: Unruhe unter dem Publikum
Wir schreiben das Jahr 2002 n. Chr. Von der Steueroase Norderfriedrichskoog (Steuern zahlen? Wir sind doch nicht blöd!!) aus regieren die großen Energiekonzerne mit eiserner Hand das Land. Mit Unterstützung von Heerscharen rot-grüner Laienschauspieler und Statisten führen sie seit etwa 2 Jahren bundesweit das Stück „Atomausstieg“ mit G. Schröder und J. Trittin als Hauptdarstellern auf. Regie: E.ON und Konsort(i)en.
Da die Schauspieler ob der vielen Standorte ihrer Aufführung jedoch etwas müde wurden, beantragten sie, einige der „Bühnen“ aus der Tournee zu nehmen. Als Begründung gaben sie an, die Stätten seien veraltet und sogar eine Gefahr für die Zuschauer! Trotz der stillen Hoffnung, die quengelnde Belegschaft würde durch den schönen Brauch der alle vier Jahre stattfindenden Neubesetzung des Ensembles sowieso verschwinden, sagte die Regie Entsprechendes zu. Nur die Wichtigsten wurden darüber informiert, dass nicht die Sicherheit, sondern nur die Wirtschaftlichkeit das entscheidende Kriterium für die Aufgabe eines Standortes sein kann.
Da die Fans sich von den um ihre Sicherheit besorgten Darstellern gut vertreten fühlten, gaben sie rot-grünes Licht für weitere vier Jahre. Für diesen Fall hatten die Beschäftigten des „Volkstheaters Berlin“ mit der Regie vereinbart, Stade und Obrigheim zum Ende des Jahres aus dem Spielplan zu kicken, doch weit gefehlt, Obrigheim bekam eine Verlängerung zugesprochen und im Ensemble entstand etwas Unruhe, freilich nur unter den Statisten (also den weniger gut Bezahlten). Diese ließen sich mit einer besseren Rolle oder etwas mehr Gage schnell beruhigen, doch unter dem zahlenden Publikum herrscht anhaltende Unruhe. Viele machten ihrem Unmut Luft und wandten sich an die Schauspieler persönlich, doch erreicht haben sie damit nichts.
Nun, da aber wieder Teile des Bühnenbildes ausgetauscht werden müssen und in die Abstellkammer nach Gorleben gebracht werden soll, ergibt sich plötzlich die Gelegenheit, der Regie und den Akteuren auf der Bühne deutlich zu machen, dass Änderungen des gesetzlichen Spielplanes vorher bei den Zuschauern beantragt werden müssen. Da im Bereich der Abstellkammer kein Kartenverkauf stattfindet und somit auch kein Geld zu verdienen ist, versuchen die Veranstalter (in enger Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsbeauftragten H. Reime), durch Aufbietung von tausenden Polizisten (die gar nicht alle wollen) die Fans von solch ungehörigem Tun abzuschrecken. Zu diesem Zweck wurde extra auch das Stück „Demokratie und Grundrechte“ auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Unglücklicherweise wohnen rund um die Abstellkammer aber erstaunlich selbstbewusste und unerschrockene Menschen, die sich davon nicht beeindrucken lassen. Unterstützt werden diese Leute ärgerlicherweise immer noch von Querulanten aus dem ganzen Bundesgebiet, obwohl sich diese wohl mittlerweile alle in irgendeiner Datei des O. Schily wiederfinden, was zu Hausverbot in bestimmten Landesteilen führen kann …
Wie die Geschichte ausgegangen ist, erfahrt ihr im Wendland oder in den wenigen noch nicht von der Wirtschaft abhängigen Medien. ANDREAS STROHMEYER, Affinghausen
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