Ein Mann mit Bäckerkleidung steht neben einer Brötchenlade

Foto: Andreas Fechner

Unternehmer mit Öko-Passion:Bäcker unter Strom

Dieser Mann backt nicht nur Brötchen: Roland Schüren zieht Europas größten Lade­park für Elektroautos hoch. In den Bundestag will er auch noch.

Ein Artikel von

16.7.2021, 08:07  Uhr

Man hat die Bäckerei noch nicht ganz betreten, schon grüßt Elon Musk. Der Tesla-Chef steht als Pappfigur im Verkaufsraum, direkt neben dem „Bio-Westfalenbrot“ und dem „Bio-Roggenbäck“. Der Mann, dem die Bäckerei gehört, lächelt verlegen. „Fanboy-Gehabe“, sagt er und winkt ab. Dass im Treppenhaus ein weiteres riesiges Musk-Bild hängt? Für den „Fanboy“ ganz normal.

Der Mann, der den Tesla-Chef derart vergöttert, heißt Roland Schüren. Auch er ist Unternehmer, wenn auch im kleineren Maßstab: Schüren betreibt eine Biobäckereikette mit 19 Filialen und 250 Beschäftigten im Rheinland – kein Vergleich zu Elon Musk, einem der reichsten Männer der Welt, der mit dem Verkauf von Elektroautos einen Weltkonzern schuf. Trotzdem sieht der Hildener Bäckermeister eine Parallele: „Er führt seinen Riesenladen wie ein deutscher Mittelständler. Direkt, innovativ, immer mit klaren Ansagen.“

Schon 2013 schrieb Schüren seinem großen Vorbild deshalb einen Brief, Betreff: Supercharger at Autobahn-Junction A3/A46 in cooperation with my sustainable bakery. Die Idee: eine Tesla-Schnellladestation am Autobahnkreuz Hilden östlich von Düsseldorf, versorgt mit Biobackwaren aus dem eigenen Betrieb.

Sein Credo: Niemals aufgeben

Wenn Schüren heute daran zurückdenkt, muss er schmunzeln. Zum einen, weil in dem dreiseitigen Brief ziemlich viele Gedanken durcheinander gingen. Zum anderen, weil er mit Ausnahme des ersten Absatzes komplett auf Deutsch verfasst wurde. „Ich war ganz schön naiv“, sagt Schüren, und tatsächlich hat Musk bis heute nicht geantwortet. Trotzdem ist die Anekdote wichtig, um Schürens aktuelle Projekte zu verstehen. Und seinen Willen niemals aufzugeben.

Der 52-Jährige ist überzeugt davon, dass Nachhaltigkeit nicht nur für den Klimaschutz wichtig ist, sondern sich für Unternehmen auch wirtschaftlich auszahlt.

Seine Lieferfahrzeuge fahren deshalb inzwischen fast alle elektrisch. Der Strom stammt zum größten Teil von Solarmodulen auf dem Dach der Backstube. Was dann an Energie noch übrig bleibt, verkauft Schüren an seine Kunden, die ihre E-Autos direkt vor dem Hildener Firmensitz aufladen können. „Das ist für uns viel wirtschaftlicher, als den Strom ins Netz einzuspeisen“, sagt Schüren. Damit lasse sich schließlich kaum Geld verdienen.

Ein Mann steht an einer roten Ladestation

Dieser Tesla-Fahrer tankt bei Roland Schüren gerade Strom Foto: Andreas Fechner

Auch die Backstube hat er auf ökologisch getrimmt. Zwei großangelegte Holzpellets und Biomasse kommen zum Einsatz, um die Öfen zu beheizen. Die Lagerräume werden durch Wasser gekühlt, das aus tieferen Erdschichten stammt. Das Ergebnis: Das Gebäude produziert mehr Energie, als es verbraucht. Das freut den Umweltschützer Schüren. Den Unternehmer Schüren macht es wiederum glücklich, dass er Kosten einspart und mit dem überschüssigen Strom sogar noch Gewinn macht.

Doch dieses Energiekonzept war für ihn nur ein Vorgeplänkel, ein Aufwärmen für das, was gerade am Autobahnkreuz Hilden entsteht. Dort baut Schüren Europas größten Ladepark für Elektroautos: 116 Ladepunkte nebst Imbiss und Bürogebäude, inklusive Photovoltaikanlagen. Das Projekt, das der Bäckermeister vor acht Jahren in seinem Brief an Elon Musk skizzierte, ist am Ende doch noch wahr geworden – wenn auch im weit größeren Maßstab. Neben Tesla sind Dutzende weitere Firmen im Boot, das Investitionsvolumen beträgt 18 bis 19 Millionen Euro.

Dass einem Mittelständler ein solches Projekt nicht zu groß erscheint, liegt ganz offenbar an seiner Persönlichkeit. In Schüren rattert es unabhängig. Als er 1991 nach einer Bäckerlehre und einem Studium der Betriebswirtschaftslehre in der Bäckerei seiner Eltern anfing, musste als Erstes die alte Schreibmaschine dran glauben. „Ich habe einen Computer gekauft und eine spezielle Warenwirtschaft programmiert“, erinnert sich Schüren. Die Verkäuferinnen sollten mit dem neuen Tool einfacher planen können, welche Waren sie für den nächsten Tag bestellen mussten. Auch sonst blieb wenig beim Alten: „Ich habe Rezepte umgestellt, Fertigmischungen weggelassen, Neues ausprobiert“, sagt Schüren. Und ergänzt: „Ich hatte ja Zeit.“

Roland Schüren über seinen Weg zur Ökologie

„Ich habe mich gefragt, was ich zusätzlich anbieten kann. Ich wollte etwas mit Zukunft“

Nachdem er Anfang der 2000er Jahre den Betrieb von seinen Eltern übernommen hatte, stellte er schrittweise auf ein Biosortiment um – aus Überzeugung, aber auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. „Ich habe mich gefragt, was für ein Produkt ich zusätzlich anbieten kann, das sich gut verkauft“, sagt der Unternehmer. „Ich wollte etwas mit Zukunft.“

Es folgten die Photovoltaikanlage auf dem Dach, die elektrischen Lieferfahrzeuge, die Ladestationen – und schließlich die Rastanlage am Autobahnkreuz Hilden. Sein innerer Antrieb? Der sei nun mal da. So sehen es auch Geschäftspartner, die den Bäckermeister kennen. Alexandra Rath, die Leiterin des regionalen Mittelstandsverbands, spricht von einer „positiven Besessenheit“. Auch sie zieht einen Vergleich zu Elon Musk. „Das steckt einfach in ihm. Wenn man in der Region über E-Mobilität spricht, denken alle sofort an Roland Schüren.“

Solarpaneele auf einem Dach, darunter Autos an Ladstationen

Solarpaneele auf dem Dach, Autos an der Ladestation: Schürens Ladepark an der Autobahn Foto: Andreas Fechner

Vor der Bäckerei hängt Schürens Renault Zoe an der Ladesäule – ein kleines Elektroauto, das der Unternehmer im Alltag nutzt. Die neueste Tesla-Limousine steht noch nicht auf dem Hof, ist aber schon bestellt. Um sein Geschäftsmodell besser erklären zu können, steuert Schüren den nahegelegenen Ladepark an. Dort angekommen, blickt man auf ein 12.300 Quadratmeter großes Areal. Einige Teslas nehmen gerade Strom auf.

Das Grundstück hat Schüren der Stadt abgekauft; Geld verdient er dadurch, dass er es an Tesla und den niederländischen Ladenetzbetreiber Fast­ned verpachtet. Beide Unternehmen kaufen ihren Strom bei Schüren, den er mittels Solaranlagen und einer – noch zu bauenden – Windkraftanlage vor Ort selbst produziert. Darüber hinaus betreibt er 54 eigene Ladepunkte. „Die sind deutlich langsamer als die Supercharger von Tesla“, räumt Schüren ein, was aber nicht weiter schlimm sei. „Für Spaziergänger oder Büro-Angestellte ist das kein Problem.“

Biobrötchen und Strom für den Tesla

Was zu seinem zweiten Standbein führt: Auf dem Gelände des Ladeparks entsteht ein fünfstöckiges Bürogebäude, das Schüren vermieten will. Noch ist nur Matsch zu sehen; bis spätestens 2023 aber soll hier gearbeitet werden. Fertig ist hingegen schon der Imbissshop. Die dort angebotenen Biobrötchen werden mit Salat belegt, der in einer Zuchtstation direkt vor Ort wächst. Ansonsten: Biokaffee, Fairtrade-Tee und Pizza. In einem Regal stehen Staubsauger und Luftdruckgeräte für geparkte Autos bereit – wie in einer Raststätte, nur dass Schüren seinen Ladepark so nicht nennen darf. „Darauf hat Tank&Rast das Monopol“, klagt der Bäcker, weshalb entlang der Autobahn auch keinerlei Hinweisschilder auf seine Stromtankstelle stehen.

Schlaflose Nächte bereitet ihm dieses Problem offenbar nicht. „Die Navis und Apps finden meine Ladestationen auch so.“ Überhaupt kämen E-Mobilisten nicht nur zum Auftanken in den Ladepark. „Das ist eine in ganz besondere Zielgruppe, eine richtige Community“, schwärmt der Unternehmer. Schon heute träfen sich am Wochenende ganze Gruppen von E-Mobilisten, um an der Stromtankstelle über ihre Fahrzeuge zu philosophieren, manchmal mit der ganzen Familie.

Eines muss man Roland Schüren lassen: Für einen Ort, an dem man Strom zapfen und eine schnelle Mahlzeit einnehmen kann, bewirbt er den Ladepark wie ein Marketingprofi. Sogar einen eigenen Begriff hat er sich für den Imbiss ausgedacht: „Seed & Greet“.

Bevor Schüren sein Projekt umsetzen konnte, musste er zahlungskräftige Partner finden. Seine Hausbank und die auf Nachhaltigkeit spezialisierte GLS Bank stemmen gut die Hälfte des 18-Millionen-Projekts; die andere Hälfte haben Schüren und zwei befreundete Tesla-Fahrer als Eigenkapital eingebracht. Sein Pitch bei den Banken? „Das Projekt selbst“, sagt Schüren und lacht. „Mit dem Geld tun wir was Gutes für den Klimaschutz. Wir koppeln Mobilität, Energieerzeugung und Lebensmittelherstellung – und genau so habe ich das auch gesagt.“ Hinzu kam Schürens felsenfeste Überzeugung, dass der Verbrennungsmotor bald ausgedient hat. „Was wir machen, ist die Zukunft“, sagt er voller Inbrunst – ein Esprit, der offenbar auch bei den Geldgebern gut ankam.

Stefan Bratzel, Automobilexperte, über das Geschäft mit den vielen Ladesäulen

„Es ist ein Wagnis. Aber das gehört in der Geschäftswelt eben dazu“

Andere sind da skeptischer. „Wenn Corona vorbei ist, wird die Nachfrage nach Mobilität zweifellos wieder steigen“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Auch Bratzel ist überzeugt, dass sich E-Autos langfristig durchsetzen. Nur: Geht es schnell genug, um nicht in die roten Zahlen zu rutschen? Und kann man mit Ladesäulen überhaupt so viel Geld verdienen, dass es sich rechnet? „Auch Tankstellen machen den meisten Gewinn mit den Verkäufen im Shop“, sagt der Auto­mobilexperte. Ob es am Ende klappt? „Es ist ein Wagnis“, meint Bratzel. „Aber das gehört in der Geschäftswelt eben dazu.“

Fragt man Schüren nach der bisherigen Bilanz des Ladeparks, gibt er sich ebenfalls selbstbewusst. „Ich weiß seit der Eröffnung, dass es klappt! Die E-Mobilität nimmt zu – und damit auch die Auslastung von Ladestationen.“ Als Beleg führt er die Tatsache an, dass Global Player wie Tesla bei seinem Projekt mitmachen. Wobei es bei der Umsetzung durchaus Probleme gab. Eine Erdgaspipeline, die unter den künftigen Parkplätzen verläuft, musste komplett entfernt und durch neue Rohre ersetzt werden. „Das hat länger gedauert und war drei- bis viermal so teuer wie erwartet“, so Schüren. Trotzdem gibt er sich zuversichtlich, dass er in spätestens zwölf Jahren seinen Kredit abgezahlt hat.

Bleibt die Frage, wie ein mittelständischer Unternehmer mit Großkonzernen verhandeln muss, ohne dabei über den Tisch gezogen zu werden. Hört man Roland Schüren zu, klingt es, als sei das gar nicht so schwer. „Als Bäcker verhandeln wir in den Innenstädten oft mit Vermietern, die richtig harte Hunde sind. Wenn das klappt, schaffen wir es auch mit allen anderen.“ Da kommt er wieder durch, der „Can do“-Spirit, den man eher in einem US-amerikanischen Start-up erwarten würde als in einem Industriegebiet an der A46. Außer einem Anwalt, der die Verträge geprüft hat, und einem Mitarbeiter, der für den Ladepark zuständig ist, kümmert sich Schüren um alles selbst.

Kann er auch delegieren? Zwei Mitarbeiter, die mit ihm im Büro sitzen, schmunzeln. „Was sollen wir da sagen“, antwortet einer und grinst. Der andere nickt. „Für einen Handwerker kann er gut delegieren“, sagt er, bevor sich der Chef selbst einmischt: „Bei der Arbeit habe ich ein gutes Team und zu Hause eine sehr verständnisvolle Ehefrau.“ Es sind solche Sätze, die den 54-Jährigen plötzlich merkwürdig zurückgewandt wirken lassen. Ist der moderne Entrepreneur in manchen Dingen vielleicht doch konservativer, als er es sich eingestehen mag?

Jetzt will Schüren auch in den Bundestag

Viel Zeit wird Schüren jedenfalls auch in Zukunft nicht für seine Frau und seine zwei Kinder bleiben. Im September tritt er zum ersten Mal zu einer Bundestagswahl an, als Kandidat der Grünen. Seine Themen: Klimaschutz, Elektromobilität, Mittelstand. Auch bei Twitter ist er aktiv. Dort heißt er @EcoCarer1 und bezeichnet sich selbst als „Unternehmer, Bäckermeister, Grüner, Innovator, Effizienz-Junkie, Familienvater, Europäer, Kandidat Btw 2021“.

Schüren ist überzeugt, dass er mit seiner auf Nachhaltigkeit getrimmten Bäckerei kein Einzelfall bleiben muss. Selbst erzeugter Strom, Energierückgewinnung, Bioprodukte: All das sei nicht nur gut fürs Gewissen, sondern bringe eine Firma auch langfristig voran. „Wer mutig ist, kann sich auf diese Weise von seinen Wettbewerbern abgrenzen“, meint Schüren. „Wenn es um Nachhaltigkeit geht, sind viele Verbraucher deutlich weiter, als wir denken.“ Wer die Wahl habe zwischen einer Firma, der Klimaschutz egal ist, und einem Ökobetrieb, stimme letztlich mit den Füßen ab. Allein darauf zu hoffen, dass sich die guten Taten herumsprechen, reiche aber nicht. „Man muss an seinem Image arbeiten und es kommunizieren“, rät Schüren,

Für den anstehenden Bundestagswahlkampf hat sich der Bäckermeister etwas Besonderes ausgedacht: Zu seinen Infoständen wird er nicht einfach im Tesla vorfahren, sondern mit einem historischen VW Bulli. Den Verbrennungsmotor hat Schüren ausbauen und durch einen Akku ersetzen lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.