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Urteil bestätigt InzestverbotGeschwisterliebe nicht erlaubt

Inzest bleibt in Deutschland weiterhin verboten. Damit sollen die Betroffenen vor sich selbst beschützt werden. Doch die Argumente hinken.

Dürfen keine Familie gründen: Geschwisterpaar Patrick und Susan, die Eltern von vier Kindern. Bild: dpa

BERLIN taz In Deutschland bleibt Inzest eine Straftat. Das entschied am Donnerstag das Bundesverfassungsgericht. Susan K. ist die Mutter vierer Kinder aus der Beziehung zu ihrem Bruder. Sie hatte vor dem Gericht gegen den Inzest-Paragrafen 173 StGB geklagt. Denn auf dessen Grundlage wurden ihr die Kinder weggenommen - und ihr Mann zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Chronik einer verbotenen Liebe

2000 Patrick S., im Heim und bei Adoptiveltern aufgewachsen, zieht zu seiner leiblichen Mutter nach Groß-Dalzig zurück. Dort trifft er erstmals Susan K. Beide verlieben sich in einander.

Juni 2001 Das Jugendamt zeigt Patrick und Susan bei der Leipziger Staatsanwaltschaft an. Grund: Verdacht einer Inzest-Beziehung und Missbrauch. Susan ist damals bereits mit dem ersten gemeinsamen Kind Eric schwanger.

2002 Der erste Prozess startet. Patrick wird zu einer hohen Bewährungsstrafe verurteilt. Er brachte den Richter gegen sich auf, weil er Inzest nicht für strafbar hält.

2003 Das Jugendamt nimmt Susan das gemeinsame Kind Eric weg, angeblich soll die junge Mutter mit der Erziehung überfordert sein.

März 2003 Susan und Patrick bekommen ihr zweites Kind, das ihnen direkt nach der Geburt weggenommen wird.

2004 Patrick wird jetzt zum zweiten Mal verurteilt und muss ins Gefängnis. Dort entschließt er sich unter dem Druck der Behörden, sich sterilisieren zu lassen. Auch das dritte gemeinsame Kind Nancy wird Susan vom Jugendamt entzogen.

2006 Nach der Entlassung Patricks aus dem Gefängnis, wird Susan unter Druck gesetzt, ihr jüngstes Kind Safira abzugeben. Die Tochter stammt aus einer Beziehung zu einem Nachbarn. Das Jugendamt sichert der Mutter dafür zu, dass sie das vierte Kind mit Patrick Sofia dafür behalten könne.

2008 Das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass die Beziehung Susan und Patrick gegen geltendes Recht verstößt.

Doch die Verfassungsrichter halten den Paragrafen für vereinbar mit dem Grundgesetz. Die Richter argumentieren, das Inzestverbot sei verhältnismäßig, weil es die familiäre Ordnung vor schädigenden Einflüssen bewahren könne und ein erhöhtes Risiko von schwerwiegenden genetischen Schäden verhindere. Es sei auch kein unzulässiger Eingriff in die private Lebensführung, weil "der Beischlaf zwischen Geschwistern nicht ausschließlich diese selbst betrifft, sondern in die Familie und die Gesellschaft hinein wirken kann". Weiter argumentieren die Richter, dass daraus auch "Folgen für aus der Verbindung hervorgehende Kinder" entstehen könnten.

Von dem Fall der konkreten Klägerin abstrahierend legten die Richter besonderen Wert darauf, "unterlegene" Partner einer inzestuösen Beziehung zu schützen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Eltern mit ihren Kinder sexuelle Beziehungen anfangen.

Wer nach Pragraf 173 StGB verurteilt wird, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden.

Ein Richter des Verfassungsgerichts urteilte allerdings anders: Vizepräsident Winfried Hassemer argumentiert, der Paragraf 173 StGB sei unverhältnismäßig. "Es spricht viel dafür, dass die Vorschrift in der bestehenden Fassung lediglich Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat", heißt es in seiner Erklärung. Der Erhalt eines gesellschaftlichen Konsenses über Werte könne aber kein "unmittelbares Ziel einer Strafnorm sein".

In dem konkreten Fall von Patrick S. aus Leipzig sind die Geschwister weder zusammen aufgewachsen noch ist einer der Partner "unterlegen". Und die Geschwister halten auch trotz Strafen an ihrer Beziehung fest. Die Mutter brachte gar ihr viertes Kind allein Zuhause zur Welt, aus Angst, dass man es ihr auch wegnehmen würde. Zu diesem Zeitpunkt saß ihr geliebter Bruder schon seit einem halben Jahr in der Justizvollzugsanstalt Plauen. Erst danach entschloß sich die verzweifelte Frau auf Empfehlung ihres Anwalts zur Klage.

Inzest erregt noch immer die Gemüter. Doch viele Argumente dafür sind nicht stichhaltig: Denn in einer einvernehmlichen und selbstbestimmten Beziehung zwischen zwei Liebenden muss es nicht zwingend ein Opfer geben, das besonderen Schutzes bedarf. Fälle von sexuellem Missbrauch werden ohnehin durch andere Strafgesetzbuchparagrafen abgedeckt.

Das medizinische Argument ist stärker: Zwar zeigen Studien, dass eine inzestuöse Beziehung nicht das Erbgut schädigt. Doch eine genetische Verbindung zwischen den Eltern kann Auswirkungen auf die Vererbung von Erbkrankheiten haben: Die Wahrscheinlichkeit, dass defekte, bei den Eltern rezessiv vorhandene Gene, an das Kind dominant vererbt werden erhöht sich.

Doch wie schwerwiegend dieser Effekt zu Buche schlägt, ist wissenschaftlich umstritten. Und es ist fraglich, ob man Menschen Sex verbieten kann, nur weil sie das Risiko tragen, behinderte Kinder zu bekommen. Denn das gilt auch für viele andere (nicht blutsverwandte) Paare.

Inzest zog im Laufe der Geschichte Bewunderung und Hass auf sich. Christentum, Judentum und Islam verbieten die Verbindung von Blutsverwandten kategorisch. In Indien galt die Liebesbeziehung als geistliches Verbrechen.

Doch der Inzest wurde auch als Privileg betrachtet: Die Herrschenden in Persien und Ägypten beanspruchten die Heirat in der Familie als königliches Recht. Ähnlich verfährt der europäische Hochadel. Auch er favorisierte die Partnersuche in der eigenen Familie, wobei es allerdings hauptsächlich um den Machterhalt der Sippe ginge.

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9 Kommentare

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  • S
    Shrike

    Jetzt übertreibt mal nicht.

     

    Menschen mit schwerwiegenden Gendefekten werden diese Defekte immer in den Genpool der Kinder einbringen (bzw. es wird immer das Risiko bestehen).

    Egal mit wem sie Kinder kriegen, es könnte höchstens argumentiert werden, dass sie sich niemanden mit derselben Erbanlage suchen sollten.

    Ich meine ja nur theoretisch.

     

    Aber beim Inzest ist es anders:

    Man kann im Grunde mit jedem Partner Kinder zeugen, bloß bitte bitte nicht mit den Familienmitgliedern.

    Ist das so eine Menschenrechtsverletzung ?

    Ist das so schwer ?

     

    Davon abgesehen:

    Man sollte, etwa im Fall von Mukoviszidose schon mal an die Kinder denken, bei Inzest eben auch.

     

    Mir gefällt der Gedanke auch nicht, dass man Menschen mit Gendefekten quasi die Kinderlosigkeit nahelegt.

    Und wo zieht man dann die Grenze ?

    Genetisch perfekt ist niemand.

     

    Aber mir gefällt auch der Gedanke nicht, dass Eltern auf Teufel komm raus Nachwuchs zeugen, und dann haben die Kinder schwere Behinderungen, was vermeidbar gewesen wäre.

    Wie soll man das dem Kind erklären, gerade etwa bei so schlimmen Sachen wie eben Mukoviszidose oder ähnlichem ?

     

    Man darf bei schweren Behinderungen nicht vergessen:

    Es ist verhältnismäßig leicht, der betroffenen Person als nicht betroffene Person zu sagen:

    "Akzeptiere dich wie du bist."

    oder

    "Alle Menschen sind gleich viel wert."

    Das sind ja auch richtige Sätze.

     

    Aber dennoch, wer so spricht, tut dies als quasi

    "Gesunder" mit dem Wissen, nicht mit der betroffenen Person tauschen zu müssen.

    Da fällt sowas leichter.

    Würden die, die so tröstend sprechen, denn tauschen wollen ?

    In der Regel eben nicht.

     

    Die Frage ist schwerer als mancher meint, finde ich.

  • ML
    Manfred Leickel

    Warum erinnert mich dieses Urteil so sehr an das Geschwafel von der "Reinhaltung des deutschen Völkskörpers"? Könnte es sein, daß diese Art Juristerei in Deutschland auf gewissen Traditionen beruht? Wann bekommen wir die Gaskammer für die "Degenerierten" zurück? Na ja, wenigstens den Papst wird's freuen.

  • B
    Björn

    Ich überlege gerade, da das Thema Homosexualität angesprochen wurde, viele der Einwände gegen Inzest direkt auf Mann-Frau-Beziehungen ausgerichtet sind. Wenn aber zwei Brüder miteinander sexuellen Kontakt haben, ist es ja auch eine inzestuöse Beziehung, aber die ständig vorgetragenen Einwände z. B. der Schädigung des Erbguts würde hier nicht zutreffen. Ist eine Beziehung zwischen zwei Männern in der Familie also strafbar?

  • RB
    R. Baehrens

    Zwei Strafprozeßberichte auf der selben Seite.

     

    Man mag ja zum Tabu der Geschwisterliebe stehen wie man will, aber das so etwas konsequenter und härter verfolgt wird als die gemeinschaftliche Hatz rechtsradikaler Dumpfbacken auf Ausländer wirft ein zweifelhaftes Licht auf die Justiz im deutschen Osten.

  • W
    Wolf-Dieter

    Hab das Urteil überflogen, auch das Gesetz.

     

    Das Verfassungsgericht hat nicht geurteilt, dass es strafbar sei, sondern, dass die Strafbarkeit nicht verfassungswidrig sei. Dem Gesetzgeber sollte es frei stehen, den Paragrafen zu reduzieren auf den Part mit dem "unterlegenen Partner".

     

    Es spricht nichts dagegen, gegen das Gesetz anzugehen. Schließlich ist ja auch mal der Homosexualitäts-Paragraf gekippt worden.

  • K
    Katinka

    @Björn: Soweit ich die Sache verfolgt habe, wurde die Mutter im ersten Prozess nicht verurteilt, weil sie damals erst 17 Jahre alt war, im 2. Prozess wurde sie dazu verurteilt, ein Jahr lang von einer Sozialhelferin begleitet zu werden. An anderer Stelle war zu lesen, die Mutter sei geistig nicht auf dem Stand ihres Alters, deshalb wurde von einer Gefaengnisstrafe abgesehen.

     

    Allgemein möchte ich zu dem Fall sagen, dass ich über das Urteil enttäuscht bin. Die Begründung, Inzest schädige das Erbgut -ob diese Behauptung nun medizinisch belegbar ist oder nicht- führt doch, wenn man sie weiter denkt, dazu, dass jeder Risikogruppe, Leuten mit Erbkrankheiten, das Kinderkriegen verboten werden sollte.

    Ich hoffe sehr das Paar bekommt recht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

  • SW
    Stephanie Wegener

    Mich würde sehr interessieren, welcher Wissenschaftler auf der Welt das denn bitte sein soll, der ernsthaft zu bezweifeln wagt, dass inzestuöse Beziehungen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten rezessiver Erbkrankheiten erhöht.

    Man mag ja eine moralische Bresche für die Inzest schlagen wollen, wenn man das will - aber wer in der Schule bei Mendel aufgepasst hat, der weiß, dass nah verwandte Eltern ein höheres Risiko haben, kranke oder behinderte Kinder zur Welt zu bringen!

  • S
    Stephanie

    Wer rumvögeln will, wie er will, kann das. Und er soll es.

     

    Wer seine genetische Kampfgemeinschaft "Liebe" nennt, okay.

     

    Aber wer das als Ehe mit Rechten finanziert haben will, darf sich nicht wundern, dass er erlebt, dass die Gesellschaft Forderungen stellt, die wohl noch hundert Jahre lang überkommene Sozialisationsbedingungen sichern sollen; auch wenn sie nicht mehr allen genetischen Zufälligkeiten adäquat sind.

  • B
    Björn

    Ich habe diesen Fall jetzt nicht so genau mitbekommen. Es stellt sich für mich die Frage, warum eigentlich, so ist es in den Medien jedenfalls zu lesen, der Mann nur verurteilt wird und die Frau nicht? Daraus schließt sich ja, dass die Frau an der inzestuösen Beziehung keinen Anteil habe. Das würde mich wirklich interessieren und wäre schön, wenn jemand diese Frage beantworten würde.