Union Berlin trennt sich von Urs Fischer: Eisern, aber normal
Trainer Urs Fischer und Union Berlin gehen getrennte Wege. Damit opfert der Tabellenletzte beim Kampf um den Klassenerhalt ein Stück Identität.
Es ist nichts Besonderes passiert drunten im Südosten Berlins, wo der 1. FC Union Berlin beheimatet ist. Der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga hat sich von seinem Trainer getrennt. Nach fünfeinhalb Jahren im Amt beenden der Klub und Cheftrainer Urs Fischer die Zusammenarbeit. Es sei eine „gemeinsame Entscheidung“ gewesen, die schon am Montag getroffen worden sei. Am Mittwochvormittag wurde dann die Öffentlichkeit darüber informiert, dass der Köpenicker Verein doch nichts anderes ist als ein stinknormaler Bundesligaklub, bei dem der Trainer ersetzt wird, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt.
Es ist noch keine zwei Wochen her, da hat Union-Präsident Dirk Zingler via Stadionmagazin hochoffiziell verkündet, dass man Urs Fischer für den Richtigen halte, wenn es darum geht, Union Berlin zum Klassenerhalt zu verhelfen. Auch das gehört zur Normalität im Bundesligabusiness: Auf ein Treuebekenntnis folgt beinahe unweigerlich die Trennung vom Trainer. Auch hier ist Union Berlin in der Normalität angekommen.
Und nicht einmal die Art der Trennung, die als einvernehmlich bezeichnet wird, ist etwas Besonderes. Als sich vor zwei Wochen der FSV Mainz 05 von Bo Svensson getrennt hat, da seien sich Klub und Trainer auch einig gewesen, dass es besser für die Zukunft des Klubs sei, getrennte Wege zu gehen. Svensson, der Mainz nach seinem Amtsantritt vom 17. Platz zum souveränen Klassenerhalt geführt hat, ist wie Fischer eine Identifikationsfigur bei den Fans gewesen. So einen schmeißt man nicht einfach raus, man einigt sich auf eine Trennung.
Seit dem 1. Juli 2018 war Fischer Trainer in Köpenick und hat die Mannschaft von einem Wunder zum nächsten geführt. Dem Aufstieg in die Erste Liga folgte der Klassenerhalt, die Qualifikation für die Uefa Conference League, die Teilnahme an der Europa League und schließlich in der Vorsaison die Qualifikation für die Champions League. Es wurde viel geweint im Stadion an der Alten Försterei und in ganz Köpenick.
Heimat der Fußballromantik
Und anderswo in der Republik kehrte der Glaube an das Gute im Fußball zurück, weil dieser Klub aus dem Osten Berlins den Beweis anzutreten schien, dass es eben doch möglich ist, mit ehrlicher Arbeit auch mal gegen Investoren- und Konzernklubs bestehen zu können. Dabei wurden Fans und Klub nicht müde zu betonen, dass der natürliche Platz des Klubs im deutschen Fußballgefüge nicht ganz oben ist, dass es auch mal wieder nach unten gehen kann. Die Fußballromantik hatte in Köpenick ihre Heimat gefunden.
Auch deshalb haben viele Fans das Treueversprechen von Präsident Zingler für Fischer nicht als leeres Gerede empfunden. Sie haben daran geglaubt, Teil eines besonderen Projekts zu sein. Nun mussten sie mitansehen, wie ihr Klub mit zunehmendem sportlichen Erfolg immer normaler geworden ist.
Nachdem die Qualifikation zur Champions League erreicht war, freute sich die eiserne Gemeinde noch über die Verpflichtung des Nationalspielers Robin Gosens und des italienischen Altinternationalen Leonardo Bonucci. Sie nahmen billigend in Kauf, dass der Klub damit sein bewährtes Transferschema aufgegeben hat, bei dem es in erster Linie darum gegangen war, günstig Spieler anzuwerben, die sich in Urs Fischers Defensiv- und Umschaltphiliosophie einfügen lassen.
Union, der klubgewordene Underdog, der nie zu denen da oben gehören wollte, legte mit einem Mal das handelsübliche Verhalten eines Klubs an den Tag, der alles darauf ausrichtet, wieder um die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb mitzuspielen.
Nach 14 sieglosen Spielen, von denen 13 verloren gegangen sind, wird daraus wohl nichts. Es geht ums Überleben in der Liga. Dem Ziel wird nun alles untergeordnet. Irgendein Trainer soll jetzt die Wende schaffen. Wer auch immer auf den interimsmäßig beförderten U19-Trainer Marco Grote und dessen Co-Trainerin Marie-Louise Eta folgen wird, er wird wissen, dass von ihm der Klassenerhalt erwartet wird. Und er wird sich nicht wundern, wenn man sich von ihm trennt, sollte dieses Ziel akut gefährdet sein. So ist das eben, in der Fußballnormalität, in der Union nun angekommen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren