: Unterm Strich
Wer den Glauben an die Experimente der literarischen Avantgarden verloren hat, wird von dem dichtenden Ticker Tag um Tag eines Besseren belehrt. Nehmen wir etwa das Spiel der écriture automatique, mit dem sich die Surrealisten in Pariser Cafés manch nette Stunde bereiteten. Dabei ging es bekanntlich darum, die zensierenden Instanzen des Bewußtseins zugunsten des ungeregelten Strömens der Assoziationen auszuschalten. Die Ergebnisse solcher Übungen sind, wie ein kurzer Blick in Ihren eigenen Kopf Ihnen verrät, zwar äußerst unerwartbar, aber nur selten unterhaltend oder erhellend. Anders beim Tickerdichter, dem anläßlich von José Carreras Auftritt in Münster ein Kompositum durch die Hirnwindungen pfiff, das mit einem Schlag die ganze luftige, transitorische Welt unserer Tage auf den Begriff bringt: Er nennt das Ereignis ein Stück Durchreisekultur. Für sowas gibt mancher Soziologieprofessor die besten Jahre seines Lebens her.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
