Die globaleImpflücke

Der Zugang zu Corona-Impfungen ist extrem ungleich. Ob sich das ändert, könnte die Pandemie entscheiden

Von Felix Lee
, Manuela Heim
, Frederik Eikmanns
, Luise Strothmann
(Recherche) und Aletta Lübbers,
Nadine Fischer(Grafiken)

Es hätte eine Erfolgsgeschichte werden können: Mehr als 7 Milliarden Impfdosen sind weltweit verabreicht. Seit Beginn der Impfkampagne vor knapp einem Jahr sind etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung vollständig gegen Covid-19 geimpft. Ein Rekord. Noch nie wurden in kurzer Zeit so viele Menschen gegen ein gefährliches Virus geschützt.

Und auch das hätte ein Meilenstein in der Geschichte werden können: Die Pharmaunternehmen weltweit sind imstande, so viel Vakzine herzustellen, dass bis Jahresende in jedem Land eine Impfquote von mindestens 40 Prozent erreicht werden könnte. Das entspricht ziemlich genau dem Ziel, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) formuliert hatte.

Könnte, hätte, würde – die Wirklichkeit ist eine andere: Die Impfstoffvergabe ist extrem ungleich verteilt. Oder wie WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus es bezeichnet: Diese Zahlen verdeckten eine „erschreckende Ungerechtigkeit“. Während die Impfquote in Ländern mit hohem Einkommen bei rund 73 Prozent liegt, liegt sie in Ländern mit niedrigem Einkommen bei nur knapp 5.

Als zu Beginn der Pandemie Dutzende Phar­ma­unternehmen ankündigten, Impfstoffe gegen das so gefährliche Coronavirus entwickeln zu wollen, sicherten sich allen voran die USA, Israel, Großbritannien, etwas verzögert auch die EU-Länder, Japan und die anderen wohlhabenden Staaten so ziemlich sämtliche Dosen der Pharmaunternehmen Biontech/Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Johnson & Johnson, deren Vakzine am vielversprechendsten waren. Andere Länder hatten kaum eine Chance. Sie sollten stattdessen über die Impfstoffinitiative Covax Zugang erhalten, einer Allianz, an der die meisten reichen Staaten versprachen, sich finanziell und auch mit Impfdosenspenden zu beteiligen.

Doch nicht einmal diese Zusagen haben die Länder eingehalten. Von den 1,3 Milliarden vereinbarten Dosen sind nach Angaben von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, bisher nur 476 Millionen Dosen durch Covax an ärmere Länder weitergegeben worden. Insbesondere afrikanische Länder hätten kaum etwas erhalten. Andere Länder sahen keine andere Möglichkeit, als die Vakzine aus China oder Russland anzunehmen, die allerdings eine sehr viel geringere Wirksamkeit aufweisen.

Armen Ländern Corona-Impfstoffe vorzuenthalten und damit eine gerechte Verteilung zu verhindern, sei „nicht nur eine Frage der Unmoral, es ist auch eine Frage der Dummheit“, kritisiert UN-Generalsekretär António Guterres. Er warnte: Bei der Ausbreitung des Virus in Gebieten mit geringer Impfquote sei die Gefahr größer, dass sich Varianten entwickelten, gegen die die Impfstoffe dann nicht mehr helfen. „Alle Impfbemühungen in den entwickelten Ländern werden in die Binsen gehen.“ Nicht zuletzt auch um das zu verhindern, fordert WHO-Chef Tedros all jene Länder auf, die mehr als 40 Prozent ihrer Bevölkerung gegen Corona geimpft haben, die benachteiligten Länder stärker zu unterstützen.

Doch diese Hilfe dürfte noch länger ausbleiben. Denn inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Wirksamkeit auch der guten Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna etwa ein halbes Jahr nach der zweiten Impfung deutlich zurückgeht, vor allem bei alten Menschen. Israel hat dem Großteil seiner Bevölkerung den Booster bereits ermöglicht. Seitdem geht das Infektionsgeschehen deutlich zurück. Die WHO hatte die Booster-Impfung der reichen Länder zunächst kritisiert und gebeten, darauf zu verzichten, bevor die Impfrate im Rest der Welt nicht höher liegt. Inzwischen hat ein unabhängiger Beirat der Organisation die Auffrischungsimpfung empfohlen, explizit aber nicht für die allgemeine Bevölkerung. Felix Lee