Gaza-Kundgebungen in Hamburg: Ungewöhnliche Allianzen
Der muslimische Verband Schura ruft zu einer Gaza-Kundgebung am Hamburger Rathaus auf. Pro-Hamas-Gruppen wollen lieber die Rote Flora provozieren.
„Die anhaltenden Angriffe auf Zivilisten in Gaza, ihre Vertreibung und die Blockade humanitärer Hilfe stehen im direkten Widerspruch zu weltweit geltenden ethischen Grundsätzen und internationalen Vereinbarungen“, erklärt Fatih Yildiz, der Vorsitzende der Schura Hamburg. Die Lage in Gaza spitze sich immer weiter zu, weshalb es nun gelte, „auch bis in die Mitte der Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen“, so Yildiz. Nur so könne es gelingen, dass auch die Bundesregierung aktive Handlungsschritte gegen die Menschenrechtsverletzungen einleitet.
Zugleich werde eben dieser Diskurs aber immer schwieriger: Mit großer Sorge beobachte die Schura, wie der Meinungskorridor immer enger werde und die Polarisierung zunehme: „Kritisiert man das Vorgehen des israelischen Militärs zu stark, kommt der Vorwurf, antisemitisch zu sein – und andersherum kommen Beschuldigungen, wenn die Kritik zu differenziert ist“, sagt Yildiz.
Die Reaktionen auf die Ankündigung zu der Kundgebung bestätigen Yildiz’ Diagnose: Pro-Hamas-Gruppen empören sich darüber, dass das Wort „Genozid“ im Aufruf fehlt – und planen für Samstag eine eigene Demonstration. Diese fordert ein Ende der Besetzung des Gazastreifens und das Ende des „Genozids“ durch Israel. Dass diese Kundgebung ausgerechnet vor der Roten Flora stattfinden soll, die immer wieder auf linken Antisemitismus hinweist, deutet auf einen weiteren Konflikt hin, den die Gruppen führen.
Vor allem die Gruppe Thawra, die 2024 ein Palästina-Solidaritäts-Camp an der Uni Hamburg veranstaltete, und „Flora für alle“, die für eine Übernahme des autonomen Zentrums mobilisiert, haben sich zuletzt immer mehr auf die Rote Flora eingeschossen. Auslöser war ein Schriftzug, mit dem Flora-Aktivist:innen darauf hinwiesen, dass das Massaker der Hamas im Oktober vor zwei Jahren nichts mit einem Freiheitskampf zu tun haben könne. Beide Gruppen rufen gemeinsam mit der Gruppe „Demokratie für die Straße“ (DfdS) zu der Demo vor der Flora auf.
Auch das ist auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Allianz: Laut dem Hamburger Bündnis gegen Rechts handelt es sich bei DfdS praktisch um den Verein Umehr („United Movement for Equal Human Rights“) aus der rechtsextremen Querdenken-Szene. Dieser Verein hatte anfangs vor allem bei den Coronaprotesten mobilisiert, anschließend mit Beginn des Kriegs in der Ukraine pro-russische Positionen vertreten und widmet sich seit dem vergangenen Jahr auch dem Nahostkonflikt – teils unter Verwendung antisemitischer Verschwörungsnarrative.
Die Schura rechnet für Donnerstag mit einer vierstelligen Zahl von Teilnehmenden – und hofft, dass sich noch weitere Organisationen dem Aufruf anschließen. „Als demokratische Gesellschaft brauchen wir ein Klima, in dem ein offener und kritischer Dialog ohne vorschnelle Stigmatisierung möglich ist“, sagt Yildiz.
Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.
Dass sich die Hamburger Jusos dahinterstellen, der Hamburger SPD-Landesverband aber bislang keine öffentliche Unterstützung zugesagt hat, kann durchaus auch als Kritik am Genossen und Bürgermeister Peter Tschentscher gelesen werden. Dieser hatte jüngst in einem längeren Video-Interview die Lage in Gaza als „brutal“ bezeichnet, jegliche Kritik am militärischen Vorgehen Israels jedoch zurückgewiesen.
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