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Unterbringung von FlüchtlingenNoch kein Zeltdach über dem Kopf

Eine in der Kritik stehende Zeltstadt für Flüchtlinge in Duisburg wird noch nicht bezogen. In Bayern wird für zwei Kommunen ein Aufnahmestopp verhängt.

Zeltstadt für Flüchtlinge in Duisburg. Bild: dpa

BERLIN taz | „Ich bin da sicherlich nicht stolz drauf“, sagt Reinhold Spaniel. Duisburgs Stadtdirektor weiß um die Brisanz der Zeltstadt, die in der vergangenen Woche auf einem örtlichen Sportplatz errichtet wurde. In das aus 24 Einheitszelten mit 150 Betten bestehende Lager des Roten Kreuzes sollten am kommenden Montag die ersten Flüchtlinge einziehen. Doch noch ist offen, ob es so weit kommt. „Momentan ist die Zuweisung der Flüchtlinge durch eine Notbeschlagnahmung von Wohnungen geregelt“, sagt Spaniel. „Wenn aber am kommenden Wochenende in Duisburg die nächsten 100 Asylbewerber ankommen, dann müssen wir einige davon auch in den Zelten unterbringen.“

Die Errichtung der Zeltstadt im Duisburger Stadtteil Walsum war in den vergangenen Tagen bundesweit auf heftige Kritik von Politik und Flüchtlingsorganisationen gestoßen. Doch angesichts der steigenden Anzahl an Flüchtlingen beklagen immer mehr Kommunen, sie würden von ihren Landesregierungen nicht ausreichend unterstützt.

Deutschland erwartet für dieses Jahr 170.000 Asylbewerber – so viele wie seit gut 20 Jahren nicht mehr. In Nordrhein-Westfalen seien die Unterbringungskapazitäten zurzeit erschöpft, sagte ein Sprecher der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg. Und das bayerische Sozialministerium erklärte, man habe in München und in Zirndorf einen vorübergehenden teilweisen Aufnahmestopp verhängt. Auch die am Montag in Zirndorf aufgestellten Zelte reichten nicht mehr für die Unterbringung aus.

Für Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, sind die Zelte „das Symbol einer verfehlten Asylpolitik“. Die steigende Zahl an Asylsuchenden sei seit Jahren absehbar gewesen. „Die deutsche Politik denkt nicht von den Flüchtlingen her“, kritisiert Burkhardt. „Ich kann doch nicht ernsthaft glauben, dass syrische Flüchtlinge in Italien bleiben, wenn im Ruhrgebiet ihre Verwandten leben.“

Das System ist schuld

Luise Amtsberg, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, nennt die Zeltstadt in Duisburg schlicht „absurd“. Zelte seien keine Lösung für das Problem. Für die aktuellen Engpässe macht Amtsberg das deutsche System verantwortlich, nach dem Asylsuchende auf die Länder und Kommunen verteilt werden, den sogenannten „Königsteiner Schlüssel“. Dieser nehme keine Rücksicht auf die örtlichen Begebenheiten und den demografischen Wandel. Amtsberg forderte gegenüber der taz eine Bund-Länder-Kommission, die sich mit der Frage beschäftigt.

Den SPD-Politiker Reinhold Spaniel macht die harsche Kritik an seiner Zeltstadt in Duisburg wütend. „Die Schlaumeier, die unser Vorgehen als menschenunwürdig bezeichnen, verhindern gleichzeitig im Bundesrat, dass die Kommunen entlastet werden“, sagt er mit Blick auf die Grünen. Die stemmen sich in der Länderkammer gegen die Pläne der Bundesregierung, mehrere Länder des westlichen Balkans zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären. Asylsuchende aus diesen Ländern würden dann pauschal abgewiesen. Dadurch würden laut Spaniel weniger Flüchtlinge nach Duisburg kommen.

„Sie sollten mal mitkommen in unsere Bürgerversammlungen. Die sind nicht vergnügungssteuerpflichtig.“ Auch den Einwand, gerade in Duisburg würden doch viele Wohnungen leer stehen, möchte er so nicht stehen lassen. Duisburg bringe schon die Hälfte seiner Asylbewerber in Wohnungen unter. Und: „Leerstand heißt nicht gleich belegbar. Viele Immobilien sind unbewohnbar.“

Die Zeltstadt in Walsum soll ohnehin nur bis Ende Oktober als Provisorium dienen, so Spaniel: „Dann gibt es den ersten Bodenfrost. Und das ist dann wirklich nicht mehr zumutbar.“

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5 Kommentare

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  • Also die Kritik von der Amtsberg am Königssteiner Schlüssel kann ich als Flüchtlingsaktivist überhaupt nicht nachvollziehen. Im Gegensatz ist er doch halbwegs gerecht, so wird die Anzahl von Asylbewerbern eben nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft zugewiesen; wer mehr Geld hat, muss mehr aufnehmen. Im Gegenteil sollte endlich mal ein Königssteiner Schlüssel für die gesamte EU gemacht werden, dann würden nämlich die Mittelmeerländern endlich mal entlastet und dieses ganze System wäre weniger absurd, indem sich Deutschland nicht einfach dank Dublin II faul zurücklehnt und es Italien, Malta und co überlässt und ständig fordert, diese sollen einfach strenger mit dem Flüchtlingen umgehen. Das würde auch mal zu einem Umdenken beispielsweise in Italien führen, die momentan auf Grund ihrer überlastung eigentlich alle Flüchtlinge nur in den Norden (u.a. Deutschland) schicken mit einem Touristenvisum. Den Vorschlag hat übrigens die grüne EU-Fraktion auch schon gemacht, die Amtsberg scheint ihre eigene Arbeit nicht zu kennen.

     

    Den Vogel abgeschoßen hat aber natürlich dieser SPD-Kommunalpolitiker Spaniel, dessen Aussage vor fehlender Logik nur so trotz. Er fordert also von den Grünen, einfach Asylbewerber generell ausszuschließen, weil dann würden ja auch weniger in Duisburg ankommen. Ein absurdes Argument, müsste man nach der Logik doch einfach alle Herkunftsländern als so genannte "sichere Herkunftsstaaten" anerkennen, dann hätte Duisburg doch nämlich noch weniger Asylbewerber. Der Mann fände es bestimmt auch gut, wenn man Armut verbieten würde und Hartz-IV-Bezieher ausweist, dann hätte seine Kommune ja auch weniger Probleme.

    So eine Aussage, von jemandem der gewählt wurde um Probleme zu lösen und sie jetzt einfach wegdefinieren will, ist ein nicht nur intellektuelles Armutszeugnis und ein Rücktrittsgrund.

    • @Dubiosos:

      In Italien lebten 2012 1.089 Flüchtlinge pro Mio Ew., in Griechenland 189, in Spanien 96, in Portugal 48 - und in der Bundesrepublik rund 7.000.

      Jeder irgendwie geartete Schlüssel würde mithin dazu führen, daß die Mittelmeeranrainer außer Malta in Größenordnungen Flüchtlinge aus dem Norden und Nordwesten der EU übernehmen müßten oder zumindest die nächsten rund 120.000 (Spanien), 100.000 (Italien) sowie je 27.000 (Griechenland und Portugal) im Lande behalten, um überhaupt nur auf den EU-Durchschnitt zu kommen.

      Um die aktuellen Bestandszahlen der Bundesrepublik zu erreichen, müßte z.B. Italien nach dem Königsteiner Schlüssel rund 450.000 Flüchtlinge zusätzlich aufnehmen (und behalten!).

      Erst dann könnte Herr Renzi wirklich von Überforderung sprechen - bislang ist das nichts als (auf die eigenen innenpolitischen Konstellationen und Probleme ausgerichtete) Propaganda.

    • @Dubiosos:

      Was für ein sinnfreier Kommentar. Schauen Sie sich mal die Aufnahmezahlen von Italien, Spanien, etc. an und vergleichen Sie diese mit denen in Deutschland.

       

      Ihr Kommentar ist ein interlektuelles Armutszeugnis.

      • @klarkopf:

        Ich kenne die Zahlen. Im EU-Vergleich liegt Deutschland gemessen auf die Einwohnerzahl, ziemlich genau im Mittelfeld. In absoluten Zahlen nimmt Deutschland natürlich die meisten Flüchtlinge auf, was als mit Abstand größtes Land der EU aber recht logisch ist.

        Was ist daran jetzt also sinnfrei?

        • @Dubiosos:

          Nur wenn man ausschließlich die Neuzugänge betrachtet, liegt die Bundesrepublik pro Mio Ew. im Mittelfeld. Betrachtet man auch die schon länger hier lebenden "Altfälle" mit, kommt Platz 3 hinter Malta und Schweden heraus, mit knapp dem Dreifachen des EU-Durchschnitts (6.990 bzw. 2.600 Flüchtlinge pro Mio Ew. nach den Zahlen aus dem Jahr 2013 für 2012).

          Da die Altfälle sich ja nicht in Luft auflösen und die für sie bereitgestellten Ressourcen plötzlich wieder zur Verfügung stehen, nur weil neue Fälle dazukommen, halte ich Ihre Betrachtungsweise für falsch bzw. - wenn sie gegenüber anderen vertreten wird - für irreführend.