: Unverwechselbare Anonymität
A Journey Into the Mind Of Äp.Ü: Die Dokumentation über den enigmatischen Schriftsteller Thomas Pynchon läuft endlich auch in Hamburg ■ Von Alexander Diehl
Mögen Selbststilisierung und Selbstvermarktung in einem ökonomisch organisierten Literaturbetrieb auch zweckmäßiger sein: Die romantische Idee vom der Welt abhanden gekommenen Autor darf als bewährt gelten. Wenn sie mit der Realität (scheinbar) zusammenfällt, steht mithin eine Sensation an. Noch besser, so ließe sich weiter denken, wenn wir überhaupt nichts wüssten über die, deren Bücher wir schätzen. Seit Jahrzehnten markiert der Schriftsteller J. D. Salinger solch eine aufmerksam beobachtete Abwesenheit, übertroffen vielleicht nur durch seinen Landsmann Thomas Pynchon.
Geboren 1937, wusste dieser stets ein Geheimnis aus sich zu machen – und lieferte damit nachhaltigeren Gesprächsstoff als viele zugängliche Biographien. Pynchon gilt manchen als wichtigster Autor des 20. Jahrhunderts – nicht nur in der literarischen Postmoderne US-amerikanischer Prägung, wo seine als hermetisch berüchtigten wie bestaunten Texte verortet werden. Seine literarische Produktion aus gut 40 Jahren ist dabei recht überschaubar: fünf Romane, eine Handvoll Kurzgeschichten, einige Essays und Artikel, schließlich Kuriositäten wie Vorworte oder Linernotes für befreundete Musiker. Seinem Leben – mehr als seinem Werk – widmet sich A Journey Into the Mind Of Äp.Ü, eine filmische Spurensuche von Fosco und Donatello Dubini.
Aus seiner Zeit bei der Navy seien alle Akten verschollen, erfahren wir da, auch scheinen kaum Dokumente mehr auffindbar zu sein über Pynchons Collegejahre in Cornell, wo Nabokov lehrte und die CIA – vielleicht – LSD-Experimente durchführte. Erst recht verschwimmen die Details, je näher die Rekonstruktion der Gegenwart kommt. Pynchon arbeitete beim Rüstungskonzern Boeing und war Antikriegsaktivist, zeigte sich anhaltend fasziniert vom technologischen Optimismus des 20. Jahrhunderts – bis hin zum Weltraum-Wettrennen der Großmächte, das die USA dank Wernher von Braun und seiner V2-Forschung gewannen.
1974 erhielt Pynchon für Gravity's Rainbow (dt. Die Enden der Parabel) den renommierten National Book Award, entgegen nahm diesen allerdings ein Komiker im Auftrag des Verlags. Pynchon lebt heute – vermutlich – in Manhattan, ist – vielleicht – mit seiner Agentin verheiratet, beide haben – so heißt es – einen gemeinsamen Sohn.
Im Film kommen Zeitgenossen und Bekannte zu Wort, genauso Menschen, die Pynchon nie begegnet sind, sich seinem Denkuniversum aber voller Akribie widmen. Nur vereinzelt werden da neue Erkenntnisse zutage gefördert, dafür so manche Anekdote: um Lookalike-Wettbewerbe, dreisekündige Videoschnipsel und derlei mehr. Dabei gab man sich redlich Mühe, die Suche nach dem geradezu gewissenhaft inszenierten Phantom ihrerseits spannend zu gestalten. So wird der Zuschauer lange auf die Folter gespannt, ob er ihn denn nun einmal sehen wird, den enigmatischen Schreiber – und eigentlich weiß er es nachher immer noch nicht. Es sei denn, ihm genügen verschwommene Pixelansammlungen.
Der Theoretiker Boris Groys sprach unlängst von einer Welt, in der Verschwörung und Verdacht alles durchziehen: „Der Privatdetektiv ist der symbolische Vertreter der medialen Öffentlichkeit – er verkörpert den Verdacht.“ Und richtig merkte er an, „literarische Belege“ dafür fänden sich bei Thomas Pynchon. In der Tat verhandeln nahezu alle von dessen Texten die mehr oder minder begründete Besorgnis, um nicht zu sagen Paranoia: vor Verschwörungen seitens ihre Legitimität überschreitender Mächte, vor trügerischen Fassaden, hinter die es zu blicken gilt – oder bei Bedarf dahinter zu verschwinden? So wie Pynchon selbst, der Chronist (respektive Erdenker) Militärisch-Industriell-Kommunikativer Kom-plexe, die kein Detektiv zu entlarven imstande wäre?
Als Medium, das Pynchon angemessen sein könnte, hat sich der Hypertext erwiesen: Nicht von ungefähr sind mehrere der im Film vorkommenden Interviewpartner Betreiber von aufwendigen Internet-Projekten zur Kartographie seiner labyrinthischen Texte. A Journey Into the Mind Of Äp.Ü schuldet seine eigene Fenster-, Zwischen- und Untertitelästhetik da eher der Teilfinanzierung durch europäische TV-Sender: Er ist eine Art ins Kino getragenes Fernsehfeature.
Wenn die Dubinis Detektivarbeit leisten wollten, dann sind sie letztlich an der Unentschiedenheit zwischen Ausleuchten und Weiterspinnen der mythenumrankten Leerstelle Pynchon gescheitert, die gewählte Form populärer TV-Investigation jedenfalls strandet in manch schicker Überleitung und Zeitrafferspielerei. Dass der Soundtrack von den bekanntesten Unbekannten im heutigen Musikgeschäft, The Residents, entliehen wurde, scheint da nur schlüssig: Beiden Phänomenen, dem unsichtbaren Autor wie den Augäpfel tragenden Gesichtslosen, ist die Rätselhaftigkeit ja längst zum unverwechselbaren Attribut geworden. Und „auch ein lauthals deklariertes Anti-Markenzeichen“, wie es an anderer Stelle über den Film hieß, „bleibt immer noch ein Markenzeichen“.
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