: Unruhe unter Chinas Uiguren
■ Widerstand der moslemischen Minderheit gegen die chinesische Herrschaft wächst/ Exilorganisationen im benachbarten Kasachstan gewinnen an Einfluß
Alma Ata (dpa) — Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben nicht nur die islamischen Turkvölker Mittelasiens durch den Zusammenbruch der Sowjetunion zu neuer politischer Selbständigkeit und neuem Selbstbewußtsein gefunden, die Bewegung hat längst auch auf chinesisches Territorium übergegriffen. Im abgelegenen Nordwesten Chinas, in der Autonomen Region Uigurien der Provinz Xinjiang wächst die Unzufriedenheit der „ostturkestanischen“ Minderheiten. Exiluiguren im benachbarten Kasachstan beginnen, den Widerstand gegen die Herrschaft Pekings in ihrer Heimat zu organisieren.
Rund 300 Vertreter der verstreut im früher sowjetischen Mittelasien lebenden Uiguren hatten Ende Januar gerade ihren ersten Kongreß in der kasachischen Hauptstadt Alma Ata beendet. Da explodierte am 5. Februar in der Hauptstadt der Provinz Xinjiang, Urumqi, eine Zeitzünderbombe in einem Bus. Sechs Menschen starben und 20 wurden verletzt. Zum ersten Mal beschuldigten chinesische Offizielle „moslemische Separatisten“ des Anschlages, der just am Tage des chinesischen Neujahrsfestes verübt wurde.
Nichts deutet bisher darauf hin, daß der Anschlag von Uiguren aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion inspiriert war. Ihre politischen Vertreter meinten in Alma Ata sogar, derartige Überlegungen seien eine „gezielte chinesische Provokation“. Doch unübersehbar bleibt, daß sich in Alma Ata und anderen Orten Kasachstans Gruppen gebildet haben, die den Kampf, auch den bewaffneten Kampf, gegen die chinesische Herrschaft über moslemische Uiguren in Xinjiang auf ihre Fahnen geschrieben haben. Es gibt ein „Internationales Komitee Ostturkestan“ sowie eine „Front für die Befreiung Uigurstans“ mit Sitz in Alma Ata. Noch sind diese Extremisten unter den etwa 260.000 Uiguren in der Ex-UdSSR isoliert, doch unter den sieben Millionen moslemischen Uiguren unter chinesischer Herrschaft gewinnen sie offenbar an Einfluß.
Dort nehmen die Spannungen mit den noch immer massiv einwandernden Han-Chinesen zu. Vor allem die verordnete Geburtenkontrolle werde von den Moslems immer weniger akzeptiert, heißt es. Zu den meistgehörten Sendern in der Region — die bis zu ihrer Annektion durch China 1949 als „Ostturkestan“ einen quasi selbständigen Status genoß — gehört Radio Iran.
Neben den Uiguren leben auch Kasachen, Kirgisen und Tadschiken in China. Die Tatsache, daß ihre Landsleute nun in den früheren mittelasiatischen Sowjetrepubliken selbständig geworden sind, hat die Unruhe in Uigurien noch verstärkt. Auf internationaler Ebene treffen sich, wie unlängst bei einer Konferenz in Italien, Exil-Tibeter mit Exil-Uiguren und besprechen Formen des Widerstandes.
Die Grenze zwischen Kasachstan und China ist nicht völlig geschlossen, und da angesichts geplanter gemeinsamer Wirtschaftsprojekte sogar noch mehr Durchlässigkeit zu erwarten ist, wird auch die grenzüberschreitende Kommunikation unter den Uiguren zunehmen. Chinesische Waren sind schon heute in Alma Ata zu finden.
Mit den Waren kommen auch die Informationen aus einem bisher verschlossenen Gebiet, etwa die über Atomtests im Gebiet Uigurien, gegen die sich ein zusätzlicher, den Chinesen sicherlich höchst unwillkommener internationaler Widerstand zu formieren beginnt. Heinz-Rudolf Othmerding
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