Schnitt 298 Eier pro Jahr, berichtet das Statistische Bundesamt. 2018 sind danach rund 12,3 Milliarden Eier für den Konsum produziert worden. Je nach Haltungsform ist der Ertrag verschieden: Ein Huhn in Freilandhaltung legt 298, in Bodenhaltung 300 und in Kleingruppenhaltung 302 Eier pro Jahr. Die Hennen in ökologischer Haltung legen im Schnitt 285 Eier. In fast allen Bundesländern ist die Bodenhaltung die überwiegende Haltungsform. Nur in Mecklenburg-Vorpommern stammt fast jedes zweite Ei aus Freilandhaltung. (taz)
Die Leipziger Richter betonten jedoch, dass sich dies ändere, sobald Alternativen „zur Verfügung“ stehen. Sie werteten den Tierschutz jedoch deutlich höher als die Vorinstanzen. Mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes sei es eigentlich nicht zu vereinbaren, dass dem Leben eines männlichen Kükens „jeder Eigenwert abgesprochen wird“, betonte die Vorsitzende Richterin Renate Philipp.
Renate Philipp, Richterin
Die Richter stellten aber in Rechnung, dass das Kükentöten jahrzehntelang hingenommen wurde. Außerdem sei bald mit Alternativen zu rechnen. Den Brütern sei eine doppelte Umstellung binnen kurzer Zeit nicht zuzumuten. Von den Brutbetrieben könne daher nicht verlangt werden, ihre Betriebsweise sofort umzustellen. Die „Vermeidung einer doppelten Umstellung“ sei ein vernünftiger Grund für die zeitweilige Fortführung der bisherigen Praxis, so Richterin Philipp.
Rechtlich argumentierte das Gericht auf drei Ebenen. Im Kern stellte das Gericht auf das Tierschutzgesetz ab, das für einen Ausgleich zwischen Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen stehe. Anders als Tierschutzgesetze im Ausland schütze das deutsche Gesetz auch das Leben der Tiere, nicht nur ihr Wohlbefinden. Erwähnt wurde auch, dass der Tierschutz seit 2002 im Grundgesetz als Staatsziel verankert ist. Vor allem aber hätten sich die „Wertvorstellungen“ der Bevölkerung geändert, so die Richter.
Forschung zur Geschlechtsbestimmung im Ei
Als Alternativen zum Kükentöten nannte Richterin Philipp die „Geschlechtsbestimmung im Ei“ sowie das Ausbrüten von Eiern „aus verbesserten Zweinutzungslinien“. Mit finanzieller Unterstützung von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) forschen derzeit zwei deutsche Unternehmen an Methoden der Geschlechtsbestimmung im Ei.
Die Seleggt GmbH ist technisch am weitesten. In einer eigenen kleinen Brüterei in den Niederlanden werden bereits Eier selektiert. Seleggt nutzt dabei eine sogenannte endokrinologische Methode, bei der Geschlechtshormone im Ei nachgewiesen werden. Die Eier mit männlichen Embryonen werden dann vernichtet und zu Futtermittel verarbeitet. Aus den weiblichen Eiern werden wie üblich Legehennen. Deren Eier werden als „Respeggt“-Eier vermarktet und mit dem Claim „Ohne Kükentöten“ beworben.
Respeggt arbeitet bisher mit Rewe und Penny zusammen. Die Respeggt-Eier können derzeit aber nur in rund 380 Märkten in und um Berlin gekauft werden. Ab 2020 will Seleggt sein Verfahren auch einzelnen anderen Brütereien als Dienstleistung anbieten. Für den Brutbetrieb soll dies nichts kosten, sagt Seleggt-Geschäftsführer Ludger Breloh. Die Mehrkosten soll der Lebensmittelhandel tragen, indem er für die Nutzung des Respeggt-Logos Lizenzgebühren bezahlt.
Verbraucher müssen mit höheren Preisen rechnen
Letztlich müssen die Verbraucher höhere Preise für Respeggt-Eier in Kauf nehmen. Die Seleggt-Methode ist umstritten, weil die Geschlechtsbestimmung derzeit erst nach neun Bruttagen möglich ist. Tierschützer gehen davon aus, dass die Tierembryonen schon nach sieben Tagen Schmerz empfinden können. Laut Breloh beginnt die wissenschaftlich anerkannte Grenze des Schmerzempfindens aber frühestens am elften Tag.
Mit der Schmerzgrenze hat die Agri Advanced Technologies (AAT) keine Probleme. Denn sie bestimmt das Geschlecht im Ei schon am vierten Tag. Die AAT verwendet eine spektroskopische Methode, misst also die Brechung des Lichts. Das Verfahren soll vollautomatisch sein. Einen Termin für die Marktreife kann AAT aber noch nicht nennen.
Tierschützer kritisieren jedoch die Früh-Selektion grundsätzlich. Ethisch mache es keinen großen Unterschied, ob die männlichen Küken nach dem Schlüpfen oder vor dem Schlüpfen getötet werden. Sie setzen darauf, die männlichen Küken aufzuziehen und als (schlanke) Mast-Hähnchen zu verkaufen. Die Mehrkosten werden über Zuschläge für die Eier der zugehörigen Legehennen erwirtschaftet.
In Bioläden gibt es „Bruderhahn“-Eier, bei Lidl regional „Kükenherz“-Eier und Aldi hat das Projekt „Henne und Hahn“. Mittelfristiges Ziel ist aber eine Veränderung der Züchtung hin zu Zweinutzungsrassen, bei denen die Hennen zwar etwas weniger Eier legen, die Hähne aber mehr Fleisch ansetzen. Die Bruderhahn-Initiative spricht von „ökologischer Tierzucht“.
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