: Untergetauchter WAA-Gegner will sich stellen
Der 27jährige Uwe R., gegen den vor zwei Jahren in Zusammenhang mit einer Anti-WAA-Demonstration in Wackersdorf ein Haftbefehl erlassen wurde, will sich nun dem Gericht stellen / Weil er an ein faires Verfahren nicht glaubte, tauchte er ab ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) - Uwe R. will raus aus der Illegalität. Zwei Jahre ist es her seit in Berlin bei einem seiner Freunde zivile Beamte des Staatsschutzes vor der Türe standen und erklärten, daß gegen ihn wegen einer Anti-WAA-Demonstration in Wackersdorf ein Haftbefehl ausgestellt ist. Weil Uwe R. an ein faires Gerichtsverfahren nicht glaubte und ihm zudem der Widerruf seiner Bewährung drohte, tauchte er ab. 25 Monate später will er sich jetzt stellen.
10. Oktober 1986: Weit über zehntausend AtomkraftgegnerInnen ziehen in Wackersdorf um das WAA -Gelände. Dieser Samstag wird vielen Oberpfälzern in sehr schlechter Erinnerungen bleiben. Als Unterstützung für die bayerischen Beamten angereist, prügelte sich die berüchtigte Berliner Polizeieinheit EbLT hemmungslos durch die Reihen der Demonstranten. Am 10. Oktober wurde auch Uwe R. am Rande des Baugeländes von einem 20köpfigen Trupp bayerischer Polizisten festgenommen. Vorgeworfen wurde ihm, daß er sich in einem Gespräch mit Bekannten während der Demonstration mit einem Steinwurf gebrüstet haben soll. Die einzigen Zeugen - zwei Zivilbeamte aus Nürnberg - wollten auch gesehen haben, daß Uwe R. in der Nähe des Haupttores der WAA -Baustelle einen Stein geworfen hat. Noch auf dem WAA -Gelände machten die beiden Zivilen ihre Aussagen und fuhren anschließend nach Nürnberg. Nachdem der Staatsanwalt vor Ort die Vernehmungsprotokolle gelesen hatte, ließ er dann die Nürnberger Beamten aber für eine etwa dreistündige Nachvernehmung über Funk zurückbeordern. Danach hieß es plötzlich, Uwe R. habe aus einer gewalttätigen Menge heraus den Stein geworfen. Der Staatsanwalt sah nun die Gelegenheit, einen Haftbefehl wegen schweren Landfriedensbruchs zu beantragen. Trotz laufender Bewährung
-Uwe R. war in Berlin früher schon wegen Landfriedensbruch zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden - wird am nächsten Tag der beantragte Haftbefehl vom Ermittlungsrichter verworfen. Uwe R., der die im vorgeworfenen Steinwürfe nach wie vor abstreitet, wurde am Sonntag, dem 11.10., entlassen.
Eine Woche später, der brutale Wackersdorfer EbLt-Einsatz hatte zwischenzeitlich in den Medien hohe Wellen geschlagen und die bayerische Landtags-SPD hatte gerade eine parlamentarische Untersuchung beantragt, erhielt eine Bekannter von Uwe R. Besuch von Berliner Staatsschutzbeamten. Sie fragten, wo Uwe R. sei und ließen einfließen, daß gegen ihn nun doch eine Hatbefehl laufe.
Uwe R. - der zuvor schon einmal im Anschluß an eine Wendlandaktion vier Monate in Untersuchungshaft saß, bevor er nach einem zweijährigem Prozeß vor dem Landgericht freigesprochen wurde - befürchtete, medienwirksam als „Vorzeigebösewicht“ die Wackersdorfer Polizeikrawalle legitimieren zu müssen. Er tauchte ab.
Die Amberger Staatsanwaltschaft legte zwischenzeitlich nach. Die Nürnberger Zivilbeamten wurden Anfang November nochmals vernommen. Beide gaben nun an, unabhängig von einander den Beschuldigten bei mehrfachen Steinewürfen erkannt zu haben. Die Hürde, sich den Strafverfolgern zu stellen, stieg.
Der Regensburger Rechtsanwalt Franz Schwinghammer versuchte im Anschluß wiederholt, eine Aussetzung des Haftbefehls zu erreichen. Sein Mandant, so teilte er der Amberger Staatsanwaltschaft mit, würde sich dann einem Gerichtsverfahren stellen. Der Staatsanwalt signalisierte seine Bereitschaft. In einem späteren Schreiben hieß es dann aber, daß die förmlichen Voraussetzung zur Außerkraftsetzung des Haftbefehls nicht gegeben wären. Die unerwartete Entscheidung, vermutet Schwinghammer, muß wohl auf höherer Ebene gefallen sein. In den vergangenn zwei Jahren wiederholte der Anwalt seine Bemühungen, am Ergebnis änderte sich aber nichts.
Der 27jährige Uwe lebt seither isoliert. Aus Furcht vor einer Festnahme meidet er seinen früheren Bekanntenkreis, und Kreuzberg ist für ihn ein Tabu-Bezirk. Weniger der Zwang zur Schwarzarbeit, mit der er recht und schlecht sein Leben als Untergetauchter finanziert, sei es, der ihn belastet, als der Zwang, sich nirgends bei seinen Bekannten blicken zu lassen, sich in einer „anderen Art von Knast“ zu bewegen.
Seine Hoffnung ist nun, daß mit dem endgültigen „Aus“ für die WAA auch der politische Druck auf das Verfahren gesunken ist. Das Motiv, die Polizeiübergriffe der Berliner EbLT -Einheiten am Bauzaun der WAA rechtfertigen zu müssen, dürfte eigentlich auch nicht mehr existieren, nachdem die Sondertruppe auf massiven öffentlichen Druck hin aufgelöst wurde. Nachdem das Wackersdorfer Atomprojekt eingestellt ist, fordern auch die bayerischen Anti-WAA-Initiativen die juristische Wiederaufarbeitung aller Rechtsbrüche gegen WAA -GegnerInnen. Uwe R. ist vergleichsweise bescheiden: Er fordert nur die Aufhebung seines Haftbefehls, um sich dann einem Gerichtsverfahren zu stellen.
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