: Unionsvertrag als Bund souveräner Staaten
London (afp) — Der neue sowjetische Unionsvertrag gibt den Republiken nach Informationen der „Financial Times“ weitgehende Vollmachten und läßt der Zentralregierung nur noch begrenzte Macht. Der Zeitung liegt nach eigenen Angaben eine Kopie des Vertragsentwurfs vor, auf den sich Präsident Michail Gorbatschow und neun Republiken kürzlich geeinigt haben. Gestern veröffentlichte die „Financial Times“ Auszüge daraus. Danach bleibt die Verantwortung für die Bereiche Verteidigung, Außenpolitik, Haushalt und die Überwachung von Telekommunikation sowie Verkehr bei der Zentralmacht. Sie werde dabei jedoch von den Republiken gemeinsam kontrolliert. Als erstes Grundprinzip wird jede der unterzeichnenden Republiken als souveräner Staat anerkannt. Wörtlich heißt es laut „Financial Times“: „Die Union der Souveränen Sowjetrepubliken ist ein demokratisch-föderalistischer sowjetischer Staat, geschaffen als Bund gleichberechtigter Republiken.“
Die Sowjetrepubliken dürfen dem neuen Vertrag zufolge parallel diplomatische Beziehungen zu ausländischen Staaten unterhalten und internationale Abkommen unterzeichnen, wenn diese den Interessen der Union nicht widersprächen. Die Republiken erhalten ferner die Kontrolle über ihren Grund und Boden, die Bodenschätze außer Gold und Diamanten und über das Wasser. Die Zentrale behält die Kontrolle über Rüstungsfabriken, Atomkraftwerke, die Eisenbahn und bestimmte offizielle Bauten. Der Staatspräsident soll für höchstens zwei Amtsperioden zu jeweils fünf Jahren gewählt werden. Der Oberste Sowjet soll seine zwei Kammern behalten, die Nationalitätenkammer wird jedoch in eine Republikenkammer umgewandelt, die sich aus Abgeordneten der Republikparlamente zusammensetzt. Das Unionsparlament sei dieser Kammer untergeordnet, heißt es in dem Bericht. Ein drittes Prinzip des Vertrags räumt den Menschenrechten Vorrang ein, das vierte verpflichtet die Staaten, ihrer Bevölkerung die „freie Wahl der Eigentumsform und der Wirtschaftsmethode“ zu gewähren. Die Republiken sollen sich als Demokratien auf der Grundlage einer Volksvertretung verstehen, in denen das Volk seinem Willen direkt Ausdruck verleihen kann. Die Unterzeichner schaffen einen „Rechtsstaat als Garantie gegen Totalitarismus und Willkür“. Die „Financial Times“ berichtet weiter, daß Kasachstan den Vertrag bereits am Montag unterzeichnet habe. Das Abkommen wird gegenwärtig von den Parlamenten der Republiken geprüft. Die drei Baltenrepubliken, Armenien, Georgien und Moldawien, die alle nach Unabhängigkeit von Moskau streben, nahmen an den Verhandlungen nicht teil.
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