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Uni-Präsidentin über mehr Studenten„Ich halte Akademisierung für gut“

Gibt es zu viele Studenten? Von wegen, meint Ada Pellert, Präsidentin der Deutschen Universität für Weiterbildung. Studieren stehe für Reflexion.

Volle Säle? Umso besser. Bild: dpa
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Frau Pellert, gibt es zu viele Akademiker in Deutschland?

Ada Pellert: Ich sehe das nicht so. Das ist ein Trend, den man in allen Gesellschaften beobachten kann: Immer mehr Berufe werden akademisiert. Ich halte das für gut.

Der Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin würde Ihnen widersprechen. Er kritisiert, dass die Akademisierung sowohl dem akademischen Niveau abträglich sei, als auch die duale Ausbildung gefährde.

Für mich steht Academia für Reflexion. Dafür haben wir Wissenschaft; wir glauben, gesellschaftlich ist es gut, wenn Menschen nachdenken. Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Art Arbeitsteilung: die einen forschen, und die anderen tun. Und sie kommen nicht zueinander. Das ist schlecht. Die, die tun, sollen immer wieder durch Reflexion in ihrem Tun irritiert werden. Dann wird das Tun besser.

Herr Nida-Rümelin meint aber, eine Kindergärtnerin wird keine bessere Erzieherin, wenn sie studiert hat – im Gegenteil.

Da schwingt immer die Angst mit, wenn alle an die Uni gehen, dann geht keiner mehr in die Praxis. Ich finde, das ist eine platte Vorstellung von beruflicher Praxis. Der Beruf der Erzieherin ist ein so anspruchsvoller, in einer so komplexen Umgebung, dass man sich mit anderen hinsetzen und überlegen muss, was sind die gesellschaftlichen Bedingungen des Berufs, was macht eine sich verändernde Gesellschaft mit Kindern, was heißt das für die eigene Rolle. Dadurch, dass die Gesellschaft so im Umbruch ist, brauchen wir mehr von solchen Leuten und nicht weniger.

Aber dann kommen ganz andere Menschen an die Hochschulen. Sind die Hochschulen darauf überhaupt vorbereitet?

Ich glaube nicht. Sie sind ja schon jetzt mit dem großen Andrang von Abiturienten überfordert. Ich glaube, mental hat man immer noch nicht verarbeitet, dass die Hochschulen Massenhochschulen sind. Ich finde das gut, das ist eine Errungenschaft. Aber in den Hochschule sagt man „Huch“. Die müssten ihr ganzes Bildungsmodell umstellen und sich viel stärker fragen, woher kommen unsere Studierenden, was bringen sie mit, was können wir voraussetzen, und wo müssen wir sie begleiten. Die Frage der Studierfähigkeit stellt sich heute anders.

Im Interview: Ada Pellert

Ada Pellert ist Professorin für Weiterbildungsforschung. Die gebürtige Österreicherin leitet seit 2009 die Deutsche Universität für Weiterbildung.

Wie meinen Sie das?

Wir neigen dazu. klassisches Schulbuchwissen abzufragen. Aber die Eignungsprüfung „Höhere Algebra“ ist sicher nicht die einzige Möglichkeit festzustellen, ob jemand für ein Hochschulstudium geeignet ist. Wenn man Meistern und beruflich Erfahrenen formal den Zugang zur Hochschule ermöglicht, wie es ja inzwischen alle Universitäten tun, dann muss man mit deren Berufserfahrung arbeiten. Das muss sich auch in den Curricula wiederfinden.

Oft heißt es, wenn die Zugangshürden sinken, sinkt das Niveau. Ist da was dran?

Da muss man fragen, was ist ein akademisches Niveau im 21. Jahrhundert. Methodisch genau vorgehen, mit Quellen arbeiten, zitieren, das muss man im Studium natürlich lernen. Aber das kann man auch bei Abiturienten nicht mehr voraussetzen. Bisweilen glaube ich, man hat so eine Situation von 1950 im Kopf, wo eine ganz kleine Elite gut gebildet und belesen an die Hochschulen geht. Und dann ist das Niveau automatisch gesichert. Das war schon 1980, als ich studierte, nicht mehr so. Die Hochschulen müssen aufmachen. Doch es fällt ihnen schwer, mit Berufserfahrenen zu arbeiten.

Warum?

Weil „Berufserfahrung“ keine akademische Kategorie ist. Ich habe es immer als Privileg empfunden, mit Menschen, die aus dem Beruf kamen, zu arbeiten.

Die DUW bietet fast ausschließlich berufsbegleitende Studiengänge an. Was ist dabei anders?

Man kann sagen: In diesen kann man besseres Lernen organisieren. Ich glaube, dass Menschen gut lernen, wenn theoretischer Stoff an praktische Erfahrungen anknüpft. Ich muss das, was ich höre, ankern. Dann ist der Lerneffekt ein anderer, als wenn ich nur in einem Lehrbuch nachlese.

Aber es gibt doch schon Hochschulen, die einzelne Veranstaltungen so konzipieren?

Ja. Es sind vor allem Hochschulen in Regionen, die schon den demografischen Wandel spüren, die merken: Wenn wir nicht etwas unternehmen, wird es uns bald nur noch in sehr verkleinerter Form geben. Dann setzt Nachdenken ein und ein Interesse für neue Zielgruppen. In Berlin, wo sie nicht wissen, wie sie sich des Andrangs erwehren, gibt es wenige Anreize, sich zu verändern.

Aber gerade in dünn besiedelten Regionen entsteht doch eine Konkurrenz zwischen Hochschule und Betrieben um Nachwuchs. Das geht doch vor allem zulasten der dualen Ausbildung?

Wenn das unverbunden nebeneinandersteht, dann ja. Ich glaube, in der Kombination liegt die Lösung des Problems. Wichtig ist Durchlässigkeit. Eine Ausbildung darf keine Sackgasse sein. Besser wäre es, wenn Menschen, die als Azubi anfangen, nach der Ausbildung alle Wege offen stehen. Und daher glaube ich zutiefst, wir müssen Hochschule und Ausbildung verknüpfen.

Wie denn?

Die Hochschule öffnet sich und schätzt das praktische Wissen. Und umgekehrt muss der Betrieb Menschen die Möglichkeit geben weiterzumachen. Hochschulen und Betriebe müssen zusammenarbeiten. Da schaut jetzt die ganze Welt auf Deutschland und auf die duale Ausbildung. Natürlich ist das ein Erfolgsmodell, aber wir müssen sie ins 21. Jahrhundert transportieren.

Ist das Modell der dualen Ausbildung veraltet?

Wenn man genau hinschaut, dann ist die Ausbildung manchmal noch so, dass sich viele lieber dagegen entscheiden.

Die dann im Studium scheitern. Bundesbildungsministerin Wanka möchte Studienabbrecher verstärkt für das Handwerk gewinnen. Ein vernünftiger Vorschlag?

Ja, denn man muss anerkennen: Berufliche Bildung ist anders, aber gleichwertig. Das Grundproblem in Deutschland ist doch, dass das theoretische Wissen immer so ein bisschen runterschaut auf das praktische. Wir müssen beide Arten von Wissen immer wieder miteinander konfrontieren. Ich habe nichts von denen, die nur nachdenken und sich nicht von praktischen Erwägungen irritieren lassen. Aber auch nichts von Praktikern, die sich nicht trauen, Fragen zu stellen. Der praktische und der theoretische Bereich grenzen sich noch munter voneinander ab.

Gibt es Länder, in denen es besser funktioniert?

Im deutschsprachigen Raum hängen wir in so einer Bildungstradition, die Allgemeinwissen möglichst hoch bewertet. Da erlebe ich Länder wie Kanada und Australien entspannter. Die haben nicht diese Tradition, dass man erst einmal Goethe zitieren muss und dann ist man ein vollkommen gebildeter Mensch.

Aber es heißt, in Kanada finde man keinen Fensterbauer, der von der Pieke auf gelernt hat, Fenster einzubauen.

Aber genau dafür steht ja die duale Bildung. Man geht in die Schule und in den Betrieb. Das müssen wir weiterentwickeln auf Hochschulniveau. In China, wo ich oft bin, gibt es erstmals Akademikerarbeitslosigkeit. Dort wollen auch alle an die Uni. Der berufliche Bereich hat kein Standing. Was passiert? Die Chinesen sagen: „Vielleicht ist unsere akademische Ausbildung zu abstrakt.“

Die Akademisierung an sich wird nicht infrage gestellt?

Nein. Nächste Woche kommen chinesische Bildungsforscher zu uns. Sie wollen wissen, wie man akademische Ausbildung praktischer machen kann. Deutschland könnte hier Vorreiter werden.

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3 Kommentare

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  • Seit Anbeginn aller Universität im 14. Jahrhundert war das Interesse der Herrschenden nur ein Einziges: Die Ausbeutung der geistigen Fähigkeiten der Einen zur besseren Ausbeutung der Anderen. Kein Gedanke, keine Erfindung war je frei von Klasseninteressen. Wenn wir in die Gegenwart springen, ist der reine Verwertungszusammenhang Ökonomie und Universität noch sehr viel ausgeprägter, geprägt wie bare Münze. Dem Student wird der Münzwert gleichsam aufgeprägt, wenngleich Verbesserungen in der Prägetechnik hier und da in dem Artikel angemahnt werden.

    Die in der Bildungsfabrik Universität hergestellten Werkstücke sind aber nicht per se funktionsfähig, sondern werden sortiert und aussortiert, viele scheitern an den hohen Anforderungen, sind, allgemein gesprochen: krank. Spätestens seit Spinoza und dem SPK/Patientenfront ist klar: aus dem Leiden kann man Handeln entwickeln, das von den Prägeanstalten befreit. Wirkwissen für eine utopathische Umwälzung, eine gesellschaftliche Veränderung also, Wirkwissen für die eigene Krankheit und die der anderen.

     

    Wer mehr wissen will: „Zahlen und Überzählige“ googeln.

  • Na Halleluja -

     

    Endlich - ward ja ook bi lütten tid -

    daß mal hier inne taz - jemand

    diesen zweifachen Mistkübel des

    Nida-Rümelins Julian -

    in die Tonne tritt -

     

    @Georg Schmidt

    Ja - den Spott des

    "akademisch gebildeten Kontenführers"

    kenn ich schon aus den 50/60ern -

     

    &es war einer meiner Mathe-Lehrer, der damals zu 2.Bildungsweg

    (mit externem Abi - aber Hallo) -

    tönte - Diese Herrschaften denken, sie könnten hier in drei Jahren . . .usw usf

     

    Der sich aber wie viele andere Pauker auch via VHS abends -

    locker das Zubrot reinpfiff -

    Meinem Bruder -

    der deutlich was besser als ich -

    seine Mathearbeit - bei zweivondrei richtig - mit sechs bewertete - wg

    Schlechter Schrift!

     

    kurz - Ihrs alles auch richtig -

    Aber kippen Sie das Kind nicht mit dem Bade aus bzw

    Spielen Sie nicht das durchsichtige Spiel der Bildungskapitalisten

    (iSv Bourdieu)

    ala Nida-Rümelin mit.

     

    In meiner Familie finden Sie alles quer durch den Garten -

    bei Bauerns - wurde der Jüngste - weil ohne Hof - bis ins hohe Alter mit seiner Arztpraxis geökelt

    (nee nee - ik lech fiv Mark oppen Disch un hei mit mi inn Mors kieken - nene;)

     

    Mein Bruder - zwei Lehrberufe,

    begnadeter Autodidakt, Trainer

    plus Bootswerft -

    Ja wennste zu doof bist mathematisch zu denken - mußte halt lernen juristisch zu denken.

    &Kaufleute, Fürsorgerin,

    Dr. rer.oek. & rechte Hand von Lemmer etc. Mathe-Prof. Berkeley . . .

     

    Fazit - die erneute

    (post WK I&II) Chance,

    festgefügte Schichtenstrukturen aufzulösen -

    sollte nicht liegengelassen -

    die darin zu erwartenden Verwerfungen nicht bagatellisiert werden - NEIN.

    Bleiben aber wird:

    Du kannst dem Menschen jeweils nur vor den Kopp gucken.

  • es ist einfach so, Berufe im Blaumann sind nix wert, hat man ein Studium will man auch eine entsprechende Stellung, da sagte ein Betriebsleiter: die Stelle im Büro könnten wir 5x besetzen, die Stelle in der Werkstatt nur 1x, wie gehts weiter? KFZ Mechaniker mit Hochschulabschluss??