USA und Europa: Angst vor der Krise des anderen
In den USA wächst die Sorge um die Stabilität der europäischen Banken. Europa sorgt sich um die US-Konjunktur. Dabei sehen die Daten auf beiden Seiten mies aus.
BERLIN taz | Die Krisenländer dies- und jenseits des Atlantiks ängstigen sich zunehmend vor der Krise des jeweils anderen. In Europa machten Börsianer vor allem die schlechten Konjunkturdaten aus den USA für den Kursrutsch der vergangenen Woche verantwortlich. In den USA wiederum fürchtet man das Überschwappen der Eurokrise auf das amerikanische Bankensystem.
Das Wall Street Journal hatte zuvor unter Verweis auf anonyme Quellen berichtet, die US-Notenbank Fed nehme die US-Töchter europäischer Banken unter die Lupe. Die Frage sei, ob diese überhaupt noch ausreichend liquide Mittel hätten, um ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Die Fed befürchtet offenbar, dass Banken aus den europäischen Krisenländern, inklusive Italien und Spanien, womöglich Geld von ihren US-Ablegern zurückholen. Der New Yorker Fed-Präsident William Dudley wies allerdings die Darstellung zurück, die Fed habe allein Banken aus Europa auf dem Kieker: "Es muss betont werden, dass wir uns auf ausländische Banken nicht stärker konzentrieren als auf US-Banken."
Die Europäische Zentralbank (EZB) scheint das Problem ebenfalls ernst zu nehmen. Sie hat daher kürzlich den Banken zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt. 114 Finanzinstitute nahmen zusammen 50 Milliarden Euro dankend an. Vergangene Woche wurde dann bekannt, dass eine nicht namentlich genannte europäische Bank tatsächlich auch US-Dollar brauchte, konkret 500 Millionen Euro - und von der EZB prompt erhielt.
Der Fed und der EZB geht es dabei vor allem um das reibungslose Funktionieren des sogenannten Interbankenmarkts, auf dem sich die Geldinstitute untereinander Geld leihen. Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers 2008 hatte auch deswegen so dramatische Auswirkungen auf die Finanzmärkte in aller Welt, weil dieser Interbankmarkt damals praktisch austrocknete. Die Banken trauten sich einfach gegenseitig nicht mehr über den Weg.
Dann sorgte am Freitag auch noch das Gerücht für zusätzliche Nervosität, die Fed wolle eine Notsitzung einberufen, um über Maßnahmen zur Konjunkturstützung zu beraten. Zu den durchaus mauen Konjunkturdaten aus Europa - kaum noch Wachstum in Deutschland und Frankreich - kommen Hiobsbotschaften aus den USA hinzu: immer mehr Arbeitslose, Inflation und dazu noch ein unerwartet brutaler Einbruch des viel beachteten Konjunkturindex der Fed von Philadelphia von plus 3 auf minus 30 Punkte. Die ersten Konzerne wie etwa der Computerhersteller Dell senken bereits ihre Prognosen mit Verweis auf die Konjunkturflaute.
Die Gefahr eines Rückfalls in die Rezession sei dennoch recht gering, erklärte der New Yorker Notenbanker Dudley: "Die Risiken sind ein wenig gewachsen, aber wir erwarten immer noch, dass sich die Wirtschaft erholen wird." Die Fed hatte zuvor die Märkte mit der ungewöhnlich konkreten Aussage zu beruhigen versucht, dass sie ihren Leitzins noch mindestens zwei Jahre lang nahe 0 Prozent halten wird und weitere Maßnahmen erwägt. Die US-Notenbank pumpt schon seit Langem immer wieder Geld in die Wirtschaft, indem sie Anleihen gegen Cash aufkauft.
Es gehe jedoch nicht nur darum, "eine zweite Rezession zu verhindern, sondern auch darum, die Weltwirtschaft wieder auf den Pfad eines ausgeglichenen und nachhaltigen Wachstums zu bringen", schrieb die neue IWF-Chefin Christine Lagarde in der Financial Times. Wie man ohne Wachstum aus der Krise herausfinden könnte, dazu fehlt es den Politikern und Notenbankern an Ideen.
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