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„Unser Streikrecht wurde vom Arbeitsminister ausgehöhlt“

Ein Interview mit Morgan Tsvangirai, dem bisherigen Generalsekretär des Simbabwischen Gewerkschaftsbundes ZCTU  ■ I N T E R V I E W

Der 38jährige Morgan Tsvangirai ist seit zwei Jahren im Amt und wurde Ende vergangenen Jahres wegen regierungskritischer Äußerungen mehrere Wochen lang inhaftiert. Dezeit läuft eine politische Hetzkampagne in den staatlichen Medien gegen ihn.

taz: Zehn Jahre Unabhängigkeit Simbabwes: Was ist für die Arbeitnehmer dabei herausgesprungen?

Morgan Tsvangirai: 1980 stellte sich die neue Regierung als sozialistische, arbeiterorientierte Alternative zum Kolonialregime unter Ian Smith vor. Sofort wurden Mindestlöhne und ein gewisser Kündigungsschutz eingeführt; Arbeiterkomitees konnten sich gründen. Für diese Erfolge möchte ich der Regierung danken. Aber damit hat es sich dann auch schon. Denn trotzdem verloren etwa 100.000 Menschen ihren Arbeitsplatz, vor allem als Hausangestellte und Landarbeiter.

Wie geht es den Arbeitnehmern heute?

Immer mehr Menschen werden arbeitslos oder finden gar nicht erst Arbeit, wie die etwa 250.000 Schulabgänger pro Jahr. Es fehlen Wohnungen, der öffentliche Nahverkehr ist miserabel, und der Lebensstandard der Kollegen geht immer weiter zurück: Heute ist der Mindestlohn für einen Industriearbeiter auf 182 Simbabwe-Dollar (etwa 130 DM) pro Monat festgelegt. Dabei liegt das Existenzminimum nach unseren Schätzungen bei 400 Dollar.

Aber versteht sich die Regierung nicht immer noch als marxistisch-leninistisch, mit besonderer Sorge für Bauern und Arbeiter?

Wenn Sie mich fragen: Das ist reine Rhetorik. Niemand in der Regierungspartei ZANU/PF ist ein Marxist, sondern alle sind alte feudale Nationalisten, die jetzt an der Macht sind und mit Gewalt dort bleiben wollen.

Ich sehe keinen einzigen Hinweis darauf, daß sie die Gesellschaft transformieren wollen hin zu mehr Mitbestimmung, zu mehr Demokratie. Im Gegenteil: Sie lassen sich immer mehr mit dem Kapital ein. Zum Beispiel mit dem neuen Investitionsschutzgesetz: Die Gewinne können jetzt zu 100 Prozent ins Ausland transferiert werden. Und Artikel 16 der Verfassung besagt, daß das Privateigentum unantastbar ist.

Was befürchten Sie?

Um ausländisches Kapital anzulocken, hat die Regierung die bisherige Preiskontrolle freigegeben. Lohnerhöhungen dagegen wurde nicht nicht zugestimmt. Schon seit Jahren haben wir keine Möglichkeit mehr, die Löhne eigenständig mit den Unternehmern auszuhandeln. Unser Streikrecht wurde vom Arbeitsminister ausgehöhlt. Damit verlieren wir eine der wichtigsten Waffen, denn jeder Streik kann aufgrund der Notstandsgesetze, denen wir seit 25 Jahren unterliegen, sofort für illegal und damit strafbar erklärt werden. Wir haben das erst 1989 bei einigen Streiks von Eisenbahnern, Ärzten und Technikern erlebt.

Das ist eigentlich nur mit den schlimmen Zuständen zu vergleichen, die das Apartheidsystem Südafrikas den Arbeitern zumutet. Und Simbabwe ist doch immer gegen die Zwangsmaßnahmen dort aufgetreten. Aber wenn eine Regierung erst einmal in den Genuß solcher Machtfülle gekommen ist, dann ist es ziemlich schwer, das wieder zurückzuschrauben.

Was erwarten Sie für die nächsten fünf Jahre?

Die Wahlergebnisse vom vergangenen Monat waren sicherlich ein Schock für die Regierung. Denn vor allem die städtische Bevölkerung hat ihre Unabhängigkeit demonstriert und die Opposition gewählt. Wenn die Regierungspartei ihre Einstellung uns Arbeitern gegenüber nicht ändert und ihre Arroganz nicht aufgibt, wird sie in naher Zukunft eine schwere Krise heraufbeschwören. Ich wünsche mir, daß die Regierung uns bei wirtschaftlichen Fragen konsultiert, unseren Bedenken und unserem Rat mehr Aufmerksamkeit schenkt.

Welche Hoffnung setzt die Gewerkschaft in den Einparteienstaat?

Er ist nicht vereinbar mit mehr Demokratie und Mitbestimmung. Wir würden es statt dessen begrüßen, wenn alle gesellschaftlichen Gruppen, ob nun linke oder rechte, ihre Interessen stärker zum Ausdruck brächten. Bei einem Einparteienstaat dagegen sehe ich schwarz. Er hilft allein der Regierung und dem Kapital, nicht den Arbeitern. Wir müssen uns an der Basis noch stärker verbünden und eben nicht mit den Mächtigen in der Partei, wie das, so möchte ich selbstkritisch anmerken, lange Zeit auch im Gewerkschaftsdachverband üblich war. Deshalb ist es auch für mich ausgeschlossen, ein Parteiamt zu übernehmen.

Interview: Christoph Fleischer

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