Ursula Sarrazin hört auf: Zwei unbelehrbare Oberlehrer
Seit Wochen sorgt der Unterrichtsstil von Ursula Sarrazin, Lehrerin und Frau von Thilo Sarrazin, für Schlagzeilen. Jetzt hört sie auf – um vielleicht ein Buch zu schreiben.
Für die Schüler, die unter Ursula Sarrazin gelitten haben, ist es eine gute Nachricht: Die Frau des Provokateurs und Autors Thilo Sarrazin, Grundschullehrerin im Berliner Stadtteil Charlottenburg, wird spätestens ab Herbst nicht mehr unterrichten.
Für den Rest der Republik ist diese Wendung der Geschichte nicht ganz so erfreulich. Denn Ursula Sarrazin denkt darüber nach, ein Buch über die ach so schlimmen Zustände an den heutigen Schulen zu schreiben. Die Sarrazins als unbelehrbares Oberlehrer-Paar - kein Zweifel, dass nach Thilo Sarrazin demnächst seine Frau durch die Talkshows wandert und den Deutschen erklärt, was alles falsch läuft im Lande.
Aber der Reihe nach. Schon 2008 gab es Beschwerden über Ursula Sarrazins angeblich autoritären Unterrichtsstil. Ein Schulrat wollte sie versetzen lassen. Schließlich wurde er selbst versetzt, nicht die Lehrerin. Spielten da etwa die Verbindungen ihres Mannes, damals Berliner Finanzsenator, eine Rolle? Der Gedanke drängt sich auf, belegt ist er nicht.
In den vergangenen Wochen kochten die Gemüter erneut hoch. Sarrazin gehe autoritär mit den Schülern um und beleidige sie sogar, so die Vorwürfe von Eltern. Nach Angaben des Chefs des Berliner Landeselternausschusses, Günter Peiritsch, der bis zum Sommer selbst ein Kind an Sarrazins Grundschule hatte, soll die Lehrerin Schüler als "armseliges Opfer" und mit "du Hauptschüler" niedergemacht haben. "Frau Sarrazin schreit die Kinder an. Sie beschweren sich weinend bei der Schulleitung."
Ursula Sarrazin wies die Anschuldigungen per Boulevardzeitungen weitgehend zurück. Kein Elternteil habe sich in irgendeiner Form bei ihr beschwert. Ihr Mann Thilo sprach von einer Mobbing-Kampagne. "Offenbar wird meine Frau wegen meiner Kritik am Bildungssystem in Deutschland von einigen in Sippenhaft genommen", mutmaßte er. Ein brisanter Vorwurf, der die ganze Sache zum Politikum machte.
Thilo Sarrazin ist bekannt für seine verbalen Alleingänge, nach dem Motto: Ich lasse mir nicht den Mund verbieten. Seine Frau scheint aus demselben Holz geschnitzt. Es verging keine Woche ohne Interview. Ob das klug war? Nachdem sich Ursula Sarrazin auf allen Kanälen als Opfer gerierte, gingen auch ihre Gegner in die Offensive. Immer mehr Eltern meldeten sich zu Wort. Zwar nahmen einige Sarrazin auch in Schutz. Doch die Beschwerden häuften sich derart, dass inzwischen keiner mehr an einige blöd gelaufene Einzelfälle glauben kann.
So soll Sarrazin beispielsweise einen Deutschjapaner, acht Jahre alt, mit "Suzuki" angeredet haben – zum Vergnügen seiner Klassenkameraden. Dieser Vorfall habe sich zu Beginn eines Schuljahres zugetragen, erklärte die Lehrerin. "Ich konnte mir noch nicht alle Namen merken und habe den japanischen Namen des Schülers falsch ausgesprochen." Ein anderes Kind soll sie gar mit einer Blockflöte auf den Kopf geschlagen haben. Unsinn, so Sarrazin. Das Instrument sei ihr im Übrigen "viel zu schade" für derartige Übergriffe.
An der betroffenen Grundschule geht es seit dem Beginn der Debatte hoch her. Laut Peiritsch wurde die Leitung mit Beschimpfungen und Drohungen von rechts außen überschüttet. Der Staatsschutz rückte an, um die Lage einzuschätzen. Die Bildungsverwaltung hielt sich bei alldem bedeckt. "Alle in der Vergangenheit bestehenden Beschwerden haben nach ihrer Prüfung keine Grundlage für dienstrechtliche Konsequenzen geboten", hieß es vorherige Woche.
Räumt die Lehrerin angesichts der Probleme nun freiwillig das Feld? Nicht doch. Die Beurlaubung habe schon vor der Geschichte mit den Vorwürfen festgestanden, sagte Thilo Sarrazin am Montag. Der Antrag sei den Behörden seit Herbst bekannt. Eigentlich hätte seine Frau noch bis zum 63. Lebensjahr arbeiten wollen. Aber nach seinem eigenen Ausscheiden bei der Bundesbank hätten sich beide überlegt, dass nun auch sie früher aufhören könne.
Was auch der Grund für den Rückzug sein mag - an der Schule kehrt damit wieder mehr Ruhe ein. Selbst wenn die Sarrazins medial präsent bleiben: Einen Fernseher kann man ausschalten. Bei einer Lehrerin, die Schüler zweifelhaft behandelt, ist das - wie der Fall Ursula Sarrazin zeigt - sehr viel schwerer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen