: „Unterernährte“ Dicke?
Mit dem „Quarkwagen“, Gesellschaft beim Essen und Essprotokollen kämpft das Zentralkrankenhaus Bremen Nord gegen Fehlernährung bei älteren PatientInnen
In deutschen Krankenhäusern ist ungefähr jeder vierte Patient unterernährt, bei alten Menschen kann die Zahl bis zu 60 Prozent betragen. Das besagt eine im August in Kassel vorgestellte Studie. „Eigentlich gemeint ist eine Fehlernährung“, erklärt Wolfrid Schröer, Oberarzt auf der geriatrischen Station im Zentralkrankenhaus Bremen Nord. Das könne auch bedeuten, dass dick aussehende Menschen mangelernährt seien, weil ihnen Vitamine, Eiweiß oder Spurenelemente fehlen.
Um solchen Fällen auf die Spur zu kommen, wird nicht nur bei der Eingangsuntersuchung ein „Bodymaßindex“ erstellt, bei dem Körpergewicht und -größe in Relation gebracht werden. Auch Hautveränderungen und schlechte Wundheilung sind Signale, dass dem Körper wichtige Stoffe fehlen können. Die Krankengeschichte und das soziale Umfeld erfragen die ÄrztInnen ebenfalls: „Wenn wir einen Witwer aufnehmen, der kaum Freunde hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er viele Fertiggerichte aus der Dose isst“, erklärt Schröer. Besteht ein Verdacht auf Mangelernährung, führen im ZKH Nord Krankenschwestern „Essprotokolle“, in denen festgehalten wird, wie viel die PatientIn von den Mahlzeiten tatsächlich gegessen hat.
Ursachen dafür, dass PatientInnen auch im Krankenhaus schlecht ernährt sind, gibt es viele. Schröer erklärt: „Es kann an Medikamenten liegen, die den Appetit nehmen, dann versuchen wir es mit anderen Mitteln.“ PatientInnen, die noch beweglich genug sind, können auf der Station in einem Speiseraum mit anderen zusammen essen. Schröer: „Es ist erwiesen, dass man in Gesellschaft mehr isst.“
Aber auch die Krankenhausabläufe sind mitverantwortlich. Dass PatientInnen etwa wegen langer Wartezeiten für Behandlungen ihr Mittagessen verpassen, schließt der Oberarzt nicht aus. Im ZKH Nord will man jetzt wenigstens die Zeit, die zwischen Frühstück und Abendessen vergeht, um eine Stunde ausdehnen. „Und wir müssen weg von den drei großen Mahlzeiten“, sagt Schröer, obwohl ihm klar ist, dass häufigere Essensausgaben mehr Arbeit für das Pflegepersonal bedeuten. „Viele alte Menschen können gar nicht mehr so viel auf einmal essen“, erklärt er. Deshalb gibt es jetzt den „Quarkwagen“, der zwischen Frühstück, Mittag und Abendessen kleinere Quarkportionen und angereicherte Flüssignahrung anbietet. „Die alten Leute nehmen das Angebot gerne an“, sagt Schröer. Darüber hinaus steht die „Ernährungsgruppe“ aus ÄrztInnen, PflegerInnen und einer Oekotrophologin im Kontakt mit der Küche, um das Essen weiter zu verbessern.
Ein weiterer wichtiger Faktor sind die ÄrztInnen selbst: Sie müssten der Ernährung wieder mehr Aufmerksamkeit widmen, betont der Arzt. Denn richtig ernährte PatientInnen werden schneller wieder gesund. Das spart Pflege- und Therapiekosten. Ulrike Bendrat
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