Unterdrückung der Kultur im Iran: Starke Wächter am Tor zur Freiheit
Der neue Präsident Hassan Rohani verspricht größere Freiheiten für die Kultur. Die Zensurbehörden demonstrieren indes ihre Macht.
Als nach der Wahl des neuen Präsidenten Millionen auf den Straßen den Sieg Hassan Rohanis feierten, war der Ruf nach Freiheit und Wandel der häufigste. Die Iraner erwarten nicht nur, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt, man hofft auch auf ein Ende der Repressionen, der starken Einschränkungen der Freiheit der Presse, der Kunst und Literatur.
Im Wahlkampf wurden kulturelle Probleme von der Kritik an den wirtschaftlichen Zuständen überschattet, obwohl die Kulturpolitik der Regierung Ahmadinedschad nicht weniger verheerende Folgen hatte als seine Wirtschaftspolitik. Die Ära Ahmadinedschad gehört zu den dunkelsten Zeiten seit der Gründung der Islamischen Republik.
Unmittelbar nach seinem Wahlsieg sagte Rohani: „Die Bürger müssen dem Staat vertrauen und sicher sein, dass ihr materielles und geistiges Eigentum nicht vergeudet wird.“ Seine Regierung werde, wie im Wahlkampf versprochen, Radikalität vermeiden und die ökonomischen, geistigen und kulturellen Probleme zu lösen versuchen.
Er plädierte für größere Freiheiten und mahnte zu mehr Zurückhaltung der mächtigen Verantwortlichen. Zugleich forderte er freien Zugang zum Internet. Das Filtern von Internetinhalten habe nichts gebracht.
Wieweit Rohanis Worten Taten folgen werden, ist Angesichts der Größe der Macht der Ultras, die schwerlich zu zähmen sein werden, noch sehr ungewiss. Um eine Wende in der gesamten Kulturpolitik herbeizuführen, muss die Regierung neben der allgemeinen Öffnung einen ganzen Katalog von konkreten Forderungen erfüllen, Forderungen der Journalisten, Schriftsteller, Verleger, Filmemacher und Künstler.
Jahrelang in der Zernsurbehörde
Die alles überragende Zensur, die sich nach einer ultrakonservativen Lesart der islamische Ethik und Moral richtet, wurde mit der Machtübernahme der Regierung Ahmadinedschad erheblich verstärkt. Bücher, die angeblich „problematische“ Stellen enthielten, verharrten manchmal jahrelang in der Zensurbehörde. Danach wurden sie entweder abgelehnt oder Verleger und Autor aufgefordert, die oft zahlreichen nicht genehmigungswürdigen Stellen zu streichen.
Der Autor Abu Torab Khosrawi wartet bereits seit vier Jahren auf eine Genehmigung für sein Buch „Das Reich der Qual“. Der Roman des populären Autors Mahmud Doulatabadi, „Der Colonel“, liegt schon seit zehn Jahren bei der Behörde.
Damit nicht genug. Der ehemalige Kommandant der Revolutionsgarde, Saffar Harandi, Minister für Kultur und Islamische Führung, forderte Autoren und Verleger auf, „problematische“ Stellen selbst zu streichen, bevor sie sie zur Genehmigung einreichen. Andernfalls werde man sie mit Sanktionen wie Verbot der Teilnahme an Buchausstellungen und Streichung der Papierrationen belegen und ihnen in Extremfällen die Lizenz entziehen. Zahlreiche Bücher, die bereits einmal die Zensur überstanden hatten, erhielten für eine Neuauflage keine Genehmigung.
Verlage geschlossen
Die Folge war, dass eine ganze Reihe unabhängiger Verlage geschlossen wurden und Autoren ihren Beruf aufgaben. Viele sind ins Exil gegangen und fristen ihr Dasein mit Sozialhilfe, nur wenige haben eine Möglichkeit, ihre Werke zu publizieren. Der Rest übte Selbstzensur.
Das betraf auch die Zeitungen und Zeitschriften. Die Selbstzensur ist wie eine Seuche, die die Substanz der Literatur vernichtet. Der Autor Dawud Ghaffarsadegan erklärte: „Seit einigen Jahren ist das Niveau der Literatur auf erschreckende Weise gesunken. Demgegenüber erlebt die Trivialliteratur eine ungeahnte Blüte.“
Dasselbe Schicksal traf auch Künstler und Filmemacher. Zahlreiche Galerien wurden geschlossen. Jedes Werk, das selbst versteckte erotische Gefühle ausdrückt oder politisch beziehungsweise sozialkritisch anmutet, hält vor den engstirnigen Zensoren nicht stand.
Die iranische Filmkunst, die zu internationaler Berühmtheit gelangt ist und mit wichtigsten Preisen geehrt wurde, erlitt in der Ära Ahmadinedschad einen herben Rückschlag. Längst sind die bekanntesten Filmemacher wie Kiarostami oder Makhmalbaf im Exil. Einige sitzen im Iran im Gefängnis, andere, wie Djafar Panahi, der mehrfach international ausgezeichnet wurde, wurden mit mehrjährigem Berufsverbot bestraft. „Wir stehen zurzeit vor großen Fragezeichen“, sagte Kiarostami und fügte hinzu: „Nur noch ein Wunder kann das Land (Iran) retten.“
Der Schauspieler Amir Djafari sprach von „unsinnigen Einschränkungen für Filmemacher. „Das iranische Kino ist tot“, sagte er. Er stehe ständige vor der Entscheidung, seinen Unterhalt zu verdienen oder in Armut gute Filme zu machen.
Das Haus des Kinos, wo der einzige funktionierende und halbwegs unabhängige Berufsverband der Filmemacher residiert, wurde im vergangenen Monat nach langem Gezerre geschlossen. Selbst Mahmud Ahmadinedschad kritisierte die Entscheidung der Zensurbehörde. Es sei ein „großer Fehler“ gewesen, sagte er. Er hoffe, dass die Entscheidung bald rückgängig gemacht werde.
Eine Woche später wurden für das Haus des Kinos unter der Aufsicht der Behörde eine neue Satzung und ein neuer Vorstand herbeigezaubert. Nach Einschätzung des Leiters der Filmbehörde, Dschawad Schamghadri, werde auch die künftige Regierung sich dieser Entscheidung beugen müssen: „Sie sollte sich hüten, das Haus wieder den Filmemachern zu überlassen. Sollte sie es versuchen, werden wir, gleichgültig ob wir weiter die Verantwortung haben werden oder nicht, sie daran hindern.“
Rohani muss bei seinem Reformvorhaben gegen harte Fronten kämpfen und ideologisch hohe Mauern niederreißen, um weiterzukommen. Es ist fraglich, ob ihm das gelingt, oder ob er genauso wie einst Chatami letztendlich scheitern wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles