Urteil zu Schauspielern und Arbeitsmarkt: Kein Begabungstest vom Amt
Absolventen privater Schauspielschulen müssen künftig von Arbeitsagenturen vermittelt werden – ohne Zugangstest.
Der Rechtsstreit wirft ein Licht auf eine umstrittene Praxis, die eine Art Zwei-Klassenrecht etabliert hat zwischen den Absolventen staatlicher Schauspielschulen und jenen die private Schulen besuchten. Der Andrang an den 14 staatlichen Schauspielschulen ist groß und die Auswahl sehr streng.
Wer die mehrjährige Ausbildung an diesen staatlichen Schulen durchläuft, muss anschließend in der Regel kein Vorsprechen mehr absolvieren, um als Schauspieler in die Kartei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit aufgenommen zu werden. Diese Kartei ist die wichtigste und umfangreichste Vermittlungskartei für Bühnenkünstler. Regisseure und Intendanten verließen sich darauf, dass die Schauspieler auf diesen Listen gewissermaßen qualitätsgeprüft seien, heißt es aus der ZAV.
Vermittler entscheiden über „Ausstrahlung“
Wer, wie Molinari, aber „nur“ einen Abschluss einer der 30 privaten Schauspielschulen mit mehrjähriger Ausbildung in der Tasche hat, muss bislang eine Art Vorsprechen bei den ZAV-Stellen durchlaufen. Molinari, damals 33, wurde bei ihrem Vorsprechen im Jahr 2010 attestiert, „ältlich“ zu wirken, „wenig Ausstrahlung zu haben“. Die Aufnahme in die entscheidende Kartei wurde ihr verweigert.
Laut ihrer Homepage arbeitet die Schauspielerin jedoch in ihrem Beruf, etwa in regionalen Theaterprojekten und als Synchronsprecherin. Im selben Jahr wurden nur 93 von 154 privaten Absolventen in die Kartei aufgenommen.
In der ZAV wird darauf verwiesen, dass die Qualität der privaten Schauspielschulen sehr unterschiedlich sei und man sich daher nicht darauf verlassen könne, dass die Absolventen geeignet seien für den Arbeitsmarkt der Schauspieler. Die GutachterInnen beim Vorsprechen entstammten alle künstlerischen Berufen, so die ZAV.
Bewertungen bleiben erlaubt
Das Bundessozialgericht urteilte jedoch, dass die ZAV den Arbeitssuchenden mit einem entsprechenden Berufsabschluss die Aufnahme in die Vermittlung nicht „verwehren“ könne. Dies gelte jedenfalls, wenn, wie im Falle von Molinar, die Ausbildung an der privaten Filmschauspielschule Berlin (FSS) der Schauspielerausbildung an einer staatlichen Schule „inhaltlich gleichwertig“ sei.
Allerdings sei es der ZAV unbenommen, weiterhin auf Grundlage einer „Potentialanalyse“ eine individuelle Bewertung der BewerberInnen vorzunehmen, so das Gericht. Inwieweit die ZAV durch die Hintertür dann doch wieder Bewertungen einführt, die Vermittlungen beeinflussen, ist unklar. Eine Sprecherin der ZAV erklärte, man warte auf die Urteilsbegründung, um die Folgen des Gerichtsurteils einschätzen zu können. (Akz. B 11 AL 24/16 R)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag