Unruhen verstärken Migration in die EU: Hochsaison für Afrikas Flüchtlinge
Die Zahl afrikanischer Migranten, die auf Booten nach Europa kommen, nimmt rapide zu. Ursachen sind unter anderem die Kriegsgefahr zwischen Äthiopien und Eritrea und der mauretanische Militärputsch.
349 Afrikaner auf einem Fischkutter sind am gestrigen Freitag im Hafen der italienischen Insel Lampedusa gelandet. Am Vortag waren es auf Lampedusa und Sizilien zwei Boote mit 355 und 71 Passagieren. Auf dem nahen Inselstaat Malta brachte die Marine 58 Bootsflüchtlinge an Land. In Libyens Hauptstadt Tripolis wurden 14 Bootsflüchtlinge gewaltsam wieder ausgeladen, nachdem ihr sinkendes Boot von einem spanischen Fischkutter zwischen Libyen und Malta gerettet wurde und die Fischer die Ertrinkenden nach Libyen zurück brachten statt nach Malta. Das ist die Bilanz der letzten zwei Tage afrikanischer Migration Richtung Europa.
Trotz verschärfter Überwachung durch die Marinepatrouillen der EU-Grenzagentur Frontex, trotz immer neuer Abkommen zwischen europäischen und afrikanischen Regierungen zur Zusammenarbeit bei der Verhinderung von Migration - der Zuzug aus dem Nachbarkontinent nach Europa über das Meer, mit den regelmäßigen Dramen ertrunkener oder unterwegs gestorbener Reisender, hält auch im Sommer 2008 unvermindert an. Die jüngsten Berichte nennen eine auffällig hohe Zahl von unbegleiteten Kindern oder Frauen unter den Flüchtlingen, und ein größerer Anteil der Migranten als sonst kommt aus fernen Ländern wie Sudan, Eritrea oder Somalia. Nach Angaben des Hilfswerks Save the Children wurden auf Lampedusa zwischen Mai und Juli 775 Minderjährige aufgenommen, vier Fünftel davon ohne Begleitung. Die neuen Spannungen zwischen Eritrea und Äthiopien, die von Zwangsrekrutierungen in die Armee begleitet sind, treiben offenbar zahlreiche Menschen in die Flucht. Der bewährte Fluchtweg über Ägypten wird immer schwieriger - tausende eritreische Flüchtlinge wurden in diesem Jahr aus Ägypten abgeschoben, und das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR beklagte mangelnden Zugang zu ägyptischen Abschiebelagern.
Eine weitere Entwicklung, die verstärkte Migrationsbewegungen begünstigt, ist der Militärputsch in Mauretanien am 6. August gewesen. Durch Machtergreifen abgelenkt, überwacht das mauretanische Militär die Häfen und Atlantikstrände seines Landes seitdem offenbar weniger aufmerksam als vorher. Seit dem Putsch gelangen wieder fast täglich Flüchtlingsboote aus Mauretanien auf die Kanaren. Sollte die EU ihre Drohung wahr machen, wegen des Putsches die Zusammenarbeit mit Mauretanien auszusetzen, lägen auch die Programme zur gemeinsamen Flüchtlingsabwehr und zur EU-Aufrüstung der mauretanischen Marine und Küstenwache auf Eis.
Die im Juni verabschiedete EU-Abschieberichtlinie, der Anfang Juli verkündete EU-"Einwanderungspakt" für eine gemeinsame und verschärfte Migrationspolitik sowie die von afrikanischen Ländern südlich der Sahara als Spaltung Afrikas kritisierte Gründung der Mittelmeerunion in Paris Mitte Juli haben ebenfalls dazu beigetragen, die Lust afrikanischer Regierungen zu dämpfen, Europa beim Kampf gegen illegale Migration zu helfen. Die afrikanischen Erfolgsmeldungen über die Festsetzung illegal Ausreisewilliger vor Reiseantritt Richtung Europa sind jedenfalls in den letzten Wochen stark zurückgegangen, während die Zahl der nach Europa gelangten Migranten stark zunimmt.
Eine europäische Antwort darauf gibt es bisher nicht, zum Leidwesen der wichtigsten Zielländer Italien, Spanien und Malta. Die Zeitung Malta Independent wunderte sich gestern in einem Kommentar, wieso gleichzeitig mit dem Budget von Frontex dieses Jahr auch die Zahl der in Malta landenden Flüchtlinge einen historischen Höchststand erreicht habe.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden