Urteil gegen Zeitung in Schweiz: Wer hat’s erfunden?
In der Schweiz muss ein Boulevardblatt voraussichtlich ca. 330.000 Euro zahlen, weil es gegen Persönlichkeitsrechte verstoßen hat. Ein Schritt in die richtige Richtung.
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B oulevardjournalismus funktioniert meistens nach einem perfiden, leider aber erfolgreichen Geschäftsmodell. Da werden Persönlichkeitsrechte mit Füßen getreten, angeblich im Interesse der ach so sehr an schmutzigen Geschichten interessierten Öffentlichkeit.
In Wahrheit geht es um Auflage (früher), Reichweite (heute) und damit um Geld. Wenn es schiefgeht und sich Betroffene juristisch wehren, muss hier und da ein bisschen gezahlt werden. Aber auch das ist eingepreist. Und die Rechnung geht eigentlich immer zugunsten des Boulevards auf.
Dass dies auch anders geht, zeigt die Schweiz. Hier gab es diese Woche ein bemerkenswertes Urteil. Die Boulevardzeitung Blick ist so etwas wie die Schweizer Bild. Sie muss nach einer Entscheidung des Kantonsgerichts Zug einer ehemaligen Politikerin der Schweizer Grünen wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte exakt 309.531 Franken Schadenersatz zahlen, plus fünf Prozent Zinsen. Es ging um spekulative, nicht belegte Sex-Geschichten.
Aber weder das noch die umgerechnet rund 330.000 Euro sind das Besondere an dem Fall. Sondern wie das Gericht gerechnet hat. Die Summe ergibt sich nämlich aus dem Gewinn, den die Zeitung und der dahinterstehende Medienkonzern Ringier laut Gericht mit der Story gemacht haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ringier will in Berufung gehen und nennt es einen „fatalen Schlag für den freien Journalismus“.
Mit Hass und Hetze Umsatz machen
Das ist natürlich Quatsch. Das Urteil ist vielmehr sehr zielführend, weil es am dahinterstehenden Geschäftsmodell ansetzt. Es gehört ausgeweitet, nicht nur auf den klassischen Boulevardjournalismus. Sondern auch auf die sozialen Medien, wo die Techkonzerne ebenfalls mit Persönlichkeitsrecht verletzendem Schrott, Hass und Hetze satten Umsatz und Gewinn machen.
Leider wird auch das nicht das Grundproblem lösen, dass sich die Konzerne am Ende diese Summen leisten können. Was sich letzte Woche bei Rupert Murdoch und Prinz Harry zeigte. Da ging es um den Jahre zurückliegenden Überwachungsskandal, bei dem Murdochs britische Boulevardblätter die Handys von Promis, Royals und Verbrechensopfern gehackt hatten.
Harry kann jetzt nach britischen Medienberichten über 10 Millionen Pfund erwarten. Murdoch hat sich mit dieser Summe freigekauft, weil er so um einen Prozess herumkommt. Das ist ärgerlich, weil in einem solchen Verfahren vielleicht endlich mal die Verantwortlichen benannt und zur Rechenschaft gezogen worden wären.
Auch in solchen Fällen sollte aber auf jeden Fall künftig die „Schweizer Formel“ angewendet werden. Denn der Gewinn, den Murdochs Titel mit ihren illegalen Machenschaften erzielt haben, lag garantiert deutlich höher. „Doch leider löst auch die neue Formel nicht, dass Journalismus und soziale Medien auch nach einem perfiden Gesellschaftsmodell funktionieren“, sagt die Mitbewohnerin.
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