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Untersuchungsausschuss Stuttgart 21Wasserwerfer war "mildestes Mittel"

Stuttgarts Polizeipräsident sagt vor dem Untersuchungsausschuss zu den Einsätzen gegen Stuttgart-21-Proteste aus. Für ihn haben die Bahnhofs-Gegner einfach nur die Polizei behindern wollen.

Da wird die Polizei also "überrannt" und setzt gegen die "neue Qualität von Protest" ihre "milden Mittel" ein. Stuttgart, September 2010. Bild: dpa

STUTTGART taz | Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf hat vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine politische Einflussnahme auf den massiven Polizeieinsatz im Schlossgarten von Ende September ausgeschlossen. "Wir haben den Einsatz so geplant, wie wir es polizeitaktisch wollten", sagte Stumpf am Montag im Stuttgarter Landtag.

Das habe mit Politik nichts zu tun. Gleichzeitig rechtfertigte er den Einsatz als verhältnis- und rechtmäßig. Es habe sich im Schlossgarten um keine Versammlung der Demonstranten gehandelt, sondern um "schlichte Verhinderungsaktionen". Der Selbstzweck sei nicht die politische Meinungsäußerung gewesen, sondern die Behinderung der Polizei.

Im Streit über das Bahnprojekt "Stuttgart 21" war die Polizei Ende September mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgegangen. Zahlreiche Videomitschnitte zeigen, wie dabei friedliche Demonstranten angegangen wurden. Der Untersuchungsausschuss soll vor allem klären, ob es eine politische Einflussnahme auf die Polizeitaktik gab.

Stumpf sagte, dass die Polizei damals "überrannt" worden sei. "Mit diesem massiven Widerstand in dieser Größenordnung und gegen die Polizei gerichtet haben wir nicht gerechnet." Er sprach von einer neuen Qualität des Protests, verglichen mit früheren Demonstrationen gegen Stuttgart 21, da die Leute zum ersten Mal auch gegen die Polizei vorgegangen seien.

Diese neue Qualität habe die Masse betroffen, nicht nur einzelne Demonstranten. Man sei Platzverweisen nicht gefolgt, habe Polizeibeamte beschimpft und sich gegen das Einschreiten der Polizei gestemmt. Daher habe diese unmittelbaren Zwang anwenden müssen. Der Wasserwerfer sei in diesem Fall - über den unmittelbaren Körpereinsatz hinaus - das "mildeste Mittel".

Uli Sckerl von den Grünen merkte an, dass die Wasserwerfer entgegen der Dienstvorschrift auf die Köpfe der Menschen gezielt hätten. Die Opposition war auch erstaunt, dass sich Stumpf von dem starken Protest überrascht zeigte. Insbesondere die sogenannten Parkschützer hätten in Internetforen angekündigt, dass sie zu zivilem Ungehorsam bereit seien. Andreas Stoch (SPD) kündigte an: "Der Eindruck, den Herr Stumpf hier versucht zu erwecken, wird weiter zu hinterfragen sein."

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10 Kommentare

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  • CS
    Christian Straub

    Die Polizei muss massiv aufrüsten,was hat sie sonst in der Hand wenn es bei Demonstrationen wie in Frankreich abgeht.Demnächst kommen dann Leopardpanzer und pusten die Demonstranten weg.

  • F
    Frank

    Denken wir kurz an die Anlaesse, die von der Politik in die Lebenswirklichkeit gesetzten Gruende fuer Protest. In aller Regel geht es immer um existentielle Lebensbereiche, wie das Einkommen, die Gesundheit, oder die Ausloeschung von Menschenleben aufgrund von staatlichen Beschluessen.

    Die durch die Politik per Beschluss und eine entsprechende Gesetzgebung exekutierte Inkraftsetzung dieser Schaedigung von Bevoelkerung nehmen manche Mitmenschen zum Anlass, sich zu verabreden um gemeinsam gegen die politischen Massnahmen zu protestieren.

    Mit diesem Widerstand rechnet die Politik und bereitet sich darauf vor diesem Protest zu begegnen.

    Um jetzt beim Beispiel zu bleiben, hier ging es ja um den Einsatz von Wasserwerfern, ist festzuhalten dass die Wirkung von Wasserwerfern auf Menschen erforscht und bekannt ist. Es war jedem politisch Verantwortlichen und den Einsatzkraeften bekannt, womit bei Einsatz von Wasserwerfern an Konsequenzen fuer die menschlichen Zielpersonen zu rechnen ist.

    Die Reaktioenen auf die Beschwerden der geschaedigten Opfer dieser Praxis der Poizei beweisen, dass weder die Staatsanwaltschaft, noch die Polizei oder politische Entscheidungstraeger bereit sind auf Koerperverletzung zu verzichten. Hochmuetig, hetzerisch und zynisch werden verfuegbare Beweismittel vorenthalten und/oder vernichtet.

    Unverschaemt wird den Opfern vorgeworfen sie haetten sich selbst, durch die Teilnahme an Protest, in diese Situation begeben und somit die Folgen der in politischem Auftrag ausgeuebten, polizeilichen Gewalt selbst zu verantworten.

     

    Im Klartext heisst das: Wer auf eine Demonstration geht HAT damit zu rechnen, dass Polizei im staatlichen Auftrag dazu berechtigt ist auch mal das ein odere andere Auge wegzuschiessen. Wo gehobelt wird, da fallen schliesslich Spaene.

     

    Ich finde, das Selbstverstaendnis von Politik findet in der Behandlung von Protest in einer demokratisch organisierten Gesellschaft seinen Ausdruck. Wie Vieh werden Demonstranten durch die Stassen gepruegelt, wie Ungeziefer werden Menschen mit chemischen Kampfstoffen bekaempft. Die geistige Verfassung von „Sicherheitskraeften“ ist deshalb die notwendige Ergaenzung des praktischen Einsatzes der staatlichen Gewaltmittel gegen Teile der Bevoelkerung.

    Der in Bezug auf die Opfer staatlicher Gewalt zynische, in Bezug auf den staatlichen Auftrag zweckmaessige Standpunkt, der Einsatz von Wasserwerfern sei das "mildeste Mittel" spricht da eine deutliche Sprache.

    Das denke ich verdient im Gegensatz zur Darstellung von Protest tatsaechlich die Bezeichnung als Extremismus.

     

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33486/1.html

  • UF
    Ullrich F.J. Mies

    Lernfreie Systeme gibt es überall, im Staatsapparat gehört es zum Wesen des Apparates.

  • S
    slk-driver

    Wann werden die Verantwortlichen endlich zur Rechenschaft gezogen. Warum ist H. Stumpf noch nicht eingesperrt?

  • B
    biesi

    Ist dieser Polizeipräsident wirklich noch im Amt? Spätestens nach diesen Äußerungen sollte er für jeden Politiker unhaltbar sein!

  • KD
    Karl der Juchtenkäfer

    Glaubwürdig geht anders.

     

    Ich habe den Eindruck, das Herr Stumpf.. die Menschen "für dumm" verkauft.

     

    Ich hoffe, das der Untersuchungsausschuß...ordentlich nachhakt und die Wahrheit ans Licht kommt.

    Nach allem was passiert ist, gibt es doch genug Beweise und Widersprüchlichkeiten des Herrn Stumpf.

  • R
    rauhfuß

    Ich finde, dieser Herr Stumpf sollte abgesetzt werden. Er legitimiert einen übertrieben brutalen Gewalteinsatz seiner Schlägertruppe. Die Leute seien "Platzverweisen nicht gefolgt, haben Polizeibeamte beschimpft und sich gegen das Einschreiten der Polizei gestemmt" - dafür lässt er dutzende Menschen ins Krankenhaus knüppeln und in ihrer Gesundheit schädigen! Wenn Mollis und Pflastersteine fliegen ist solch ein Verhalten der Staatsmacht eventuell vertretbar, aber doch nicht, wenn sich Demonstranten aneinander festhalten, um nicht weggetragen zu werden. Wir kommen immer tiefer in die Lobbydiktatur und Menschen wie Herr Stumpf sind ihre Wegbereiter.

  • ***

    Wenn Wasserwerfer das mildeste Mittel sind, was würde Herr Stumpf denn dann darüber setzten? Panzer und Artillerie?

    Ich hoffe das er Konsequenzen aus diesem Vorfall ziehen muss und dass endlich Mal ein Fall gegen die Polizei uneingeschränkt aufgeklärt wird - soviel zum Wunschdenken...

  • V
    vic

    "mildestes Mittel"

    Ja, das glaube ich gern, dass der Herr Polizeipräsident das gerne anders geregelt hätte.

    Blöd nur, dass so viele Kameras seine bevorzugte Lösung gesehen hätten.

  • G
    Guillaume

    Ich kann es kaum glauben...

    Die Wasserwerfer sollen die "mildesten Mittel" gewesen sein? Ja was wären denn dann weniger milde Mittel gewesen? Maschinenpistolen?

    Herr Stumpf versucht hier mit allen Mittel ein Einsatz zu rechtfertigen, der nicht zu rechtfertigen ist. Dieser Einsatz am 30.09. ist sowas von aus dem Ruder gelaufen, das jede Rechtfertigung erbärmlich wirkt...

    Herr Stumpf sollte sich was schämen... er scheint den Bezug zur Realität verloren zu haben...

    Und das ist noch "milde" ausgedrückt...