Ungedeckte Leerverkäufe: "Die Spekulation zerstört das System"
Ungedeckte Leerverkäufe müssen generell verboten werden, sagte der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Sie schädigten die gesamte Wirtschaft.
taz: Herr Hickel, einige Länder haben ungedeckte Leerverkäufe verboten. Ist das ein richtiger Schritt?
Rudolf Hickel: Natürlich. Diese vier Staaten sind unmittelbar betroffen von Attacken gegen ihre Banken und ihre Staatsanleihen. Die Maßnahme setzt ein Zeichen gegen die Spekulanten, die aus der Not Profit schlagen wollen.
Sind Leerverkäufe nicht auch sinnvoll, um Marktverzerrungen nach oben auszugleichen?
Der Leerverkauf, der durch einen Geldvermögenswert gedeckt ist - das ist entscheidend - dient den Unternehmen dazu, sich gegen Risiken abzusichern. Dagegen ist nichts zu sagen. Bei einem ungedeckten Leerverkauf geht es nur darum, Gewinne mit Spekulation auf sinkende Kurse zu machen. Das beschädigt das Marktsystem.
Wer sind die Spekulanten?
Hedgefonds oder andere Investmentfonds. Die normalen Banken betreiben das gar nicht mehr. Einige Bankenregulierungen der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass Investmentbanker ihr Büro leergeräumt und ihre Kisten ein paar Straßen weiter in Investmentfonds wieder ausgepackt haben. Die Fonds sind quasi Schattenbanken.
69, Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft an der Uni Bremen, Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.
Reicht ein Verbot für 15 Tage?
Nein. Natürlich wird an Börsen immer spekuliert, schließlich wird dort mit Erwartungen an die Zukunft gehandelt. Aber mit Leerverkäufen schaffen die Investmentfonds sich ihre eigene Geschäftsbasis: Sie verbreiten Gerüchte, etwa, dass die Ratingagenturen Frankreich herabstufen wollen - was gar nicht der Fall ist. Das ist ein Test auf Krise, auf die Insolvenz von Frankreich und der Bank Société Générale.
Wie gesund sind die beiden?
Die Société Générale hat zwar französische und spanische Staatsanleihen, und natürlich hat Frankreich ein Schuldenproblem. Das rechtfertigt aber in keiner Weise eine Spekulation auf die Insolvenz Frankreichs. Den Spekulanten ist das egal: Sie programmieren auf Absturz und schaffen damit den Tatbestand, auf den sie wetten. Damit verdienen sie ihr Geld.
Ist das Auf und Ab der Börsen letzte Woche nur irrational?
Die Börse hat rationale Gründe, die sie aber irrational übertreibt. Klar: Die Wachstumserwartungen sind gedämpft, wir sorgen uns, ob die Regierungen die Schuldenkrise lösen können. Aber das erklärt nicht diesen massiven Absturz. Zum Beispiel den der Autokonzerne: Die werden in nächster Zeit weniger Autos verkaufen, ja. Aber das ist kein Anlass, jetzt so stark den Kurs der VW-Aktie abzuwerten. Ich kann es nicht mehr hören, dass die Börsen hysterisch, sensibel oder gar bescheuert seien. Blödsinn: Die Anleger nutzen fallende Kurse systematisch aus.
Das Verbot soll erst mal für Ruhe sorgen - was wäre die langfristige Lösung?
Der Spekulation muss ein Ende gesetzt werden. Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe war ein erster Schritt. Jetzt müssen die Investmentfonds und ihr Geschäftsmodell streng kontrolliert werden. Drittens muss die Politik entschieden auftreten. Das hat sie schon wieder verpatzt: Das Verbot hätte in allen Euroländern durchgesetzt werden müssen.
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