piwik no script img

Urteil des BundesgerichtshofsBGH rettet den offenen Vollzug

Ein Gefangener bekommt Freigang und tötet eine Frau mit dem Auto. Ein Urteil gegen die zuständigen Gefängnisbeamten wurde nun wieder aufgehoben.

Schwierige Entscheidung: Wer darf im Rahmen eines offenen Vollzugs raus? Gefängnis in Wittlich Foto: dpa

Karlsruhe taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwei leitende Vollzugsbeamte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Sie hatten einem Häftling den offenen Vollzug gewährt. Der Häftling verursachte später einen tödlichen Verkehrsunfall.

Heiko K. fuhr ab seinem dreizehnten Lebensjahr immer wieder ohne Führerschein Auto. Er war schon 22 Mal verurteilt worden, als er 2013 eine erneute Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wittlich in Rheinland-Pfalz anzutreten hatte. Die dortige JVA-Abteilungsleiterin entschied, dass K. in den offenen Vollzug kommt und auch unbegleiteten Ausgang erhält. Nach einer Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Diez entschied der dortige Abteilungsleiter ebenso, weil K. als unauffälliger Mustergefangener galt.

Tagsüber arbeitete der Häftling Heiko K. für eine Zeitarbeitsfirma, abends bekam er oft Ausgang, um seine Frau zu besuchen. Dorthin fuhr er allerdings mit einem Auto – und zwar ohne Führerschein. Als er im Januar 2015 von der Polizei kontrolliert wurde, flüchtete er. Dabei fuhr er entgegen der Fahrtrichtung auf eine Bundesstraße, wo er kurz darauf mit einem anderen Fahrzeug zusammenstieß. Dessen 21-jährige Fahrerin starb bei dem Zusammenprall. Heiko K. wurde deshalb wegen Mordes verurteilt.

Das Landgericht Limburg verurteilte im Juni 2018 allerdings auch die beiden JVA-Abteilungsleiter zu je neunmonatigen Bewährungsstrafen – und zwar wegen fahrlässiger Tötung. Deren Entscheidung für die Lockerung des Vollzugs für K. sei pflichtwidrig gewesen und habe den Tod der Autofahrerin mitverursacht.

Nicht nur eine richtige Lösung

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten warnte anschließend vor einem „fatalen Signal“. Verlegung in den offenen Vollzug ging in der Folge spürbar zurück. Sogar die Bundesanwaltschaft beantragte die Aufhebung des Urteils.

Tatsächlich sprach der Bundesgerichtshof nun die beiden Justizvollzugsanstalts-Abteilungsleiter frei. Sie hätten ihre Pflichten nicht verletzt, als sie Heiko K. Vollzugslockerung gewährt hätten. Bei der Abwägung zwischen dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und dem Resozialisierungsanspruch des Gefangenen hätten die Beamten einen „Beurteilungsspielraum“ gehabt, betonte der Vorsitzende Richter Ulrich Franke. „Es gab also nicht nur eine richtige Lösung.“ Eine Prognose sei nicht deshalb rechtswidrig, weil sie sich im Nach­hinein als falsch herausgestellt habe. Die Beamten hätten auch nicht alle bisherigen Urteile lesen müssen, um festzustellen, dass K. zuvor schon mehrfach vor der Polizei geflüchtet war.

Zwar hätte der Häftling K. wohl besser kontrolliert werden müssen, so der BGH-Richter Franke, ob er bei Ausgängen wirklich nicht Auto fährt. Darauf kam es aber nicht an, so der Bundesgerichtshof. Denn es sei schlicht „nicht vorhersehbar“ gewesen, dass K. nach einer Polizeikontrolle zum Geisterfahrer wird, der den Tod anderer Autofahrer in Kauf nimmt. (Az.: 2 StR 557/18)

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Das Urteil selbst liegt derzeit noch nicht gedruckt vor (s. a.E.) - hier die Pressemitteilung des BGH -



    www.bundesgerichts.../2019/2019152.html

    Einfach mal sine ira et studio durchlesen. Die Dramatik des festgestellten Geschehensablauf ist ja unabweisbar. Die nüchterne rechtliche Einordnung aber - halte ich für gut nachvollziehbar & zutreffend begründet.

  • RS
    Ria Sauter

    Es wsr nicht vorhersehbar?



    Können diese Richter noch in den Spiegel schauen?

  • Krasses BGH Fehlurteil. Bei der Historie des Gefangenen gab es keinen Grund für unkontrollierten Ausgang.

  • 2015 ? da ist der doch sicherlich schon wieder Freigänger......

  • Ok Ok - beide Gerichte in Karlsruhe angesiedelt.



    Schlossbezirk 3 & Herrenstr 45 A 14 min des Weges. 🧐

    • @Lowandorder:

      Dachte ich auch. Jetzt muss es nur noch der taz auffallen...