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Und täglich rollt das Klimagewissen

Gamification soll Menschen zu nachhaltigem Verhalten bringen – etwa beim Stadtradeln. Doch was passiert, wenn die Belohnungen ausbleiben und der Alltag dazwischenkommt?

Illustration: shtonado/getty images

Aus Ribbeck Charlina Strelow

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, in seinem Garten kein Birnbaum, aber eine Bundesstraße stand – zumindest fast. Eng entlang einiger Grundstücke verläuft die B5 und teilt das durch Theodor Fontanes Gedicht bekannte Dorf. Über 18.000 Fahrzeuge fuhren nach einer Zählung des Landesbetriebes Straßenwesen Brandenburg 2023 täglich an den Häusern und Gärten vorbei. Genervt ist der Anwohner Matthias Bastian trotzdem nicht. Er weiß, dass viele in der Region kaum Alternativen für den Arbeits- oder Kitaweg haben und wie schwer bereits der Versuch ist, auf ein anderes Verkehrsmittel zu setzen.

Seit fast drei Wochen fährt er nun täglich mit dem Fahrrad ins Büro, so auch diesen Morgen. Für die Strecke in die Nachbargemeinde, wo er als Bauleitplaner arbeitet, braucht er eine Stunde. Ein Glück, dass Bastian ohnehin Frühaufsteher ist. Um 6.20 Uhr liegen auf seinem Frühstücksbrett nur noch Krümel.

Zum Fahrradfahren motiviert hat Bastian das Stadtradeln, der Wettbewerb findet seit 2008 deutschlandweit statt. In drei Aktionswochen jedes Jahr tragen die Teil­neh­me­r:in­nen ihre gefahrenen Kilometer in eine App ein und versuchen einander, als Team und auch individuell, zu übertrumpfen. Daneben können sie Schäden oder Verschmutzungen der Wege melden. Denn nicht nur die Spit­zen­rei­te­r:in­nen gewinnen einen Preis, auch die Kommune, die ihre Radinfrastruktur am sinnvollsten ausbessert, wird ausgezeichnet. Der Wettstreit begeistert. Matthias Bastian ist schon zum vierten Mal dabei, so wie inzwischen jährlich mehr als eine Million Menschen.

Nicht nur zur Verkehrswende sollen durch spielerische Konkurrenz Bür­ge­r:in­nen und Kommunen zu klimafreundlicherem Verhalten motiviert werden. Ähnliche Projekte gibt es auch, um Entsiegelung oder Plastikverzicht zu fördern. Spielkonzepte auf der Arbeit oder im Klimaschutz anzuwenden, nennt man Gamification. Nur: wie nachhaltig wirkt sie tatsächlich?

Spielen ist ein Naturtrieb des Menschen, erklärt Jens Junge. Er ist Direktor des Instituts für Ludologie, also die Wissenschaft vom Spiel. Spiele hätten die Macht, „Dinge des Alltags neu zu verhandeln, neue Perspektiven aufzumachen“. Dabei könnten sie durchaus soziale Bewegungen prägen und auch widerspiegeln. Man nehme zum Beispiel das Kartenspiel Skat, das 1813 in Altenburg entwickelt wurde und damals großen Anklang fand. Viele sehnten sich nach einer Herrschaft des Volkes und dem Ende des Feudalismus. Nicht ohne Grund sind also beim Skat die Buben der Trumpf, während die Königskarten wenig Macht haben. „Spiele vermitteln uns einen grundlegenden Optimismus, dass wir die Dinge verändern und nach anderen Lösungen suchen können“, sagt Junge. Auch wenn die Monarchie erst über hundert Jahre später tatsächlich von einer parlamentarischen Demokratie abgelöst wurde, das Spiel habe schon zuvor Träume einer anderen Zukunft befeuert.

Illustration: shtonado/getty images

Doch unser Spieltrieb kann auch ausgenutzt werden. Ein Paradebeispiel für Gamification ist die Shopping-App Temu. Obwohl die meisten Käu­fe­r:in­nen wissen, dass die Ware keine gute Qualität hat, locken sie, neben den ohnehin billigen Preisen, sogenannte Flashsales. In sehr kurzen, offensiven Countdowns winken immer noch stärkere Rabatte, erklärt Georgina Guillen, die als Teil der Gamification Group in Tampere, Finnland zu Nachhaltigkeit forscht. Mit dieser Art der Gamification setze der Hersteller auf die Angst der Menschen, etwas zu verpassen. Gegen diesen Ansatz will auch die EU vorgehen und hat vergangenes Jahr erste Schritte gegen Temu eingeleitet.

Solche extrinsischen Belohnungssysteme sind gängig in der Gamification, erklärt Medienpsychologe Benjamin Strobel. Auch beim Stadtradeln locken nicht nur die abschließenden Preise.

Illustration: shtonado/getty images

Als Matthias Bastian an diesem Morgen in seinem Büro ankommt, öffnet er die Stadtradeln-App und erhält prompt eine Meldung. Seit seinem letzten Besuch hat er ein neues ­Level erreicht: „Klimaretter“ steht da. So darf er sich nun nennen, weil er 25-mal Fahrrad gefahren ist. Oder besser gesagt, weil er 25 Fahrten in die App ­eingetragen hat. Denn an dem Morgen hat er – schon zum dritten Mal – ­vergessen, auf „Start“ zu drücken, als er sich die 20 Kilometer auf den Weg zur Arbeit machte. Diese kleinen Abzeichen und die Rangliste mit den anderen Teil­neh­me­r:in­nen sind ebenso extrinsische Belohnungen. Bas­tians Kollege am Schreibtisch gegenüber lacht, weil er im Kampf um den ersten Platz etwas aufgeholt hat. Bastian selbst nimmt das Missgeschick gelassen, er sei „eher für den Teamgeist“ dabei. Dass er die Kilometer auch nachtragen kann, erfährt er erst später.

Diese Form von Konkurrenz könnte durchaus motivieren, bei solchen Aktionen mitzumachen, nachhaltig sei das oft jedoch nicht, sagt der Medienpsychologe Strobel. Um tatsächlich Gewohnheiten aufzubauen, brauche es mehr Zeit, als beim Stadtradeln bisher angedacht ist. Ideal wäre eine Dauer von mindestens zwei bis drei Monaten, in denen das Fahrradfahren zur Routine werde, die sich im Anschluss leichter fortführen lässt. Andernfalls ­stellten viele, sobald die ­Belohnungen wegfallen oder stagnieren, ihr abgeändertes Verhalten wieder ein, erklärt Strobel. Deshalb wünscht sich der Wissenschaftler einen stärkeren Fokus auf intrinsische Ansätze in der Gamification und damit langfristige Änderungen im Verhalten zu erreichen, angeschoben durch eigene Überzeugungen.

Illustration: shtonado/getty images

Dabei kann es helfen, einen persönlichen Bezug herzustellen. Gerade bei Themen wie dem Klimawandel, der vielen unzugänglich ist, da die Folgen für das eigene Handeln erst Jahre später oder in weit entfernten Ländern sichtbar werden. „Gamification kann auch bedeuten, Geschichten zu erzählen, Narrative zu entwerfen, die Spannung oder Neugier erzeugen“, sagt Strobel. Dafür können auch Simulationen oder Modelle spielerisch genutzt werden, um Auswirkungen greifbarer zu machen – ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass die Einflussnahme einer radelnden Einzelperson auf den Klimawandel weiterhin begrenzt ist.

Aber selbst mit hoher intrinsischer Motivation brauche es weitere Schritte. „Wenn ich Druck erzeuge, kann ich das eigentlich immer nur dann sinnvoll tun, wenn ich den Leuten auch Handlungsalternativen beibringe.“ Diese Alternativen würden dann auch denjenigen helfen, die sich ausreichend über die Auswirkungen des Klimawandels bewusst sind, aber zum Beispiel Ohnmachtsgefühle verspüren und deshalb ihr Interesse nicht in Handlungen übersetzen können.

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Langfristig kann klimafreundlicheres Verhalten, angeregt durch Gamification, nur dann wirken, wenn die Teil­neh­me­r:in­nen ihre Abläufe realistisch anpassen. Mit insgesamt 759 gefahrenen Kilometern ist Matthias Bastian Erster seines Teams geworden. Auf sein Fahrrad gestiegen ist er seitdem jedoch nicht mehr – es regnete zu stark und der Aufwand im Alltag war sehr hoch.

Bastian wechselte also wieder zum Auto. Dabei braucht er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln genauso lange wie mit dem Auto. Nur ist auf diese selten Verlass. Oft kommt es zu Ausfällen, und ab August wird die Bahnverbindung zu seiner Arbeit für mehrere Monate unterbrochen. Damit seine Motivation nicht ins Leere läuft, bräuchte Bastian Strukturanpassungen. Dann rückt eine klimafreundliche Mobilität nicht nur für ihn näher.

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