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Untersuchung stützt SPDDas Mindestlohnwunder

Die SPD hadert mit ihren sozialen Sünden der Vergangenheit. Eine Studie, die den Mindestlohn als Aufschwungsfaktor einschätzt, kommt da gerade recht.

Mehr Geld in den öffentlichen Haushalten durch den Mindestlohn: Arbeitslose und Suchende könnten profitieren. Bild: dapd

BERLIN taz | An einem Tag wie diesem schaut man nicht gerne zurück: Agenda 2010, Minijobs, Hartz IV - Sünden der Vergangenheit. SPD und Arbeitsmarktliberalisierung, das war gestern. Mindestlohn ist heute. Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion nennt das "Erkenntnisprozess".

Vorläufiger Klimax dieses Prozesses: die am Freitag vorgestellte Studie des Schweizer Forschungsintituts Prognos, die erstmals die Auswirkungen eines gesetzlichen Mindestlohns auf die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen errechnet hat. Laut der im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellten Untersuchung würden bei Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde die öffentlichen Haushalte jedes Jahr um sieben Milliarden Euro entlastet. So stiegen die Erwerbseinkommen der privaten Haushalte um 14,5 Milliarden Eruo.

Die könnten wiederum 2,7 Milliarden Euro mehr Steuern und Sozialbeiträge zahlen. Zudem gingen staatliche Transfers wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Wohngeld um 1,7 Milliarden Euro zurück. Beinahe 700 Millionen Euro jährlich würde der Staat außerdem durch höhere Steuereinnahmen infolge des gesteigerten Konsums einnehmen.

Die Bundestagsfraktion der SPD sieht sich bestärkt, eine Haushaltskonsolidierung könne auch sozial gerecht ablaufen. Heil und SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider kritisierten, die Bundesregierung habe nach der Finanzkrise dagegen ein sozial unausgewogenes Sparpaket vorgelegt, das einseitig zu Lasten der Arbeitenden und arbeitssuchenden Menschen ginge. Es müsse mehr Geld in die Hand genommen werden, um Langzeitarbeitslosen und Aufstockern zu helfen, forderte Heil. Ansonsten drohe "eine perverse Spaltung des Arbeitsmarktes".

Die Studie sei ein Alarmsignal für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Ohne Mindestlohn entziehe die Bundesregierung dem Staat eben diese benötigten Einnahmen, sagte Heil.

Auch die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer forderte, die Regierung müsse "endlich ihre rein ideologisch motivierte Blockade aufgeben".

Offen lässt allerdings auch die Prognos-Studie, ob die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zu mehr Arbeitslosen und damit weniger Steuereinnahmen und höhren Sozialabgaben führt.

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14 Kommentare

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  • JM
    Jens Martin

    An alle, die gewohntheitsmäßig auf der SPD herumprügeln:

    1. Die SPD hat nach der Bundestagswahl begonnen, sich kritisch mit ihrer Politik von 1998 bis 2009 auseinanderzusetzen. Die Kritik, die hier geäußert wird, wird von großen Teilen der SPD-Basis mitgetragen und auch geäußert. - Das unterscheidet sie von den Grünen, die alles mitbeschlossen haben und sich jetzt - enorm glaubwürdig - wegducken. Das unterscheidet sie aber auch von den Linken, die sich einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene bisher verweigert haben und deshalb den "Wahrhaftigkeitstest" noch gar nicht anzutreten brauchten. Wo sie in den Ländern mitregieren, sind sie auch nicht mehr als Mitte/SPD.

     

    2. Den Mindestlohn haben die Gewerkschaften "erfunden", nicht die Linke. Die Linke hat sich nur schneller auf das Thema gesetzt als die SPD. - Genau gesagt, haben auch die deutschen Gewerkschaften das Thema erst 70 Jahre nach den Amerikanern entdeckt...

     

    3. Wer behauptet, die Studie sei "das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist", verkennt, dass die Studie bestimmte Schwerpunkte setzt, so, wie jede andere Studie auch. - Erfahrungswerte aus anderen Staaten beweisen, dass es nicht zu erheblichem Stellenabbau kommt, wenn ein Mindestlohn eingeführt wird. - Nimmt man beides zusammen, ist die Bestätigung des Mindestlohns komplett.

     

    Fazit: Eindeutig wird die Position der SPD durch die Studie unterstützt. Nicht nur der SPD, aber auch. Es ist albern, dem Verfasser des Artikels daraus einen Strick drehen zu wollen.

  • O
    Oli

    Ein Mindestlohn ist eine Krücke, weil der Staat ja sagen muss: Die Leute verdienen so wenig, dass der Staat sie per Mindestlohn schützen muss. Früher war das nicht notwendig, dank Hartz-Reformen leben immer mehr Menschen in Verhältnissen, in denen sie diesen Schutz brauchen. Und dann geht es ja um die Höhe. Eine Familie kann mit 8 EURO Mindestlohn nicht leben, ein Single vielleicht schon.

     

    Dass die SPD auf diesen Trichter lange nicht gekommen ist, hat wohl etwas damit zu tun, dass deren Ideen von Hartz, Reform und Arbeitsmarkt fehlgeschlagen sind.

     

    Aber aus einer Studie wird ja noch lange nicht eine Realität. Vermutlich bleibt es dabei, dass viele Leute in Deutschland vor sinkenden Löhnen sich Sozialleistungen beim Staat holen müssen.

  • F
    franziska.qu

    Die SPD hat während ihrer Regierungszeit gemeinsam mit den GRÜNEN (1998-2005) gezielt, politisch gewollt, die Tarif- und Lohnstruktur in Deutschland zerstört. Seither gibt es Niedrigstlöhne. Niedrigstlöhne waren Ziel, nicht ungewollte Nebenerscheinung dieser Politik. Seither sind Millionen Menschen in diesem Lande verarmt, ob mit Hartz 4 oder Vollzeit arbeitend. Seither erst, zur Erinnerung, schießen die Essens-Tafeln aus dem Boden. Ca 1,5 Millionen arbeiten Vollzeit und müssen zusätzlich um aufstockendes Hartz 4 betteln gehen. Nach der verlorenen Wahl 'endeckte' die SPD Unter dem Druck der aufkommenden LINKEN wieder ein bißchen 'sozial'. Die SPD hat nach der verlorenen Wahl 2005 im Bundestag gegen ihre eigene Vorlage zu einem Mindestlohn gestimmt, nach dem diese durch die LINKE zur Abstimmung eingebracht wurde. Die SPD hat, nochmal zum mitlesen, GEGEN ihre eigen Vorlage gestimmt.Sonst gäbe es bereits generellen Mindestlohn in D. Der vielgerühmte Mindestlohn ist im Übrigen nicht das Goldene Kalb. In manchen Branchen können einige Menschen minimal besser verdienen bis zur Höhe des Mindestlohns. In manchen Branchen (z.B.Pflege)verdienten die Menschen bisher aber mehr als den Mindestlohn. Hier bedeutet der Mindestlohn ein Absenken der Löhne auf das Niveau des Mindestlohnes. Auf Deutsch: die Menschen verdienen durch den Mindestlohn WENIGER! Beide, die durch SPD/GRÜNE herbeigeführten Niedrigstlöhne UND diese Mindestlöhne lassen Menschen verarmen.Statt einer unreflektierten Wiedergabe der aktuellen SPD-Jubel-Position wünsche ich mir von einer Zeitung und dem Autor schon etwas mehr Vertiefung ins Thema.

  • L
    llocke

    Mensch muss nicht unbedingt für die Linke sein, aber den "Mindestlohn" hat sie auf 's Tapet gebracht - und wurde verlacht. Das Gespenst der Arbeitslosigkeit wurde an die Wand gemalt, den Linken wurde Populismus vorgeworfen und überhaupt. Noch heute fordert sie übrigens 10 € und nicht 8,50. Das würde noch mehr Steuern einbringen und Schäubele wäre noch dankbarer. In diesem Artikel kommt das Wort "Linke" nicht vor und man muss den Eindruck erhalten, dass die SPD den Mindestlohn erfunden hat.

    Demokratie und Objektivität ist manchmal schwer mit der Presse in Einklang zu bringen.

  • TK
    Thomas Köcher

    Die Studie der Berkley-Universität zeigte doch bereits, dass ein ausgewogener Mindestlohn zu keinen negativen Effekten führt.

    Aber bis der Mindestlohn eingeführt wird, darf wohl noch etwas Zeit im Lande verstreichen. In Deutschland gilt: Profite sind wichtiger als Menschen. Das ist pervers.

  • G
    GWalter

    Arbeit, von denen die Arbeitnehmer leben können. Alles andere verursacht einen immensen volkswirtschaftichen Schaden.

    .

    Dass besonders der Arbeitgeberverband ein Befürworter dieser modernen Sklaverei ist, ist nicht neu.

     

    Evtl. sollte einmal über die Aussage von Henry Ford nachdenken. "Autos kaufen keine Autos".

     

     

    Das ist ebenso für alle anderen Produkte und Dienstleistungen zutreffend - auch "gobal"

  • HS
    Horst Schwabe

    Zitat "Offen lässt allerdings auch die Prognos-Studie, ob die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zu mehr Arbeitslosen und damit weniger Steuereinnahmen und höhren Sozialabgaben führt."

     

     

    Bestimmt. Unternehmer der Firmen, die nur existieren, weil sie Niedriglohn-Arbeiter beschäftigen, werden arbeitslos. Das ist aber sekundär.

  • H
    Hans

    Die Studie belegt ja nur, was der geneigte Leser sich praktisch ohne Müde selber zurechtlegen könnte: Wenn durch ein Gesetz schwache Branchen in den Löhnen drastisch gesenkt werden, wenn dann noch der Staat solche miesen Löhne subventioniert, dann hat das extreme negative Effekte auf das Steueraufkommen und damit für die Gesellschaft.

    Dass die Friedrich-Ebert-Stiftung dafür noch Geld ausgeben musste, zeigt, wie schwer sich die SPD mit ihrer Vergangenheit tut. Letztlich ist Hartz-IV eine fehlgeschlagene Reform, weil die Annahmen teilweise durchgebrannt waren.

     

    So gehen Langzeitarbeitslose eben nicht los und schaffen sich Billiglohnarbeitsplätze und entwickeln dann daraus irgendwann wieder Perspektiven und Wohlstand, sondern aggressive Behörden drücken die Leute in einen Arbeitsmarkt, der durch ein Überangebot von Arbeitskräften geprägt ist, und würgend damit Wohlstand und Steueraufkommen ab.

     

    Für Peter Harz, Olaf Scholz, Franz Müntefering, Gerhard Schröder und Wolfgang CLement sind das wohl spektakuläre Erkenntnisse, aber das liegt wohl eher an deren eingeschränkter Tunnelsicht bzw. beschränkter Bildung, was den Arbeitsmarkt angeht.

    Letztlich bleibt sich die SPD aber treu und addiert jetzt den Mindestlohn zur positiven Seite dazu, anstelle das Hartz-Pakett insgesamt zu hinterfragen. Und darin kann sie auf FDP und CDU/CSU bauen - was den Steuerzahler noch jahrelang entsprechend teuer kommen wird.

  • F
    Fate

    @ Hesperos:

    Bei dem Artikel handelt es sich nicht um ein Kommentar, der Stellung beziehen soll zu der Studie. Zudem kann der Autor dieses Artikels wohl kaum etwas dafür, dass die Frage, die Sie ansprechen, ungeklärt bleibt.

  • H
    Hesperus

    "Offen lässt allerdings auch die Prognos-Studie, ob die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zu mehr Arbeitslosen und damit weniger Steuereinnahmen und höhren Sozialabgaben führt."

     

    Herr Ondreka, darum geht es doch. Diese Frage bitte beantworten. Ohne diese ist Ihr Kommentar wertlos.

  • C
    Celsus

    Wirklich und wahrhaftig gibt es eine Studie, die den Mindestlohn als Faktor für den Aufschwung beschreibt? Dann allerdings sollte die SPD sich mal an die eigenen Nase fassen und überlegen, wie weit die Gehälter nach der Einführung von Hartz IV nach utnen gedrückt worden sind. Das druckmittel war einfach und lautete, dass sich jedeR überlegen müsse, wie die Bedingungen ohne Job sind, wenn nicht niedrigste Löhne angenommen werden.

     

    Nicht selten sind gar die Arbeitgeber, die vor dem Antritt der Stelle das Blaue vom Hi9mmel herunterversprechen und danach mit der Mitteilung an die Agentur für Arbeit und damit indirekt mit einer Sperrzeit drohen, falls denn nicht zahlreichen unbezahlte Überstunden geleistet werden. Einen Trend, an dem gerade die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder schuld ist. Treffend formulieren das die Autoren als die Sünden der Vergangenheit.

     

    Es gibt allerdings mit den jeweils leeren Versprechen im Wahlkampf auch die Sünden der Gegenwart. Schönstes Beispiel die Mehrwertsteuererhöhung, die von der SPD im Wahlkampf als asozial bezeichnet wurde. Und nach der Wahl hatte die CDU den Wunsch nach einer Erhöhung um 2 %. Aber die SPD setzte 3 % durch.

  • B
    bla

    die meisten minijobs sind ja auf 400 euro basis.

    wenn man 5 euro die stunde kriegt arbeitet man 80 stunden dafür.Wenn man 8,50 kriegt arbeitet man 47 stunden. man braucht also zwei 8,50 Kräfte um eine 5 Euro Kraft zu ersetzen. Also werden da ganz klar neue jobs geschaffen.

     

    Vielleicht lohnt es sich dann nicht mehr mit den Minijobs und sie stellen wieder vollzeit ein.

     

    Außerdem wäre dann auch dieses die Polen kommen her und nehmen unsere Arbeitsplätze weg gelabber beruhigt.

     

    Alle würden gleich viel kosten nur qualität würde entscheiden.(Schwarzarbeit mal ausgenommen....)

     

    ob der Mindestlohn die Löhne drückt braucht man nicht fragen die liegen ja jetzt schon tiefer.

  • F
    Feder

    Die Autoren der Studie selbst weisen mehrfach darauf hin, dass sie Beschäftigungseffekte vernachlässigen. Ebenso werden die Folgen des Lohnzuwachs für den Arbeitgeber nicht berücksichtigt.

     

    Die Studie daher völlig ungeeignet um daraus politisches Handeln abzuleiten -- und das ist noch harmlos ausgedrückt. Die Studie ist das Papier nicht wert auf dem sie steht.

     

    Das diese Studie von der taz ernst genommen wird ist sehr verwunderlich und zeigt die ökonomische Ahnungslosigkeit der Journalisten.

  • M
    Mirko

    Schön und gut, allerdings gibt es da eine Frage, die diese Studie nicht beantwortet: Wird der Mindestlohn inflationär angepasst, oder nicht? In 10 Jahren sind EUR8,50 nicht mehr das gleiche wie heute. Solange diese Frage nicht geklärt ist, kann man das Ganze auch glaich ganz sein lassen. Andernfalls wird der Mindestlohn sonst so zu einem anderen Mittel der Lohndrückerei.