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Unruhen in der TürkeiKampf um ein Rechteck

Ein Architekt solidarisiert sich mit den Besetzern des Gezi-Parks. Er kritisiert die autoritär-religiöse Entwicklung des türkischen Staates. Jetzt lebt er in Angst.

Friedlicher Protest at its best. Bild: dpa

ISTANBUL taz | An einem Tag im April sitzt Aziz Tuna* ein Architekturdozent, der aussieht wie Picasso, in einem Park in Istanbul, er zündet sich eine Zigarette an, Samsun 216, und sagt: „Es wird bald Ärger geben.“ Bald, in ein paar Wochen, sollen Bagger kommen: Sie wollen der Stadt einen Park nehmen und eine Shoppingmall geben.

Tuna ist nicht einverstanden mit diesem Tausch. „Ein Park ist keine freie Fläche, die man bebauen kann“, sagt er. „Ein Park ist wie ein Gebäude.“ Der Park, in dem Tuna sitzt, heißt Gezi-Park, kein prominenter Park, zu diesem Zeitpunkt: ein Rechteck, das man in zwei Minuten umrundet hat, Bäume, Blumenbeete, ein Brunnen, ein paar Bänke. Man hört die Autos als fernes Rauschen dort, hupende Taxis. Tuna mag den Schatten der Bäume.

Er hat einen Satz gelesen, er weiß nicht mehr, wo: „Der Kapitalismus fällt die Bäume, wenn er nicht ihren Schatten verkaufen kann.“

Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. Juni 2013. Darin außerdem: Die Titelgeschichte „Wo diskutiert man schlechter: Twitter oder Jauch?“. Der Tatort-Schauspieler Oliver Mommsen über seinen Bremer Kommissar Stedefreund und schräge Ermittler-Kollegen. Und: Warum eine indische Mutter ihre Tochter verhungern ließ. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Am Morgen kam eine Studentin zu ihm, sie hatte ein Problem mit ihrem Entwurf. „Die Räume sind unterschiedlich groß“, sagte sie. „Na, und?“, sagte Tuna. „Allah hat uns doch auch verschieden erschaffen: dünne Menschen, große Menschen, dicke Menschen.“ „Das ist Gotteslästerung“, sagte die Studentin.

„Was wollt ihr noch alles verbieten?“

Was passiert

Erdogan: Nach seiner Rückkehr aus Nordafrika hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ein sofortiges Ende der Proteste im Land gefordert. Die Demonstrationen hätten ihre demokratische Berechtigung verloren.

Merkel: Die Bundeskanzlerin hat die türkische Regierung aufgefordert, im Vorgehen gegen die Demonstranten auf Gewalt zu verzichten.

Proteste: Unterdessen setzten die Gegner Erdogans ihre Proteste in mehreren Provinzen des Landes fort. In Istanbul gab es in mindestens einem Stadtteil neue Zusammenstöße. Zehntausende waren in der Nacht rund um den Taksim-Platz auf den Straßen.

Gezi-Park: Erdogan hatte bereits klargemacht, dass er trotz der Protestwelle an dem Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park festhalten will. Zugleich beschuldigte er erneut Linksextremisten, hinter den Protesten zu stecken.

Verletzte: Nach Angaben des Innenministers Muammer Güler seien 915 Menschen verletzt worden, Vier Menschen in einem kritischen Zustand, acht weitere würden auf Intensivstationen behandelt.

Tote: Die Zahl der Toten bei den Protesten erhöhte sich nach Berichten mehrerer Zeitungen auf vier, nachdem ein Polizist in Adana bei einem Einsatz gegen Demonstranten von einer Brücke in den Tod gestürzt war.

Sachschaden: Der bisher entstandenen Sachschaden soll sich auf mehr als 70 Millionen Türkische Lira (etwa 28 Millionen Euro) erstrecken.

EU-Beitritt: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat einer EU-Mitgliedschaft der Türkei erneut eine Absage erteilt. (dpa/rtr)

Dann lachte Tuna: Er war vor vierzig Jahren das letzte Mal in der Moschee. Er schüttelt den Kopf, wenn er Touristen aus dem Osten sieht: Die Frauen bis auf die Fingerspitzen verhüllt, die Männer in Shorts und Flipflops. „Der Islam ist eine Religion der Männer“, sagt er.

Wenn die Rufe des Muezzins durch die Straßen Istanbuls hallen, dann singt er ihm spöttisch nach. Wenn er einen Wahlkampfstand der AKP sieht, der Partei des Premiers, dann fängt er an zu schimpfen: Was wollt ihr noch alles verbieten? Das Rauchen? Das Trinken? „Es geht nur um Ihre Gesundheit“, sagen die Männer von der AKP. „Polis devleti!“, flucht Tuna. Polizeistaat. Er weiß, dass es nicht um seine Gesundheit geht.

Von seiner Wohnung braucht er eine halbe Stunde zum Gezi, er geht am Galataturm vorbei, über die Istiklal, den Taksim-Platz. Tuna bestellt Tee und sieht, wie der Tag vergeht: Er atmet auf. Es gibt nicht mehr viele Orte, an denen er das kann. Er will seine Wohnung verkaufen und die Stadt verlassen, wenn er im Ruhestand ist: vielleicht ans Schwarze Meer. Vielleicht nach Deutschland, der Schwarzwald gefällt ihm. Er will seine Mutter mitnehmen, er will in einem kleinen Dorf sitzen und zeichnen.

Abends steigt er auf eine Fähre, er fährt über den Bosporus auf die asiatische Seite der Stadt, wo seine Mutter wohnt. Früher hätte er sich an Bord, im Fahrtwind, während er zusah, wie die Kinder Sesamkringel in die Luft halten und warten, bis die Möwen anbeißen, eine Zigarette angezündet, aber das ist nicht mehr erlaubt. Früher kaufte er sich Bier im Supermarkt, aber die Regierung hat die Steuern erhöht. Das Bier ist zu teuer.

Umstellt von Hotels, bedrängt von Straßen

Autos als fernes Rauschen: Im Gezi-Park soll eine Shopping-Mall gebaut werden. Bild: ap

Früher, als Tuna noch studierte, war seine Stadt grüner. Der Gezi-Park war größer, er führte bis zum Bosporus, man sah Containerschiffe, die asiatische Seite der Stadt. Dann wurde der Park nach und nach eingeschnürt, umstellt von Hotels, bedrängt von Straßen. Das Land wuchs, die grünen Stellen in Istanbul verschwanden. Auch das gehört zum Fortschritt der Türkei. Geld und Religion haben sich verbündet. Auf den Entwürfen, die in seiner Wohnung hängen, sind Bäume eingezeichnet, bepflanzte Innenhöfe, viel Glas. Er mag Le Corbusier.

Manchmal steigt er in einen Bus, er fährt an Brücken vorbei, an Hochhäusern, er fährt durch Tunnels und wartet im Stau, die vielen Menschen, die Autos, der Lärm, dann steigt er am Campus der Bilgi-Universität aus, einem umzäunten Gelände mit gepflegtem Rasen und einer Filiale von Starbucks. Er bestellt Kaffee und sieht, wie die Studenten im Schatten liegen.

An einem Freitag, Ende Mai, sitzt Aziz Tuna in seinem Büro, er kann auf den Bosporus blicken von hier. Seit ein paar Tagen besetzen Umweltschützer den Gezi-Park. Tuna bespricht Entwürfe mit seinen Studenten, er raucht. Dann geht er auf Facebook. Er liest, dass etwas im Park passiert ist: Er sieht Bilder von prügelnden Polizisten, von blutenden Parkschützern.

Er will dorthin, er hastet über die Istiklal, er braucht eine halbe Stunde. Er sieht, dass die Straße mit Gittern abgesperrt ist, Polizisten, aufgereiht, hinter Schildern verschanzt. Er kommt nicht durch. Er sieht, wie Tränengaswolken aufsteigen, den Strahl eines Wasserwerfers, er hört Schreie, er sieht, wie Verletzte weggebracht werden, ihre Augen tränen.

Im Fernsehen kommt eine Kochshow

Er bekommt Angst und geht nach Hause, er schaltet den Fernseher ein: Auf CNN Türk kommt eine Kochshow. Es ist jetzt Abend. Tuna wird wütend, er nimmt sein Smartphone und geht auf Facebook. Er schreibt alles, was er über die Regierung denkt und auch eine Nachricht über Mohammed, den Propheten.

Er lehnt sich in seinem Sofa zurück: Er fühlt sich besser jetzt, er ist erleichtert. Er sieht, dass seine Freunde beginnen, den Like-Button unter seinen Nachrichten zu klicken. Er fängt an zu grübeln: Ist es gefährlich, was er geschrieben hat? Nach einer Stunde entscheidet er sich, die Nachrichten wieder zu löschen.

Am nächsten Tag will er wieder in den Park, die Polizei hat Straßensperren errichtet, er kommt nicht durch. Er geht in ein Börek-Restaurant und sieht auf Halk TV, dem Sender der Arbeiter, dass sich die Polizei zurückzieht. Er hastet zurück, aus allen Straßen strömen Menschen zum Taksim-Platz: Sie schwenken Fahnen und singen.

Am Sonntag fährt Tuna über den Bosporus, auf die asiatische Seite der Stadt, zu seiner Mutter. Er hat etwas Hoffnung, dass es besser wird. Bis zum nächsten Tag, Montag, er sitzt im Büro, das Telefon klingelt. Es ist ein Redakteur einer Zeitung, die der Regierung nahe steht. Er liest Tuna vor, was er auf Facebook geschrieben hat. „Haben Sie diese Nachricht verfasst?“, fragt er. Nein, sagt Tuna.

Sein Telefon klingelt ein zweites Mal. Es ist der Redakteur einer anderen Zeitung, die der Regierung nahe steht. Er liest vor, was Tuna auf Facebook geschrieben hat. „Haben Sie das geschrieben?“, fragt er. Nein, sagt Tuna.

Er schaltet sein Handy ab und fährt über den Bosporus zu seiner Mutter. Er hat jetzt Angst, dass die Polizei ihn finden kann. In einer Zeitung sieht er Fotos von verletzten Demonstranten, die in einer Moschee liegen. Sie haben Schuhe an. „Ist das euer Respekt vor einem Gotteshaus?“, fragt die Zeitung. Zwei Tage lang hat Aziz Tuna Angst. Er fragt sich, ob er ins Gefängnis kommt oder vielleicht seinen Job verliert. Dann geht er zurück auf den Taksim-Platz.

*Name geändert

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11 Kommentare

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  • T
    tim

    super kommentar von ra.ozkok

    danke dafür. sollte einigen die augen öffnen, was hier für eine kampagne stattfindet.

  • A
    Antiraucherin

    Rauchverbote sind nur dann keine Heuchelei, wenn sich Autos den Auspuff nach innen legen müssen.

  • BP
    Baba Patates

    mir kommen die Tränen. Da geht die Istanbuler Schickeria auf die Strasse und macht das Victoryzeichen. Istanbul ist gerettet, nein, die ganze Welt! Die taz bringt noch eine "Sonderzeitung" heraus. Drei Bäume sollen versetzt werden. Nein! Alkoholverkauf in der Öffentlichkeit nach 22 Uhr soll geregelt werden. Nein! Das geht nicht. Die Türkei driftet in Richtung Islam. Nein! Die "Türkische Identität" geht flöten. Ja,klar, die Millionen von Menschen die nicht Türkisch waren und "zwangsassimiliert" worden. Über dreißig Jahre tobte ein Krieg in diesem Land. Da wurden auf Demos, kleinen Kindern der Arm verdreht bis es brach. In die Menge der Kurden wurde geschossen und viele andere Brutalitäten. Da begab sich niemand in einen Park und nahm sein Zelt mit um dort dagegen zu protestieren. Dieser Krieg zwischen der kurdischen PKK und dem türkischen Staat wurde auch kaum zur Kenntnis genommen. Aber jetzt, wo der Kemalismus scheint "Baden zu gehen" sind alle "Online-Helden" auf der Strasse und bekommen Mal mit, dass es auch eine reale Welt gibt.

  • A
    Auslandsgeschäft

    (Die DEUTSCHE BANK 1870 – 1995 C. H. BECK)

     

    „Die Banken werden zur Tätigkeit im Ausland getrieben nicht durch nationale Begeisterung, sondern durch die bei einem gewissen Grad moderner kapitalistischer Entwicklung immer stärker werdende Notwendigkeit, dem freien deutschen Kapital im Ausland eine günstige Verwärtungsstätte zu schaffen.“

     

    (S. 52; Die Bagdadbahn / Das Auslandsgeschäft)

  • R
    ra.ozkok

    Polizeigewalt und vor allem Gewaltexzesse überall auf der Welt sind auf das Schärfste zu verurteilen. Da könnt ich kotzen!

    Aber die Frage ist doch, was ist da los in Istanbul und den anderen Städten der Türkei.

    Ich möchte eine ganz erfundene Szenerie in München hypothetisch darstellen. Auch hier haben wir mehrere zentrale Plätze, welche gerne für allerlei Kundgebungen genutzt werden. Dies ist auch wichtig. Denn, was bringt einem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wenn eine Protestveranstaltung nur in Industriegebieten und leeren Äckern gestattet wäre. Zwar kommt es hierdurch teilweise zu Engpässen in der Bevölkerung, aber diese Belastung für die umgebenden Geschäfte, Touristen, und Anwohner wird „im Anbetracht der Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, als "hinnehmbare Belästigung" hingenommen, "um dem Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit überhaupt Wirklichkeit zukommen zu lassen“. Es muss nun die Waage gefunden werden zwischen beiden Interessen. Grenzen bis wohin eine Belästigung hinzunehmen ist, sind auszutarieren.

    Sowohl in München am Stachus bis zum Marienplatz sind wöchentlich mehrere Demos und Kundgebungen als auch am Taksim Platz in Istanbul.

    Man stelle sich also folgendes frei erfundenes Szenario in München vor:

    Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) ist wie in der Realität auch in dieser erfundenen Geschichte des Münchners Liebling. Ein München ohne Ude fast kaum vorstellbar. So sehr lieben ihn seine Münchner. Er könnte - wenn er könnte und wollte - sein Leben lang Münchens OB sein. Ein Unikat. Kaum wegzudenken, wie der Engl Aloisius.

    Nun soll in München irgendwo am Stachus eine Moschee gebaut werden. Ihr habt sicher schon davon gehört. Nur nichts Amtliches. Ein Reizthema, bei dem Bürger aller Bildungsschichten und politischer Anschauung, geteilter Meinung sind. Der OB Christian Ude, der sich und sein München gerne als weltoffene Stadt sieht und sehen möchte unterstützt bisher einen solchen Bau.

    Eine „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ plant eine Demo mit Mahnwache am Stachus. Die Genehmigung wird zur Hauptverkehrszeit nur für eine Kundgebung von 8 Stunden am Stachus erteilt. Egal. Auch, wenn gar keine Genehmigung vorliegt; wird angenommen, dass die Veranstaltung toleriert wird.

    Das Bild ist bekannt. Die Kundgebung beginnt um 10 Uhr und soll bis 18 Uhr dauern. Ein Stand mit Infobroschüren. Ein Mann mit einem Megafon und einem Koran in der Hand erklärt, wie Frauen-, Menschen- und Freiheitsverachtend der Islam ist. Vor Ort ist immer ein Sonderkommando der Polizei mit Schutzkleidung und passt auf, dass keine Krawalle entstehen. Die Polizisten bilden einen Kreis um den Mann, die Menschen drum herum schauen teils begeistert, aber nach außen mit Fassung, teils erschüttert mit und ohne Fassung.

    Gegen Abend sind mehrere hundert Unterschriften gesammelt, Infobroschüren verteilt, das Mikro verstummt. Zumindest rechnete man damit, dass es verstummt. Aber an diesem Tag nicht. Es passiert nun Folgendes. Die Anhänger der „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ verlassen den Stachus nicht um 18 Uhr wie normal. Sie sitzen da, teilweise angekettet und skandieren Sprüche wie: „Rücktritt Ude!“, „Verpiss Dich Ude!“ "Ude, tritt zurück", "München gehört uns." Einige von ihnen sind in Deutschlandflaggen gehüllt. ". Die Demonstranten sind fest entschlossen. Sie wollen erst gehen, wenn Ude zurücktritt und dem Moscheebauplan eine endgültige Absage erteilt. Außerdem sind sie erbost über ein Alkoholverbot in den Münchener S- und U-Bahnen. Die Demonstranten sind der Meinung, dass Ude gerade nicht in München – der Wiege des Hopfenklosters, Hauptstadt des Biers, der Stadt des Oktoberfestes, – den Alkoholkonsum verbieten könne. Niergendwo in München! Nicht mit uns, sagen sie und packen alle ihre Bierdosen aus ihren Rucksäcken aus und lassens zischen; stoßen an und singen Deutschlandfahnen schwingend „Oans, Zwoa Gsuffa! Ude verpiss Dich! Wir sind das Volk“ Ude sei ein Erfüllungsgehilfe der arabischen Scheichs, welcher undemokratisch - ohne die Bürger je gefragt zu haben - in seinem hinterherhechelnden Stadtrat beschließt was er will! Ein wahrer Despot!

    Die Polizei ist immer vor Ort. Es dauert schon über 24 Stunden. Die umliegenden Geschäftsinhaber und Anwohner sind verunsichert. Die Hotel Königshof, Anna Hotel und Hotel Stachus haben die Polizei angerufen und gebeten zu erwirken, dass die Menschen ruhig sein sollen, weil die Gäste sich beschweren. Und es soll dem Mann endlich das Megafon weggenommen werden.

    Die Polizei fordert die „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ auf, ruhig zu sein und droht mit Platzverweis. Nichts geschieht. Der Megafonmann kommt erst richtig in Laune und fängt mit seinen Freunden an „Lieder aus dem schönen Bayernland zu singen“. Die Polizei ist ungewöhnlich geduldig und schreitet nicht ein.

    Die Forderung ist klar. Ude, dieser Undemokrat soll weg! Und die Moschee sowieso.

    Es wird Morgen. Am Sonntagmittag stoßen weitere Protestler hinzu. Es geht weiter wie gehabt. Volksfeststimmung! Das Wetter ist ungewöhnlich warm für einen Mai.

    Die Polizei stellt ein Ultimatum. Entweder die Versammlung wird nun aufgelöst oder ………………………………………………..…! (wird später vom Leser bitte ergänzt)

     

    Angenommen die Polizei ist ratlos und hat noch nichts getan. Es kommt wieder eine Nacht über die Stadt. Die Polizei beobachtet, im Gegensatz zu Istanbul, das Geschehen. Die Protestler singen und skandieren immer noch: „Ude weg! Es gibt kein Bier auf Hawaii doch München, München bleibt dabei!“.

     

    Der erste Werktag bricht an. Die Anwohner Wehrle, Schmidtgal, Schulz und 7 andere rufen schon zum zigsten Mal die Polizei an, damit diese die Versammlung auflöst. 5 von den Anwohnern finden die Idee der „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ an sich richtig und haben unterschrieben. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Wiederum andere Anwohner haben sich der Initiative angeschlossen und lauschen den vertrauten Tönen durch die geöffneten Fenster. Ab und zu gehen sie auch runter. Man kennt sich mittlerweile.

     

    Die Kanzlei BernetzKäfer mit seinen 10 Anwälten und 20 Bediensteten ruft die Polizei an und bittet, dass etwas unternommen wird, weil unter diesen lauten Umständen nicht gearbeitet werden kann. Gleiches gilt für die Arztpraxen am Stachus.

     

    Anfangs war es dem Erdbeerverkäufer am Stachus egal. Im Gegenteil. Die Protestler erweisen sich als gute Kunden. Mittlerweile ist die Zahl der Teilnehmer der„Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ aber auf über 1000 angestiegen und er ist umringt von sitzenden Menschen. Er ist verunsichert. Die normale Kundschaft kommt nicht mehr durch.

    Die McDonalds-Toiletten werden als öffentliche WC Anlagen genutzt. Der Filialleiter ist stinksauer, dass nix unternommen wird.

    Ebenso der Betreiber des Gloria Kinos und die Betreiberin des Gloria Cafés. Alle sagen die "Message" ist verstanden, aber wir würden gerne wieder in die Normalität zurückkehren und flehen die Polizei an, den Platz zu räumen.

    Der Taschenverkäufer Hetzenecker hat seinen Laden am Montagmorgen schon gar nicht erst aufgeschlossen, da eh kein normaler Publikumsverkehr durch kommt. Er hat seine hübschen blonden Verkäuferinnen nach Hause geschickt. Er ists sich Leid andauern die Polizei anzurufen.

     

    Nun eine Quizfrage: Wie kriegt die Polizei es hin, die sonst ja nicht zimperlich ist (Castor-Transporte, NPD und Punkaufmärsche), die Versammlung der „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ nach 3 Tagen ohne Gewalt aufzulösen?

    Die Forderung der Demonstranten ist indes klar: Ude weg, Moschee weg, Alkoholverbot in der S- und U-Bahn weg! Es wird wahre Demokratie gefordert, statt Despotie. Mit einem „Zwischending“ lässt man sich nicht abfertigen. Künfitg soll in ALLEN städtebaulichen Belangen mit Bedeutung gefälligst eine Bürgerbefragung durchgeführt werden. Sonst bewegt sich die „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ KEINEN ZENTIMETER weg!

     

    Für die beste, schnellste und effektivste Lösung lobe ich 50,00 € aus. Dies ist es mir wert.

    Es war keine rethorische Frage. Mein Angebot steht tatsächlich.

    Ich gehe aber trotzdem davon aus, dass Tränengas, Wasserwerfer oder anderweitige mechanische Abdrängung das einzige Mittel sein wird, eine Sitzblokade nach 3 Tagen aufzulösen. Nicht schön, aber besser als scharfe Munition und Knüppel.

     

    Aber wie auch in einer anderen Stadt im südöstlichsten Eck Europas, eskaliert die Situation. Nach dem die Polizisten Tränengas versprüht haben gerät die Situation außer Kontrolle. Manche Teilnehmer der „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ haben sich bereits vermummt und Pflastersteine am Stachus herausgehebelt. Eine erbitterte Schlacht beginnt. Die Polizei hatte nicht damit gerechnet. Versprüht vielleicht mehr Tränengas als nötig, aber bekommt dafür Steine an den Kopf.

     

    Eine Truppe der Sondereinheit aus Kempten ist für ihre besonders raue Art bekannt und knüppelt alles nieder was sich bewegt.

     

    Eine Gruppe von Demonstranten hatte sich im Vorfeld mit Taucherbrillen, Tüchern mit Essig und Zitronensaft versorgt und im Rucksack dabei. Damit ist die Wirkung von Tränengas angeblich abgeschwächt. Es kursieren Videoaufnahmen der brutalen Kemptner Polizeitruppe in sozialen Netzwerken herum.

     

    Die Antifa, Punks der Stadt, Ultras der 60er und Ultras des FCB, aber auch Menschen wie Du und ich kommen, um gegen die Polizeiwillkür und OB Ude zu protestieren. Mittlerweile sind bis zu 6000 Menschen am Stachus. Sie laufen die Kaufingerstraße hoch und runter und besingen ihren Sieg.

     

    Der Polzeipräsident zieht die Sonderkommandos vom Stachus zurück. Die Polizisten versuchen das Gebiet weiträumig abzuriegeln.

     

    Ein großes Feuer wird auf dem trockengelegten Brunnenplatz des Stachus angefacht. Bei McDonalds, Obletter, Hetzenecker werden die Scheiben eingeschlagen. Die Meute vergrößert sich. Die Straßen sind gesperrt. Kein Auto kommt mehr durch. Ein Linienbus der MVG wird gestoppt. Der Busfahrer braucht nicht verscheucht zu werden, er bangt um sein Leben und ist schnell wie der Wind auf und davon. Die Scheiben des Busses werden alle eingeschlagen, die Sitze angezündet. Polizeiwägen umgedreht, demoliert und ebenfalls in Brand gesetzt. Übertragungswägen des Bayerischen Rundfunks und des Lokalsenders MünchenTV wurden ebenfalls umgekippt und demoliert. Die Medien sympathisiere zu sehr mit dem regierenden Oberbürgermeister. Vermutlich hat der OB denen ein Maulkorb verpasst und eingeschüchtert.

    Die „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ ist erstarkt aus diesem Tag hervorgegangen. Oberbürgermeister Ude erklärt dennoch live im Fehrnsehen, dass er an seinem Plan festhalten werde. Das Alkoholverbot sei kein Verbot an sich, sondern eine Regelung über den Alkoholkonsum in der S-und U-Bahnen, wie es auch in anderen deutschen und europäischen Großstädten Usus ist. Man habe dort gute Erfahrungen gesammelt.

     

    Was den Moscheebau betrifft sagt er, dass er jetzt erst Recht der Welt beweisen müsse, dass die Stadt München eine weltoffene Stadt sei und alle Pläne und Verträge bereits unterzeichnet seien. Er sagt, dass ein Grossteil der Bürger dieser Stadt ihn gewählt haben und er nicht daran denkt, durch diese marginale zerstörerische Gruppe, die sich selbst „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ nennt, zu einem Rücktritt bewegen lässt.

     

    Die „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ fühlt sich dadurch noch mehr angestachelt. Geht dieser OB doch gar nicht auf einen politischen Dialog mit der „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ ein.

     

    Die „Initiative von Demokraten, denen München und Deutschland am Herzen liegt“ hat mittlerweile einen solchen Zulauf bekommen, dass weder Autos noch Trams zwischen Lehel und Hauptbahnhof, Marienplatz und Sendlinger Tor verkehren können. Der Stachus ist bis zum Marienplatz mittlerweile ein Meer von Deutschlandfahnen. Die meisten Scheiben der Geschäfte am Stachus und der Kaufingerstrasse sind zerbrochen. 50 Polizeiwägen und 100 private PKW in Brand gesetzt. Die großen Blumentöpfe am Stachus umgekippt und als Barrikade verbaut. Den Erdbeerstand gibt’s nicht mehr. Jeder umgekippte Polizeiwagen wird mit einem Jubelgeschrei begleitet. Eine Distanzierung von den Krawallmachern wird als nicht nötig erachtet. Sind sie doch für die gemeinsame Sache.

     

    Für die „Initiative von Demokraten denen München und Deutschland am Herzen liegt“ ist klar: Es liegt ein Duft von wahrer Demokratie in der Luft.

    8 Monate vor der OB-Wahl.

  • B
    bull

    Ich findes es unglaublich.Dass dieser Erdogsn der ganz offensichtlich auch Gewalt als Ausdruck des polischen Kampfes nicht mehr ablehnt(Ganz im Gensatz zu seinem Geschwätz weches Er bevor Er Ministerpräsident geworden ist)sich jetzt nicht davon distanziert.Die AKP sollte sich nicht zu früh freuen.Wer Wind sät erntet manchmal auch Sturm ernten.Ich bin mir ziemlich sicher die Türkei ist bereits im Bürgerkrieg.Mit so einem Ministerpräsidenten auch kein Wunder.

  • IN
    Ihr Namecamillo

    turkisch regirung =egiptregirung !inakzeptabel eigner volk zu töten!

  • P
    Prior

    Ist in D mindestens eine Zeitung übriggeblieben, die die Ereignisse südlich der Donau noch echt kapiert? Einmal, ist schon lange her, war's die taz

  • IK
    Irma Kreiten

    Ich finde den Artikel, und es tut mir leid, das so deutlich sagen zu muessen, auf inakzeptable Weise tendentioes. Er suggeriert, der Architekt sei bedroht worden. Im Text ist jedoch dann lediglich von Angst vor dem Vorgehen der Polizei waehrend der Demonstrationen die Rede sowie von zwei Anfragen ihm wohl nicht besonders wohlgesonnenen Medienvertretern. Auch suggeriert er wie schon viel zu viele Artikel zuvor, dass es sich bei den Protesten in erster Linie nicht um Proteste gegen neoliberalen Kahlschlag und Profitwut, wie sie auch anderswo anzutreffen sind, handele, sondern im Kern um Proteste gegen den (pseudo-)religioesen Kurs der Erdogan-Regierung. Warum berichtet die TAZ statt dessen nicht mal ueber die antikapitalistischen muslimischen Gruppen, die mit den vielen verschiedenen anderen Gruppen zusammen auf dem Taksimplatz gegen Erdogans Betoniermanie demonstrieren?

  • KS
    Karl Sonneschein

    @Schäuble

    "Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat einer EU-Mitgliedschaft der Türkei erneut eine Absage erteilt."

     

    Die Tuerkei hat sicher besseres vor als von Leuten wie Schäuble in den Ruin gerettet zu werden.

  • M
    mettroro

    Der arme Herr Tuna hat wirklich zu leiden. So einseitig habe ich die Taz noch nie erlebt. Meine Meinung über TAZ hat sich grundlegend geändert.

    Herr Tuna scheint eine echte Anpassungsproblematik an neue Gegebenheiten zu haben. In unserem BRD haben wir das Rauchen an öffentlichen Plätzen und am Arbeitsplatz als eine Art Höflichkeit akzeptiert. In der Türkei ist das Freiheitsberaubung für den armen Herrn Tuna. Das sind halt andere Mentalitäten. Ein Tag in einer Stadt x in Deutschland würde das Aufgebot des Ordnungsamtes Herrn Tuna wahrscheinlich zum Suizid veranlassen. Und weil der arme Herr Tuna nicht in ruhe Rauchen kann, muß her Erdogan seinen Platz räumen. Ach zum Park und Grünanlage: dieser Park war und ist ein Umschlagplatz für Drogen. Die Bäume sollten auch nicht einfach gefällt werden. Zu Beginn der Proteste sieht man freigelegte Wurzel, so dass eine Umsiedelung und später Rücksiedelung stattfinden könnte.

    Wenn man sich die Menschen, die Freiheit und das Leben in der Türkei heute mit den Verhältnisse vor 12 Jahren vergleicht, so hat sich Herr Erdogan noch liberaler als die Liberalen, noch sozialistische als die Sozialisten und noch demokratischer als die Demokraten bewiesen. Rettungswagen gibt es seit Jahrzehnten. Aber erst unter seiner Regierung werden auch die abgelegenen Dörfer erreicht, das kann kein anderer Sozialist leisten. Alle Menschen haben ein Recht auf Behandlung (egal ob eine Krankenversicherung besteht oder nicht), das ist in der Türkei keinem zuvor gelungen. Die USA muß diesbezüglich ich nicht beschreiben, Obamas Vorschlag brachte ihm die Auszeichnung "Kommunist". Die Minderheiten wurden noch nie so beschützt, die Aleviten haben ein Recht auf ihre Gebetshäuser, alte Kirchen werden mit Steuergeldern restauriert. In Deutschland sind es für die Moscheen Spenden der jeweiligen Gemeinden.

    Die Aleviten haben endlich einen Buch, wo nach sie ihre Religion ausüben können, vorher gab es keinen Buch, so dass viele Aleviten nicht viel über ihre eigene Religion wissen. Das Buch wurde übrigens von Alevitenführern geschrieben. Übrigens wurde bisher in keiner Amtszeit so viele Bäume gepflanzt, wie in der Amtzeit von Herrn Erdogan. Er wurde gewählt, demokratisch, Herr Erdogan hatte keine Medienmacht wie Berlusconi. Wir haben Italiens Berlusconi ausgehalten. Seine negativen Seiten werden sicherlich der TAZ besser bekannt sein, so dass ich mich da zurück halten möchte. So ergänzen sich Ihr Artikel mit meinem Beitrag. Der arme Herr Tuna hat die Warteschlangen vergessen, wo er für ein Brot oder Pfund Butter seine Beine in den Bauch gestanden hat. Der arme Mann....