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Unternehmer in der DDR sind ratlos

■ Die neue Gesetzesflut aus der Volkskammer überblicken nur wenige Unternehmer

Dresden (dpa/vwd) - Franz Susset (58), Geschäftsführer der erst vor kurzem gegründeten Würth-Montagetechnik GmbH in Dresden, hat so etwas noch nicht erlebt: Der langjährige Landrat des baden-württembergischen Hohenlohekreises, der im Ruhestand noch einmal den Job wechselte, will als gesetzestreuer Bürger der DDR Steuern und Abgaben abführen. Doch in der sächsischen Elbmetropole wird er sein Steuergeld nicht los.

Der Fall des Würth-Geschäftsführers ist kein Einzelfall. Mit Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gelten in der DDR seit dem 1. Juli bundesdeutsches Einkommenssteuerrecht und zahlreiche andere Abgaben- und Sozialvorschriften. Doch niemand weiß so richtig, wie die vielen neuen Bestimmungen überhaupt anzuwenden sind.

Die noch existierende DDR, die jeden Pfennig benötigt, hat offenbar Mühe, das ihr zustehende Geld einzutreiben. Selbst Insider haben inzwischen, wie ein Beamter aus einer Berliner Behörde auf einem DDR-Forum des Heidelberger Instituts für Management in Dresden klagte, Schwierigkeiten, das Geschehen noch zu überblicken.

In einem immer noch anhaltenden, atemberaubenden Eilverfahren, das für eine ordentliche Beratung gar keine Zeit läßt, verabschiedet die Volkskammer Gesetze und Gesetzesänderungen wie am Fließband: Gewerbefreiheit, Niederlassungsgesetz, die ersten vier Bücher des Handelsgesetzbuches (HGB), Kartellgesetz, Reprivatisierungsgesetz, Treuhandgesetz und die Streichung des sozialistischen Eigentums aus der Verfassung sollen private Investitionen ermöglichen. Gesetze über die Mehrwert - und Einkommenssteuer gleichen die Verhältnisse in der DDR an die in der BRD an.

Fast jedes dieser Vorhaben hätte in einem normalen Parlament, selbst bei bester Vorbereitung, Monate, wenn nicht gar eine ganze Legislaturperiode gebraucht, um Gesetzeskraft zu erlangen. Die Volkskammer schafft es meist in wenigen Tagen. Die Bürokratie, klagt Susset mit einer Mischung aus Verzweiflung und Empörung, ist nicht in der Lage, Gesetze auszulegen. Meist bekomme er mehrseitige Aktenvermerke darüber, warum etwas nicht gehe.

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