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Unerträgliche GeisterspieleReclaim the Game!

Martin Krauss
Kommentar von Martin Krauss

Frankfurts 0:3 gegen Basel hat gezeigt: Spiele ohne Fans gefährden den Sport. Ohne Zuschauer sind sie verzichtbar.

Galgenhumor der Eintracht-Fans: das Spiel der Frankfurter gegen Basel fand ohne Fans statt Foto: ap

E s wird ja doch Fußball gespielt. 0:3 hat etwa Frankfurt am Donnerstagabend in der Europa League gegen den FC Basel verloren, doch die übliche sportjournalistische Floskel, dies sei „vor heimischer Kulisse“ geschehen, ist in diesen Coronazeiten unangebracht. Es fehlt in diesen Monaten etwas, das doch wie selbstverständlich zum Fußball gehört: das Publikum. Kölns Manager Horst Heldt sprach nach dem Geisterspiel seines 1. FC in Mönchengladbach von einem „Testspielcharakter“.

Fußball ist ein soziales Phänomen. Wenn jetzt die Menschen, die diesem Spektakel erst die große gesellschaftliche Dimension verleihen, draußen bleiben müssen, verändert das dieses Phänomen. Wenn wir nicht aufpassen, geschieht das über die aktuelle Krise hinaus. Heldts Überlegung vom „Testspielcharakter“ ruft Assoziationen von Laborbedingungen hervor, bei denen jeder äußere, störende Einfluss ausgeschlossen ist, hervor.

Das Bild ist aber falsch, Heldt weiß es selbst. Denn letztlich wissen alle, dass zum Fußball die Fans gehören. Sie bilden eine Kulisse, die man nicht wie in schlechten Comedyserien, durch ein Geräusch das vom Band kommt, ersetzen kann. Was sich hier wie eine Banalität anhört, ist jedoch ein gewichtiges Argument in der gerade vernünftig entschiedenen Debatte, dass die Bundesligasaison unterbrochen wird: Wenn Fußball ohne Fans kein Fußball ist, dann wäre das, was in Geisterspielen ausgetragen wird, gerade keine Fußballmeisterschaft aus, sondern irgendwas anderes.

Mit dieser Entscheidung ist auch die dauernde Rede, der Fußball habe mit Politik und Gesellschaft nichts zu tun, so deutlich widerlegt, dass man nie wieder etwas in diese Richtung hören und lesen möchte. Ein völlig unrealistischer Wunsch ist das, ich weiß. Aber illusionär ist er nicht deswegen, weil die Kräfte, die die ja nicht erst in diesen Monaten widerlegte Lüge vom unpolitischen Sport verbreiten, dumm wären, sondern weil das Zurückdrängen großer gesellschaftlicher Teilhabe am Sport etlichen Leuten zupass kommt.

UEFA und DFL reagieren auf Coronakrise

Die Europäische Fußball-Union hat den Spielbetrieb in der Champions League und in der Europa League wegen der Coronavirus-Krise vorerst ausgesetzt. Das teilte die UEFA am Freitag mit. „Angesichts der Entwicklungen aufgrund der Verbreitung von Covid-19 in Europa und der damit verbundenen Entscheidungen der verschiedenen Regierungen“ habe der europäische Dachverband entschieden, alle Partien der UEFA-Clubwettbewerbe in der kommenden Woche zu verschieben, hieß es in einer Mitteilung.

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) gab zudem bekannt, den Spielbetrieb in der Bundesliga und der 2. Liga vom kommenden Dienstag an bis zum 2. April komplett unterbrechen zu wollen. Damit würde auch das eigentlich für den 21. März angesetzte Niedersachsen-Duell zwischen dem VfL Osnabrück und den 96ern an der Bremer Brücke ausfallen. (dpa, rtr)

Das hat sich schon in den Debatten um Fanproteste angedeutet. Aus je sehr unterschiedlichen Gründen gilt doch: Die Teilhabe am gesellschaftlichen Ereignis Fußball ist bedroht. Stattdessen könnte sich ein medial glatteres, besser vermarktbareres und vor allem von allen Unberechenbarkeiten – seien es Fans, die kreativ und deutlich protestieren, seien es Fans, die als gefährliche Überträger von Krankheiten gelten – befreites Ereignis entwickeln. Das hieße dann immer noch „Fußball“, wäre aber nicht mehr der Fußball, den wir kennen. Denn der ist ja ein soziales Phänomen.

„Fußball ohne Fans ist scheiße“, hat Rudi Völler nach dem Europa-League-Spiel seiner Leverkusener bei Glasgow (vor Fans!) gesagt. Völler ist eine Stimme der Vernunft, die sich nun durchgesetzt hat. Die Lüge vom Nur-Fußball tut ja so, als gäbe es keine Probleme, wenn die Fußballer nur Fußball spielten. Aber nicht nur Fans können vom Coronavirus infiziert werden – all das kann Profis und Trainern auch passieren, und passiert ihnen ja auch in diesen Tagen.

Geisterspiele haben in einem guten demokratischen Sinne nichts mit Fußball zu tun. Sie finden bloß statt und wurden bloß gefordert, damit Rechteinhaber ihre Interessen wahren. Wer Fußball liebt und zugleich akzeptiert, dass er in der aktuellen Coronakrise nicht stattfinden kann, sollte dafür kämpfen, dass dieser Sport nicht zum bloßen Fernsehevent mutiert, das Fans dann zu Hause oder in der Kneipe gucken können. Reclaim the game!, holt euch das Spiel zurück, ist eine alte und wieder sehr aktuelle Forderung. Wenn der Ball bald für alle ruht, ist das im Sinne des Fußballs.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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3 Kommentare

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  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    "Fußball ist ein soziales Phänomen."



    liebe fußballfans, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein: vor allem ist fußball ein geschäftsmodell. deshalb spielt die erste liga einfach weiter, während die dritte aussetzt.



    nicht schlimm, nur gut zu wissen. religion ist woanders zu finden.

  • "das Fans dann zu Hause oder in der Kneipe gucken können."

    Und das ist mein Hauptkritikpunkt Richtung DFL, Geisterspiele verschieben aktuell ein Problem nur örtlich.

    Wer gestern Abend mal durch Frankfurt spaziert ist, konnte teilweise hundert Leute dicht an dicht vor Leinwänden oder Fernsehern sehen. Viele die sonst ins Stadion gehen, bleiben doch nicht zu Hause, für die ist Fußball auch ein soziales Event, die schauen dann eben woanders zusammen oder sie kommen vor das Stadion.

    Und manche Fußballer und Vereine befeuern dieses Verhalten auch noch. Sinnbildlich Christoph Kramer nach dem Spiel Gladbach gegen Köln, da kamen viele Fans hinter die Nordkurve, entgegen allen Appellen und die Gladbacher Mannschaft feierte dann vom Balkon aus mit denen.

    "Es hat sich angefühlt wie eine Meisterfeier. Es waren auf jeden Fall sehr viele Fans da und es war ein sehr schöner Moment."

    Da hab ich mich ehrlich gesagt um seine Zurechnungsfähigkeit gesorgt.

    Es gibt nur eine Möglichkeit, der Grund dieser Treffen abzusagen!

    Hier möchte ich auch mal auf die Stellungnahme der Südkurve München verweisen.

    "Blickt man nach Italien sehen wir ein Land im Lockdown, in dem sich gleichzeitig viele Menschen, explizit auch Ultras, maximal solidarisch verhalten und ihr eigenes Sozialleben hinten anstellen, um die weitere Ausbreitung des Virus‘ zu verhindern.

    Dabei geht es nicht um die Angst selbst zu erkranken, sondern um den Schutz von Risikopatienten und darum, die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

    Da nicht auszuschließen ist, dass in Deutschland eine ähnliche Entwicklung der Infektionszahlen stattfindet, erscheinen uns die Maßnahmen, Großveranstaltungen abzusagen und das eigene Reiseverhalten zu überdenken, sinnvoll."

    suedkurve-muenchen...rund-von-covid-19/

  • 90+ % der Leute, die Fussball verfolgen, gehen nicht regelmäßig ins Stadion. Für die ist das bereits jetzt ein Event, dass man nur im Fernsehen verfolgt (oder sogar nur die Highlights und Tore).

    Millionen Leute kicken nur so zum Spaß und ohne Publikum.

    Fussball als "soziales Phänomen", dass unbedingt Zuschauer braucht, um zu funktionieren, existiert so nicht.

    Das heißt nicht, dass ich nicht eine laute Kulisse im Stadion missen möchte.