Urheberrecht in der Wissensgesellschaft: Der Kampf um das digitale Studium
Verlage und die Union wollen verhindern, dass Dozierende Teile von Büchern lizenzfrei in ihren „digitalen Semesterapparat“ stellen können.
Künftig sollen Lehrende den StudentInnen bis zu 15 Prozent eines Buches online zur Verfügung stellen dürfen – ohne Verlage und AutorInnen fragen zu müssen. Das sieht das geplante Gesetz über das Urheberrecht in der Wissensgesellschaft (UrhWissG) vor. Als der Bundestag vorige Woche erstmals darüber beriet, kam Kritik ausgerechnet vom Koalitionspartner CDU/CSU.
Eigentlich müssen RechteinhaberInnen gemäß Urheberrecht jeder Verwendung ihrer Werke ausdrücklich zustimmen. Der Gesetzgeber kann aber Fälle zulassen, bei denen das nicht erforderlich ist, etwa bei einer Kopie für private Zwecke. Solche Ausnahmen nennt man „Schranken“ des Urheberrechts.
Bereits seit rund zwei Jahrzehnten wird über eine „Wissenschaftsschranke“ diskutiert. Die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in Hochschulen wäre dann generell lizenzfrei erlaubt.
Die heute geltende Regelung – der so genannte Wissenschaftsparagraf 52a – stammt aus dem Jahr 2003 und wurde unter Rot-Grün in das Urheberrechtsgesetz eingeführt. Danach dürfen „kleine Teile“ eines Werks für einen „abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ online zugänglich gemacht werden.
Lizenzfreier Basiszugang
Was aber sind „kleine Teile“? Darüber wurde lange gestritten. Bis der Bundesgerichtshof (BGH) einen Präzedenzfall vorgelegt bekam: Die Fern-Uni Hagen hatte 4.000 KursteilnehmerInnen Teile des Buches „Meilensteine der Psychologie“ online zur Verfügung gestellt. Es ging um 91 von 527 Textseiten, also rund 17 Prozent des Buches. Der Alfred-Kröner-Verlag, in dem der Sammelband erschienen ist, klagte auf Unterlassung. Das sei kein „kleiner Teil“ des Werks.
Der BGH entschied 2013 in einem Grundsatzurteil: Als „kleine Teile“ können maximal 12 Prozent eines Werks lizenzfrei genutzt werden. Zudem soll eine absolute Obergrenze von 100 Seiten gelten, damit bei einem mehrbändigen Werk nicht ganze Bände lizenzfrei genutzt werden können. Und schließlich soll die lizenzfreie Nutzung nur dann möglich sein, wenn der Verlag kein „angemessenes“ Angebot für eine E-Book-Lizenz gemacht hat. Für die Angemessenheit des Angebots komme es, so der BGH, auf die Höhe der Lizenzgebühr, die Auffindbarkeit des Angebots und seine einfache Nutzbarkeit an. Wenn Maas’ Reform scheitert, wird diese Rechtslage fortgelten.
Allerdings hat die Große Koalition 2013 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, sie werde eine „Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen“. Was das bedeuten soll, präzisierte Justizminister Maas im Februar 2017, als er einen Referentenentwurf für das UrhWissG präsentierte. Dort war vorgesehen, dass bis zu 25 Prozent eines Buches ohne Lizenz in elektronische Semesterapparate eingestellt werden dürfen. Im Gegenzug müssen Unis – wie bisher – eine Vergütung an die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort zahlen, die diese dann an die RechteinhaberInnen verteilt.
Im April wurde Maas’ Vorschlag von der Bundesregierung gebilligt – mit einer wichtigen Einschränkung. Jetzt sollen nur noch 15 Prozent eines Buches lizenzfrei genutzt werden können. Auf den ersten Blick wirkt die Verbesserung daher mickrig. 15 Prozent sind nur 3 Prozent mehr als die vom BGH gewährten 12 Prozent. Die entscheidende Neuerung ist jedoch eine andere: Der lizenzfreie Basiszugang soll auch dann gelten, wenn der Verlag ein „angemessenes“ Lizenzangebot macht.
Und genau hier setzt die Kritik aus der CDU/CSU-Fraktion an, die die alte Regelung behalten will: Immer wenn der Verlag ein angemessenes Angebot macht, muss derzeit die Uni einen Vertrag mit dem Verlag schließen und kann das Werk dann nicht lizenzfrei nutzen. Maas’ Vorschlag sei eine „Absage an die freie Marktwirtschaft“ und könnte Verlagen und AutorInnen wirtschaftlich ruinieren, so der CDU-Abgeordnete Stefan Heck.
Alte Regelung lebensfremd
Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek konterte: Wenn es weiter einen Vorrang der Lizenzangebote gebe, dann bleibe die bestehende Rechtsunsicherheit bestehen, „weil niemand weiß, was denn ein ‚angemessenes‘ Angebot ist“. Auch Minister Maas gibt sich kämpferisch: „Diese lebensfremde Regelung schaffen wir ab.“
Die Höhe der Vergütung regelt der Gesetzentwurf nicht. Vermutlich wird es auf derzeit branchenübliche 0,8 Cent pro Seite und StudentIn hinauslaufen. Wenn zum Beispiel 40 Seiten aus einem Buch für eine Vorlesung mit 150 StudentInnen bereitgestellt werden, müsste die Uni 48 Euro an die VG Wort bezahlen, wenn alle Studierenden das Angebot nutzen.
Eine detaillierte Einzelabrechnung („Wer hat auf wie viele Seiten des Buches zugegriffen?“) wird im Gesetzentwurf allerdings nicht vorgeschrieben. Die Verwaltung der Semesterapparate solle möglichst wenig Arbeit machen, sonst würden die Dozierenden eher darauf verzichten.
Ist die Existenz der Wissenschaftsverlage bedroht?
Das hatte auch ein Modellversuch an der Uni Osnabrück ergeben. Deshalb war im vergangenen Dezember auch ein Rahmenvertrag zur Einzelabrechnung am Widerstand der Unis gescheitert. Den Vertrag hatten VG Wort und die Länder ausgehandelt. Im Gesetzentwurf der Regierung werden nun ausdrücklich auch Pauschalzahlungen oder eine Berechnung anhand „repräsentativer Stichproben“ zugelassen.
Ist nun aber wirklich die Existenz der Wissenschaftsverlage bedroht? Das Justizministerium glaubt das nicht. Eine einfache und rechtssichere Regelung werde vielmehr die Einnahmen, die über die VG Wort verteilt werden, deutlich erhöhen. Doch selbst wenn damit ein Rückgang verkaufter Bücher und Lizenzen kompensiert werden könnte, wird das die Verlage nicht besänftigen. Denn nach aktueller BGH-Rechtsprechung stehen die VG-Wort-Einnahmen ausschließlich den AutorInnen der Bücher zu. Diese können allenfalls freiwillig etwas an ihre Verlage abgeben.
Die Bundesregierung will das Gesetz noch in dieser Wahlperiode beschließen. Letzte reguläre Sitzungswoche ist Ende Juni. Im März 2018 soll das Gesetz dann in Kraft treten. Nächster wichtiger Termin ist die Anhörung im Rechtsausschuss am 29. Mai.
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