Unverbremt von Simone Schnase über Adorno und Erstsemester: Olé, olé, olé, olé!
Wer denkt, ist nicht wütend.“ Diese steile Adorno-These bestätigt sich in Tagen wie diesen – nicht. Denn in der kommenden Woche beginnt das Semester und man sollte ja meinen, dass jene jungen Menschen, die nun den ersten Schritt in ihre akademische Ausbildung machen, des Denkens mächtig sind. Schließlich haben sie ihr Abitur bestanden. Schließlich werden sie ja bald studieren. Wütend sind sie aber trotzdem.
„Olé, olé, olé, olé!“: So lautet ihr Schlachtruf, gern als hasserfüllt intonierte Antwort auf für Außenstehende unverständliche, durch Flüstertüten verzerrte Kampfparolen. Die werden, begleitet von der Musik solch berühmter Komponisten wie Scooter, vorgetragen von studentischen Heerführern, die den künftigen Schöngeistern, Lehrern und Ingenieuren den Weg in den Krieg weisen, der wiederum – haha: nomen est omen! – offenbar an der Schlachte stattfindet. Denn der Weg führt zielgerichtet Richtung Weser, genau unter den Fenstern der taz-Redaktion entlang, und ist gesäumt von Bier und Plastikbechern.
Deviantes Verhalten von Jugendlichen und Erwachsenen, das Phänomen der Massenhysterie, das Verschwinden des Individuums in der Masse, der Zusammenhang von sozialem Verhalten und gesellschaftlicher Akzeptanz, Krankheit durch Lärmbelästigung, Umweltschäden durch Plastikmüll, psychologische Auswirkungen exzessiven Alkoholkonsums: alles tolle Themen für angehende Soziologen, Historiker, Psychologen, Lehrer, Ökologen oder Mediziner. Damit können sich die Studis dann ab nächster Woche beschäftigen, wenn das Semester losgeht.
Vielleicht hat Adorno aber doch Recht gehabt und es handelt sich gar nicht um Erstsemester, die da in Heerscharen wütend schreiend auf der Straße ihren Müll verteilen. Vielleicht simulieren ja rein zufällig gleichzeitig in der Woche vor Semesterbeginn sämtliche Ballermann-AnimateurInnen Norddeutschlands den Ernstfall! Wenn das so ist: sorry, liebe Erstsemester, und sorry, verehrter Adorno!
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen