Unruhen in der Türkei: Kurdengebiete im Ausnahmezustand
Seit dem Wochenende wüten schwere Straßenschlachten im Südosten der Türkei. Anlass sind Berichte kurdischer Medien, dass PKK-Chef Öcalan mißhandelt worden sei.
ISTANBUL taz In den kurdischen Gebieten der Türkei herrscht seit dem Wochenende ein de facto-Ausnahmezustand. Bei Demonstrationen in nahezu allen kurdisch besiedelten Städten im Südosten der Türkei kommt es seit Tagen zu schweren Straßenschlachten mit der Polizei. Dabei sind bislang ein Demonstrant getötet, Dutzende verletzt und Hunderte verhaftet worden. Als Ministerpräsident Tayyip Erdogan am Montag zu einem lang geplanten Besuch nach Diyarbakir kam, glich die größte Stadt im Südosten einer Festung. Sämtliche Straßen, die Erdogan passierte, waren weiträumig abgesperrt und auf den Dächern waren Scharfschützen postiert. Statt sich den kurdischen Wählern zu präsentieren, konnte Erdogan lediglich vor Mitgliedern seiner AK-Partei reden.
Unmittelbarer Anlass für die Ausschreitungen sind Berichte in kurdischen Medien, PKK-Chef Abduallh Öcalan sei auf seiner Gefängnisinsel Imrali misshandelt und mit dem Tod bedroht worden. Das soll Öcalan in der letzten Woche seinen Anwälten mitgeteilt haben. Danach sei er geschlagen und seine Zelle verwüstet worden. Außerdem hätten ihm einige Wachsoldaten gedroht, ihn zu erschießen.
Öcalan sitzt seit seiner Verhaftung 1999 isoliert auf der Insel Imrali im Marmarameer. Er kann dort von seiner Familie und seinen Anwälten besucht werden, allerdings werden diese Besuche häufig unter fadenscheinigen Begründungen verhindert. Es gibt immer wieder Gerüchte, Öcalan sei krank, er werde vergiftet oder man habe ihn misshandelt. Die einzigen unabhängigen Besucher die Öcalan sehen können, sind Vertreter des Anti-Folter Komitees des Europarates. Deren Berichte werden aber vertraulich behandelt.
Das Justizministerium hat wie immer alle Vorwürfe zurückgewiesen und behauptet, Öcalan gehe es gut. Die meisten Beobachter in der Türkei gehen davon aus, dass die Unruhen aber nicht nur auf die angebliche Misshandlung Öcalans zurückgehen, sondern von der kurdischen DTP auch bewusst geschürt werden, um sich bei den Kommunalwahlen im März 2009 behaupten zu können. Bei den letzten nationalen Wahlen hat die regierende AKP bereits erstaunlich viele Stimmen unter Kurden gewinnen können, bei den Kommunalwahlen will die AKP der DTP jetzt die großen, kurdisch besiedelten Städte endgültig abnehmen.
Der Besuch Erdogans in Diyarbakir war deshalb vor allem als Wahlkampfauftakt gedacht und missriet völlig. Erdogan machte dafür die DTP verantwortlich, was die gereizte Stimmung zwischen Kurden und Türken weiter verschlechtern dürfte.
Auch die DTP scheut vor einer Eskalation nicht mehr zurück. Bei einer Pressekonferenz beschuldigte der sonst moderat agierende DTP-Chef Ahmet Türk die Armee, einen Genozid an den Kurden verübt zu haben und forderte, dass eine DTP-Delegation Zutritt zu Öcalan bekommen solle. In der DTP geht man offenbar davon aus, dass das vor dem Verfassungsgericht anhängige Verbotsverfahren gegen sie schon zu ihren Ungunsten entschieden und weitere Zurückhaltung zwecklos ist. Die DTP wird im März, falls es zu einem Verbot kommt, unter neuem Namen antreten. Sie will verhindern, dass die AKP sie in ihren bisherigen Hochburgen überrundet.
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