Urteil zu Urheberrechten: Der alte Tanker Gema gewinnt gegen OpenAI, grandios!
Die Gema hatte geklagt, weil KI mit Songtexten trainiert wurde. Das Urteil macht Mut: Urheberrechte gelten auch im Digitalen. Vorerst jedenfalls.
V or 13 Jahren redete Sven Regener Klartext, und das war damals schon überfällig. „Ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass diejenigen, die den Inhalt liefern, nichts bekommen, das ist kein Geschäftsmodell. Das ist scheiße“, erklärte er in einer spontanen Wutrede im Bayerischen Rundfunk. Regener, Element-of-Crime-Sänger, „Herr Lehmann“-Schöpfer und einer der großen deutschen Wortkünstler, beschrieb, wie sich Internetkonzerne am Songmaterial der Künstler:innen bedienten, ohne angemessen dafür zu bezahlen. Damals war vor allem Youtube gemeint. „Und das Rumgetrampel darauf, dass wir uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt. (…) Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“
Im Grundsatz sind diese Worte weiterhin gültig. Plattformen und Softwarekonzerne, unter anderem OpenAI, Betreiber von ChatGPT, klauen noch immer. Deshalb fühlte man sich auch an Regeners Rede erinnert, als diese Woche ein erstes Urteil im Streit zwischen dem deutschen Musikrechteverwerter Gema und OpenAI gesprochen wurde. Die Gema hatte geklagt, weil OpenAI neun teils sehr bekannte Liedtexte – unter anderem „Männer“ von Herbert Grönemeyer und „Über den Wolken“ von Reinhard Mey – zum Training ihrer KI verwendet hatte, ohne dafür Lizenzgebühren zu zahlen.
Die Gema gewann. Das Gericht hat klargestellt, dass OpenAI ein Vervielfältiger dieser Texte ist, wenn seine Software damit gefüttert wird – und folglich zahlen muss. Erfolglos hatte OpenAI argumentiert, die KI speichere („memorisiere“) den Text nicht, sondern schütte nur auf Grundlage aller Trainingsdaten quasi autonom und eigenständig das Erlernte aus.
Sven Regener würde heute wohl sagen: Höchste Zeit, dass dieses Urteil überall und für alle künstlerischen Bereiche gilt. Denn ChatGPT und Artverwandte werden ja nicht nur mit Songlyrics gefüttert, sondern mit Texten jeglicher Art, mit Bildern, Film- und Tonsequenzen. Für Schreiber:innen, Schauspieler:innen, Synchronsprecher:innen, Übersetzer:innen und viele weitere Berufsgruppen – beziehungsweise deren Interessenvertreter:innen – ist es eine Ermutigung zum Gang vor die Gerichte. Wenn eine Verwertungsgesellschaft siegen kann, können es andere Institutionen auch. Go for it, VG Wort, VFF, VG Bild-Kunst, GVL und Co!
Man muss dazu sagen, dass OpenAI in Berufung gehen kann und das wahrscheinlich auch tun wird. Trotzdem zeigt dieses Urteil: Urheberrechte können das digitale Zeitalter überdauern. Ein alter bürokratischer Tanker wie die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte kann das wertvollste Start-up der Welt mit einem Unternehmenswert von 500 Milliarden Dollar juristisch in die Knie zwingen, vorerst zumindest. Die alte Ordnung ist in der Lage, sich gegen die neue Unordnung zu wehren. Regulation statt Disruption. Karteikarte schlägt Kettensäge.
Und diese alte – man könnte sagen: regelbasierte – Ordnung gilt es tatsächlich zu bewahren. „Verteidigen Sie die Institutionen“, schreibt der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder in „Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand“, er meint damit etwa Gerichte, die zu schützen seien, um die Demokratie im Zeitalter von Trump und Musk insgesamt zu erhalten. Man könnte seine Forderung ausweiten auf all die Verbände, die quasi gewerkschaftliche Aufgaben für die arbeitende künstlerische Klasse übernehmen.
Klar, es gibt berechtigte Kritik an der Gema. Wann was ausgeschüttet wird, ist intransparent, „Ordentliches Mitglied“ kann man erst nach 5 Jahren Zugehörigkeit und nur ab einem bestimmten Tantiemenbetrag werden. Aber die Gema kämpft eben auch für den Wert der Kunst. Sie hat sich gegen Big Tech behauptet. Und sie bewahrt uns auch davor, einmal in einer endlosen Remixschleife gefangen zu sein, falls die KI vollends übernimmt.
Es war quasi ein Tophit der Justiz, als die Münchener Richterin Elke Schwager diese Woche die Anwesenden belehrte, solch intelligente Menschen wie die OpenAI-Angestellten müssten doch eigentlich wissen, dass man nicht einfach fremdes Eigentum nehmen dürfe. Sven Regener drückte es damals so aus: „Es ist eine Frage des Respekts und des Anstands nichts zu klauen, so wie es auch eine Frage des Respekts und des Anstands ist, im Supermarkt nichts zu klauen, selbst wenn man wüsste, dass man nicht erwischt würde.“
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