Unkoscheres Essen in Israel: Die heilige Wurst
Die beste Schweinswurst Israels gibt es in Jaffa. Dabei dürfen Schweine eigentlich nicht mal den Boden des Heiligen Landes betreten.
Manchmal möchte man gar nicht wissen, was genau in der Wurst steckt, die so lecker duftet. Dr. Eli Landau, pensionierter Kardiologe und Fernsehkoch, findet hingegen, dass man der Sache auf den Grund gehen sollte. Würstchen werden aus allen Teilen des Schweinekörpers gemacht, erklärt er, meistens "aus dem Gesicht". Nicht so, zum Glück, bei seinen Würstchen, für die er vorzugsweise den Schenkel oder die Schulter des unkoscheren Vierbeiners durch den Wolf jagt.
Der schnurrbärtige Mittsechziger hält sich in den frühen Nachmittagsstunden noch an Sodawasser und einen starken Espresso. In Saul Evrons Weinbar Yoezar, Downtown Jaffa, wird derweil die "Wurst Benedikt" nach "landauischem" Rezept mit Sauerkraut und knusprigen Brötchen serviert. "Zwei Drittel Fleisch, ein Drittel Fett", heißt es in Landaus Kochbuch speziell für das "weiße Fleisch", den in Israel üblichen Begriff für alles, was einst grunzend durch die Gegend lief.
"Das weiße Buch" nennt Landau das Buch, das er aus eigener Tasche verlegt hat, in Anspielung auf die britische Mandatszeit in Palästina. Vierundsiebzig bunt gemischte Rezepte, mal italienisch beeinflusst, mal osteuropäisch, aber fast immer mit viel Olivenöl und Wein. In Italien lernte Landau das medizinische Handwerk, das ihm bisweilen auch beim Kochen nützlich ist. Bei der Zubereitung seiner "Porketta" zum Beispiel, mit der er ins amerikanische Fernsehen kam. Landau will nicht provozieren und tut es doch. In einem Land, wo vorübergehend ernsthaft darüber diskutiert wurde, die Schweinegrippe als "Mexikanische Grippe" zu bezeichnen, um die Gefühle der Ultraorthodoxen zu schonen, sind die Verkaufschancen für seine Rezeptesammlung nicht sonderlich groß. Für Landau füllt es eine Lücke. "In den meisten Kochbüchern andernorts gehören Rezepte für Schweinefleisch automatisch dazu. In Israel nicht, obwohl hier im Monat rund 1.000 Schweine verzehrt werden."
Landau selbst haben frühe Kindheitserfahrungen zum Freund des weißen Fleisches gemacht, als ausgerechnet ein frommer Metzger Landaus Mutter regelmäßig Schinken und Würste zusteckte für ihren mageren Jungen. Damit bedankte er sich für ihre Hilfe, Jahre zuvor im Ghetto Lodz. Ihm selbst habe Schweinefleisch das Leben gerettet.
Nicht für fromme Juden, aber auch sicher nicht für die Muslime ist das edle Restaurant von Landaus Freund Saul Evron gedacht, einem für seine zahllosen Frauengeschichten bekannten schwer übergewichtigen und gleichzeitig haarlosen Lebemann aus der Tel Aviver Subkultur. Seine Szene ist es, aus der sich die Stammkundschaft zusammensetzt. Geld haben sie alle, denn bei Yoezar sind selbst die Würstchen eine teure Delikatesse. Überwiegend Aschkenasen, also aus West- und Osteuropa stammende Juden, und überwiegend Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller, Journalisten, allesamt strikt weltlich, zieht es in die unter osmanischer Herrschaft eigens für den türkischen Gouverneur errichteten dunklen Gemäuer der heutigen Weinbar.
Diesen Text und viele andere mehr lesen Sie in der vom 8./9. Mai 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Anders als in Jerusalem sind in Tel Aviv die meisten Restaurants schon längst nicht mehr koscher, ohne selbst "weißes Fleisch" zu servieren. Ein Milchkaffee im Anschluss an eine Fleischmahlzeit reicht aus, um die strengen Regeln der frommen jüdischen Küche zu sprengen. Das "weiße Fleisch" ist nochmal eine ganz andere Kategorie. Zwar trieb die Immigrantenwelle aus den früheren Sowjetstaaten Anfang der 90er-Jahre den Verbrauch in die Höhe. Die Neu-Israelis wollten sich ihre Schweinswurst nicht verbieten lassen. Trotzdem liegt Israel im internationalen Vergleich weit zurück. Selbst bei Tif Taam, der ersten Supermarktkette für den Verbraucher, der keinen Wert auf das Koscherheitszeugnis legt, machen die vom Schwein gewonnenen Produkte ganze fünf Prozent des Fleischhandels aus. Tif Taam ist auch eine der Adressen, die Landau für den Kauf der Zutaten empfiehlt. Denn was nützt das beste Würstchenrezept, wenn der passende Darm dazu fehlt. Liebhaber der Schweinswurst haben es nicht leicht im Heiligen Land.
Schwebende Schweine
Seit 1962 ist in jüdischen Ortschaften die Zucht für die Vermarktung von Schweinefleisch illegal. Das Gesetz betrifft allerdings weder die christlichen Araber noch die Forschung, eine Lücke, die die Tierzüchter im Kibbuz Lahav zu nutzen wussten. Der einzige Kibbuz, in dem Schweine gezüchtet werden, richtete infolge der damaligen Gesetzgebung ein Institut zur Tierforschung ein. Nur die Überschüsse, die allerdings gut zwei Drittel der Tierproduktion ausmachen, kommen offiziell auf den Verbrauchermarkt. Die Behörden lassen es durchgehen.
Sehr viel strikter halten es die Aufsichtsbeamten mit der Vorschrift, dass das Schwein keinesfalls den Boden des Heiligen Landes berührt. In Lahav wird das unkoschere Tier deshalb auf Beton- und Holzplatten, knapp einen Meter über der Erde, gehalten. Ab der Schlachtung dann übernimmt der Kibbuz Misra die weitere Verarbeitung zu tiefgefrorenen Koteletts und Kassler. Und natürlich zur Wurst. 6,5 Tonnen "weißes Fleisch" gehen jeden Monat an die 900 Verkaufsstellen landesweit. Dazu gehören Delikatessenläden, Restaurants und die 33 Filialen der Kette Tif Taam, die inzwischen an der Misra-Fleischverarbeitung die Mehrheit hält.
Susanne Knaul, 49, ist Israel-Korrespondentin der taz.
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