Unruhen in Syrien: Regime macht Versprechen
Ein Komitee soll ein neues Parteiengesetz erarbeiten. Indes sind bei Protesten 40 Menschen getötet worden. Die IAEA kritisiert die syrische Haltung im Streit um einen vermeintlichen Reaktor.
NIKOSIA afp/dpa | Bei neuen regierungskritischen Protesten sind am Sonntag in Syrien Menschenrechtsaktivisten zufolge mindestens 40 Menschen getötet worden. Mit immer neuen Reformversprechen versucht die syrische Führung, die Protestwelle gegen das Regime zu stoppen.
Allein im nordwestlichen Ort Dschisr el Schogur und umliegenden Dörfern seien 35 Menschen, darunter 27 Zivilisten und acht Sicherheitsbeamte, ums Leben gekommen, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Montag in London mit. Weiter nördlich, in der Stadt Idleb, hätten Sicherheitskräfte am Abend 1.500 Demonstranten auseinandergetrieben.
In der Küstenstadt Dschable schossen die Sicherheitskräfte nach Angaben der Menschenrechtler auf Demonstranten, um deren Versammlung aufzulösen; dabei seien zwei Zivilisten getötet worden. In Deir Essor hätten Ordnungskräfte auf Demonstranten geschossen, die an einem Gebäude der regierenden Baath-Partei vorbeimarschierten, und drei von ihnen getötet.
Seit dem Beginn der Proteste gegen Staatschef Baschar el Assad am 15. März wurden laut Menschenrechtsgruppen mehr als 1.100 Menschen getötet und über zehntausend weitere festgenommen. Den syrischen Behörden zufolge, die "bewaffnete kriminelle Banden" für die Unruhen verantwortlich machen, kamen seitdem mehr als 150 Polizisten, Soldaten und Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben.
Reform des Parteiengesetzes angekündigt
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete am Montag, Regierungschef Adel Safar habe die Bildung eines Komitees für die Ausarbeitung eines neuen Parteiengesetz beschlossen. Der von diesem Komitee erarbeitete Gesetzentwurf werde vor der endgültigen Verabschiedung auch der Öffentlichkeit vorgelegt, hieß es.
Unabhängige Beobachter bezweifeln jedoch, dass diese Strategie erfolgreich sein wird, unter anderem weil die Führung der regierenden Baath-Partei bislang nicht bereit ist, auf die Sonderstellung zu verzichten, die ihrer Partei von der Verfassung garantiert wird.
Streit mit der IAEA
Der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA geht im Atomstreit mit Syrien die Geduld aus. Die syrische Regierung habe genügend Zeit zur Kooperation mit den Atomwächtern gehabt und dies nicht getan, kritisierte IAEA-Chef Yukiya Amano am Montag zum Auftakt des IAEA-Gouverneursrates in Wien.
Westliche Länder wollen bei der mehrtägigen Sitzung des aus 35 Staaten bestehende Leitungsgremiums eine Resolution beschließen, die Damaskus wegen der Nichteinhaltung seiner Pflichten gegenüber der IAEA an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verweist. Dieser könnte dann Strafen beschließen. Ob dieser Vorstoß eine Mehrheit hat, ist noch unklar.
Hintergrund des Atomstreits sind Zweifel am wahren Zweck eines Gebäudekomplexes in Al Kibar (Dair Alzour), hinter dem viele Länder einen geheimen Atomreaktor im Bau vermuteten. Israel bombardierte die Analge 2007, bevor die von Syrien bestrittenen Vorwürfe aufgeklärt werden konnten. "Es ist zutiefst bedauerlich, dass die Anlage zerstört wurde", kritisierte Amano am Montag. Statt Gewalt anzuwenden, hätte der Fall der IAEA gemeldet werden sollen.
Die Atomwächter hatten aber über die Jahre trotz der Zerstörung genügend Beweise gesammelt, um in ihrem letzten Syrien-Bericht im vergangenen Monat erstmals festzustellen, dass Al Kibar "mit großer Wahrscheinlichkeit" ein geheimer Atomreaktor war. Seine Agentur habe genug Informationen gehabt, um nun einen Schluss zu ziehen, sagte Amano. "Ich hielt es für angemessen, nun die Mitgliedsstaaten zu informieren, da es im Interesse von niemandem ist, diese Situation ewig in die Länge zu ziehen", sagte Amano in Anspielung auf die fehlende Kooperation Syriens.
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