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Unterfinanzierte TheaterszeneVerschenkte Vielfalt

Hamburgs freie Theater- und Tanz-Szene fordert eine kulturpolitische Wende. Beim Off-Festival „Hauptsache frei“ zeigt sie, welches Potenzial in ihr steckt.

Freie Szene am Boden? Das inklusive Ensemble „Meine Damen und Herren“ Foto: Christian Martin

Hamburg taz | Sie ist ein vielschichtiger und absolut unverzichtbarer Teil der Hamburger Kulturlandschaft: In der sogenannten freien Szene arbeiten Schauspieler*innen und Regisseur*innen, Tänzer*innen und Choreograf*innen, Musiker*innen und Bühnenbildner*innen. Sie machen Sprech- und Musiktheater, entwickeln Jugend- und Kinderstücke, machen Theater mit Laien oder Menschen mit Behinderungen. Sie bespielen Orte wie das Lichthof- und das Monsun-Theater, das Sprechwerk und Kampnagel oder führen ihre Produktionen in einer Kneipe im Gängeviertel oder einem Lagerschuppen im Oberhafenquartier auf.

Eine Szene, die „für die Vielfalt und Weiterentwicklung der Kultur in Hamburg von großer Bedeutung“ sei, findet auch die Hamburger Behörde für Kultur und Medien. Und dennoch ist die freie Szene der Stadt seit Jahren unterfinanziert. Denn die Behörde setzt auf eine jährliche Einzelprojektförderung, die sich in Produktions-, Basis-, Nachwuchs- und Konzeptionsförderung unterteilt. Letztgenannte ist der Hauptgewinn: Sie ist auf drei Jahre angelegt und sieht eine Zuwendung von jährlich 35.000 Euro vor – für maximal zwei Künstlergruppen.

Gerade mal 675.000 Euro umfasste das Budget, um das für die kommende Spielzeit insgesamt 149 Anträge konkurrierten. Über eine Million Euro mehr betrug allein das Gesamtvolumen der Anträge aus dem Teilbereich „Sprechtheater, Musiktheater, Performance“. Und diese 149 Anträge sind nur die jener Künstler*innen und Gruppen, die für die beratende Jury sichtbar werden. Denn wer einen Antrag einreicht, muss auch eine Spielstätte nachweisen. Wer das nicht kann, realisiert Projekte mit sehr wenig oder gar keinem Budget. Oder macht eine Zwangspause.

30 Projekte und eine Basisförderung haben für dieses Jahr den Zuschlag bekommen. Für die Künstler*innen bedeutet das aber noch nicht, dass sie mit ihrem Projekt auch beginnen können. Dies ist nur ein erster Schritt, um Drittmittel einzuwerben. Und der Nachwuchs muss seit der Spielzeit 2012/13 spartenübergreifend mit gerade mal je 5.000 Euro auskommen, die „die Realisierung eines ersten Projektes ermöglichen“ sollen, heißt es. Eine unrealistische Einschätzung. Zum Vergleich: Etwa 20.000 Euro Budget – nur für Regieteam und Ausstattungskosten – veranschlagt das Thalia Theater für eine kleine Produktion eines Regieassistenten in seiner kleinsten Spielstätte in der Gaußstraße.

Die Festivals

Festival „Hauptsache frei“: Di, 24. 4., bis Sa, 28. 4., diverse Theater in Hamburg. Programm: www.hauptsachefrei.de

„Best Off – Festival Freier Theater der Stiftung Niedersachsen“: Do, 26. 4., bis Sa, 28. 4., Pavillon, Hannover. Programm: www.festival-best-off.de

Insgesamt seien im vergangenen Jahr 929.000 Euro für die freien darstellenden Künste inklusive Kinder- und Jugendtheater veranschlagt worden, heißt es aus der Pressestelle der Kulturbehörde. Dazu kommen zwar noch weitere Gelder aus dem Bereich Privattheater sowie Förderungen aus dem Referat Kulturprojekte. Aber ein Vergleich mit den beiden großen Theater der Stadt macht deutlich, wie wenig das ist: In der Spielzeit 2017/18 wurde das Schauspielhaus mit mit fast 27 Millionen Euro, das Thalia Theater mit gut 22 Millionen Euro gefördert.

Das Widerständige oder das Experimentelle hat es wirklich schwer in dieser Stadt

Matthias Schultze-Kraft, Lichthof-Theater

Seit fünf Jahren gibt es noch eine weitere Fördermöglichkeit für die freie Szene. Jährlich 500.000 Euro stellt der Elbkulturfonds zur Verfügung. Dafür bewerben sich neben Theatermacher*innen auch bildende Künstler*innen und Literaturschaffende. Mehr als acht Projekte können aus diesem Topf nicht gefördert werden. Eine komplementäre Förderung durch Drittmittel ist zwar möglich, eine Doppelförderung durch einen Fachtitel der Kulturbehörde jedoch nicht, auch keine Förderung aufeinander folgender Projekte. Wieder: keine Kontinuität.

Eine jährliche Mittelerhöhung auf 3,2 Millionen Euro und eine einmalige Aufwendung von 23.000 Euro fordert deshalb jetzt der Dachverband freie darstellende Künste Hamburg e. V. (DfdK) und hat ein Konzeptionspapier erstellt, „einen konkreten Empfehlungskatalog, um dem in jedem Jahr wachsenden, nicht genutzten Potential gerecht zu werden und für die freischaffenden Künstler*innen Hamburgs langfristig bessere Arbeitsbedingungen bereitzustellen“. „Wir wollen keine Kosmetik, sondern eine kulturpolitische Wende“, betont Barbara Schmidt-Rohr, Choreografin und stellvertretende Vorsitzende des Dachverbands.

Für Matthias Schultze-Kraft, künstlerischer Leiter des Lichthof-Theaters, dessen Arbeit im vergangenen Jahr mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet wurde, liegt das Problem darin, dass es „nicht wirklich ein Bewusstsein für das Potenzial der freien Szene“ gebe.

Seinen Spielplan bestreitet das Lichthof-Theater mit von der Behörde geförderten Produktionen, permanenter zermürbender Drittmittelakquise und ohne eigenen Produktionsetat. „Das Widerständige oder das Experimentelle, das Neue, das hat es wirklich schwer in dieser Stadt“, sagt er. Wenn sich jetzt nicht deutlich etwas ändere, „dann wird es einen Sog geben, weg von Hamburg“, prognostiziert Schulze-Kraft.

Durchhaltevermögen und langer Atem

Wer bleiben will, muss sich mit den Umständen arrangieren. „Man muss ein enormes Durchhaltevermögen haben und sich die freie Arbeit leisten können, man braucht noch irgendwie andere Einnahmequellen“, sagt etwa die Theatermacherin Susanne Reifenrath vom Duo „Meyer & Kowski“.

Und auch Antje Pfundtner, die derzeit als am besten geförderte freie Künstlerin der Stadt gilt, sagt, es brauche einen „wahnsinnig langen Atem“. Im März vergangenen Jahres legte sie im Magazin Brand eins ihre Finanzen offen: „Ich arbeite seit 2001 als freie Künstlerin und entwickle meine eigenen Tanzstücke, seit 2012 produziere ich meine Arbeiten mit einem Team. Ich habe Preisgelder bekommen, kriege Fördergeld und verdiene pro Jahr trotzdem nur rund 25.000 Euro vor Steuern.“ Ohne öffentliche Förderung habe man keine Chance. „Nur kannst du dich auf Förderung nicht verlassen“, sagt Pfundtner. „Und dieser Druck droht dich auszubrennen.“

Einmal im Jahr präsentieren sich die freien darstellen Künste der Stadt beim Festival „Hauptsache frei“, von Dienstag bis Samstag findet die vierte Ausgabe statt. Aber auch dessen Finanzierung ist prekär. Die bisherigen drei Ausgaben wurden mit je 60.000 Euro von der Kulturbehörde finanziert, dazu kamen je etwa 20.000 Euro durch Drittmittel. Julian Kamphausen, der es dieses Jahr gemeinsam mit Susanne Schuster leitet, hat sich deshalb für einen Vorgriff entschieden und zwei Etats zusammengelegt. „Es bedarf mindestens einer Verdopplung“, sagt er. „Aber auch dadurch ist die längerfristige Zukunft des Festivals noch nicht gesichert.“ Nur eine Zwischen-, eine Notlösung.

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