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Gaza-Kundgebungen in HamburgUngewöhnliche Allianzen

Der muslimische Verband Schura ruft zu einer Gaza-Kundgebung am Hamburger Rathaus auf. Pro-Hamas-Gruppen wollen lieber die Rote Flora provozieren.

Free Gaza – aber von wem? Demonstration in Hamburg im Oktober 2024 Foto: Georg Wendt/dpa

Hamburg taz | Es ist eine ungewöhnliche Allianz, die für Donnerstag aufruft zu einer Kundgebung angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen: Dem Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura) schließen sich die Linkspartei, die Grüne Jugend und die Jusos an. Mit Ilse Neurath hat zudem eine Nachfahrin jüdischer NS-Verfolgte ihre Teilnahme angekündigt. Sie will bei der Kundgebung auf dem Hamburger Rathausmarkt auch sprechen.

„Die anhaltenden Angriffe auf Zivilisten in Gaza, ihre Vertreibung und die Blockade humanitärer Hilfe stehen im direkten Widerspruch zu weltweit geltenden ethischen Grundsätzen und internationalen Vereinbarungen“, erklärt Fatih Yildiz, der Vorsitzende der Schura Hamburg. Die Lage in Gaza spitze sich immer weiter zu, weshalb es nun gelte, „auch bis in die Mitte der Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen“, so Yildiz. Nur so könne es gelingen, dass auch die Bundesregierung aktive Handlungsschritte gegen die Menschenrechtsverletzungen einleitet.

Zugleich werde eben dieser Diskurs aber immer schwieriger: Mit großer Sorge beobachte die Schura, wie der Meinungskorridor immer enger werde und die Polarisierung zunehme: „Kritisiert man das Vorgehen des israelischen Militärs zu stark, kommt der Vorwurf, antisemitisch zu sein – und andersherum kommen Beschuldigungen, wenn die Kritik zu differenziert ist“, sagt Yildiz.

Die Reaktionen auf die Ankündigung zu der Kundgebung bestätigen Yildiz’ Diagnose: Pro-Hamas-Gruppen empören sich darüber, dass das Wort „Genozid“ im Aufruf fehlt – und planen für Samstag eine eigene Demonstration. Diese fordert ein Ende der Besetzung des Gazastreifens und das Ende des „Genozids“ durch Israel. Dass diese Kundgebung ausgerechnet vor der Roten Flora stattfinden soll, die immer wieder auf linken Antisemitismus hinweist, deutet auf einen weiteren Konflikt hin, den die Gruppen führen.

Vor allem die Gruppe Thawra, die 2024 ein Palästina-Solidaritäts-Camp an der Uni Hamburg veranstaltete, und „Flora für alle“, die für eine Übernahme des autonomen Zentrums mobilisiert, haben sich zuletzt immer mehr auf die Rote Flora eingeschossen. Auslöser war ein Schriftzug, mit dem Flora-Aktivist:innen darauf hinwiesen, dass das Massaker der Hamas im Oktober vor zwei Jahren nichts mit einem Freiheitskampf zu tun haben könne. Beide Gruppen rufen gemeinsam mit der Gruppe „Demokratie für die Straße“ (DfdS) zu der Demo vor der Flora auf.

Auch das ist auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Allianz: Laut dem Hamburger Bündnis gegen Rechts handelt es sich bei DfdS praktisch um den Verein Umehr („United Movement for Equal Human Rights“) aus der rechtsextremen Querdenken-Szene. Dieser Verein hatte anfangs vor allem bei den Coronaprotesten mobilisiert, anschließend mit Beginn des Kriegs in der Ukraine pro-russische Positionen vertreten und widmet sich seit dem vergangenen Jahr auch dem Nahostkonflikt – teils unter Verwendung antisemitischer Verschwörungsnarrative.

Die Schura rechnet für Donnerstag mit einer vierstelligen Zahl von Teilnehmenden – und hofft, dass sich noch weitere Organisationen dem Aufruf anschließen. „Als demokratische Gesellschaft brauchen wir ein Klima, in dem ein offener und kritischer Dialog ohne vorschnelle Stigmatisierung möglich ist“, sagt Yildiz.

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

Dass sich die Hamburger Jusos dahinterstellen, der Hamburger SPD-Landesverband aber bislang keine öffentliche Unterstützung zugesagt hat, kann durchaus auch als Kritik am Genossen und Bürgermeister Peter Tschentscher gelesen werden. Dieser hatte jüngst in einem längeren Video-Interview die Lage in Gaza als „brutal“ bezeichnet, jegliche Kritik am militärischen Vorgehen Israels jedoch zurückgewiesen.

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7 Kommentare

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  • Nun ja, die Maßnahmen Israels im Gaza-Streifen wären sehr schnell beendet, würden die Geiseln des terroristischen Überfalls durch Palästinenser in Israel am 7. Oktober 2023 freigelassen und würde die Hamas ein Waffenruhe akzeptieren. Dies ist in interessierten Kreisen aber unerwünscht. Lieber heizt man auch im Ausland den ohnehin vorhandenen Judenhass weiter an, egal, welche Folgen dies für die Bevölkerung im Gaza-Streifen hat.

    • @Rene Meinhardt:

      Die Hamas kann derlei niemals tun. Die Hamas ist eine äußerst reaktionäre und extrem korrupte Organisation, die mit dem Widerstand Geld verdient. Das bedeutet, sie kann den Widerstand nicht beenden – weder durch einen Frieden mit noch durch einen Sieg über Israel. Was würde in beiden Fällen passieren? Sie müsste sich mit profaner Regierungsarbeit befassen, und vor allem kämen keine Gelder mehr aus Teheran, Doha, Riad oder von sonst woher. Deshalb braucht die Hamas den permanenten Krieg und am "besten" sogar das permanente Leid. (Und nein, ich bin keineswegs bedingungslos proisraelisch.)

    • @Rene Meinhardt:

      Aushungern und Vertreiben sind also "Maßnahmen".



      In Russland nennt man das wahrscheinlich Spezialoperation.



      Und darüber hinaus ist Ihre Behauptung nur ein persönlicher Wunschtraum. Israelische Politiker jedenfalls sehen es anders.

  • ... wo bleibt die Solidarität und Anteilnahmen mit der jemenitische , der sudanischen Bevölkerung und mit dem Flüchtlingselend der Rohingya von den Aufrufenden. (Schura usw.)

  • Ich bin gespannt ob irgendeine Seite auch den Namen Odai Nasser Saadi Al-Rubai nennt. Er war ein 22-jähriger Palästinenser aus Gaza, der Ende März 2025 von der Hamas entführt, gefoltert und getötet wurde. Sein Tod ereignete sich im Zusammenhang mit einer Welle von Protesten gegen die Hamas-Herrschaft im Gazastreifen.

    youtu.be/yE0g-2U0t...i=5uPmIc_c1HSGqm2d

    Zu diesem Mann gibt es keine Artikel. Keine Demos oder Unibesetzungen. Es ist eine Schande, und es zeigt, dass es nicht um die Menschen in Gaza geht sondern gegen Israel.

    • @Pawelko:

      Ich konnte bei Google 7 Artikel zu dem jungen Mann finden. Ich würde aber weniger Antisemitismus bei der deutschen Presse als Grund verorten, sondern vielmehr Desinteresse gegenüber den Palästinensern, weil der Fall ja zeigt, dass es sich nicht um eine homogene Masse handelt, sondern um Individuen. Ich finde es auch schade, dass für manche Palästinenser nur zu existieren scheinen, wenn sie der eigenen Meinung dienlich sind. Menschen denen es nicht um die Palästinenser geht, sondern nur gegen die Hamas.

      • @Moritz Pierwoss:

        "Menschen denen es nicht um die Palästinenser geht, sondern nur gegen die Hamas."

        Wer gegen die Hamas ist, ist automatisch für die Palästinenser. Gibt es auch nur eine gute Sache an islamistischen Terroristen die Oppositionelle foltern, Frauen vergewaltigen und verstümmelt und die eigene Bevölkerung als Schutzschild nehmen während sie selbst sich in Tunneln verstecken?